Einen Wiederaufbaufonds von 500 Milliarden Euro, den wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Ihre Idee stellten sie am Montag als Teil ihrer Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der Krise vor. Die Hilfen selbst werden als Zuschüsse ausgeschüttet, so die Idee, müssen also nicht zurückgezahlt werden.
Das Geld soll durch Kredite beschafft werden, die die EU-Kommission aufnehmen darf. Die einzelnen Mitgliedsländer haften nur für einen Anteil dieser Summe, nämlich den, der ihrem Anteil am EU-Haushalt entspricht. Im Gegensatz zu den sogenannten Eurobonds gibt es also keine Gesamthaftung, die auf ein Land zurückfallen könnte. Trotzdem gibt es Kritik.
Nun melden sich deutsche und französische Gewerkschaften in einem gemeinsamen Appell, der im deutschen "Tagesspiegel" und in der französischen Tageszeitung "Le Monde" erschienen ist. Sie unterstützen die Initiative grundsätzlich. Aber er geht ihnen bisweilen nicht weit genug. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass es aber nicht nur darum geht mehr Geld in die Hand zu nehmen.
Die Bewältigung der Coronakrise sollte genutzt werden, um sich strategsich neu aufzustellen, um europäisch die notwenigen Investitionen in Klimaschutz, in neue Mobilitätskonzepte, in eine gelingende Energiewende gemeinsam zu stemmen.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Herr Hoffmann, es gab ja jetzt viel Kritik am Vorschlag von Merkel und Macron. Sie als Gewerkschaften wollen jetzt aber sogar noch mehr als die vorgeschlagenen 500 Milliarden. Warum denn noch mehr?
Reiner Hoffmann: Wir begrüßen erst mal die Initiative von Angela Merkel mit dem französischen Präsidenten Macron. Sie haben es in der Anmoderation gesagt, mit allen fünf Gewerkschaften findet dieser Vorschlag Unterstützung. Wir stehen aber vor einer doppelten Herausforderung, deshalb differenzieren wir das, was jetzt notwendig ist.
Um den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Pandemie europäisch, gemeinsam solidarisch auf den Weg zu bringen, dafür ist der Vorschlag völlig richtig. Wir wissen aber auch, wir haben einen erheblichen Bedarf für die Modernisierung unserer Volkswirtschaften, getrieben durch Digitalisierung, wir wollen den Klimawandel gestalten, und da brauchen wir anspruchsvolle Investitionen, da wird der Vorschlag von Macron und Merkel allein nicht reichen.
Büüsker: Und wie stellen Sie sich das vor, letztlich diesen Vorschlag noch mal ergänzen, die Summe einfach verdoppeln?
Hoffmann: Es geht nicht einfach nur um Verdoppeln, sondern wir müssen strategisch vorgehen, und das heißt, die deutsche Ratspräsidentschaft wird hier die Aufgabe haben, die mittelfristige Finanzplanung, den mittelfristigen Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre der Europäischen Kommission unter Dach und Fach zu bringen. Da kommt es darauf an, dass es wirklich ein investiver Haushalt wird und dass dieser insgesamt um zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die nächsten Jahre erhöht wird, um dann europäisch die notwenigen Investitionen beispielsweise in Klimaschutz, in neue Mobilitätskonzepte, in eine gelingende Energiewende gemeinsam zu stemmen.
"Gewinner der europäischen Währungsunion"
Büüsker: Deutschland gehört schon jetzt zu den Nationen innerhalb der Europäischen Union, die am meisten Geld zahlen. Diese Erhöhung würde ja noch mehr Zahlungen bedeuten, die da auf Deutschland zukommen. Nun gibt es bereits diejenigen, die sagen, warum soll Deutschland eigentlich so viel bezahlen. Was sagen Sie denen?
Hoffmann: Weil wir der größte Gewinner der europäischen Währungsunion und des europäischen Binnenmarktes sind. 60 Prozent unserer Exporte gehen in die europäischen Nachbarländer. Wir müssen gemeinsam ein Interesse daran haben, dass wir die Transformation, neben der Überwindung der Corona-Pandemie, gemeinsam hinbekommen, weil wir werden doch keine Güter, keine Dienstleistungen ins europäische Ausland absetzen können, wenn es denn unseren Nachbarländern schlechtgeht. Das ist eine Erkenntnis, das finde ich ganz erfreulich, dass auch die Bundeskanzlerin dies in den letzten Tagen ganz deutlich in den Mittelpunkt gestellt hat.
"Wir brauchen die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten"
Büüsker: Sie fordern ja zusammen mit den französischen Gewerkschaften in diesem Appell eine europäische Antwort auf die Krise. Warum ist das dann nur ein Aufruf von deutschen und französischen Gewerkschaften?
Hoffmann: Das war eine unmittelbare Antwort mit den französischen Kollegen auf die, wenn Sie so wollen, französisch-deutsche Initiative. Wir sind natürlich im engen Austausch mit dem Europäischen Gewerkschafsbund, und ich kann Ihnen versichern, wir stehen unter dem Dach des Europäischen Gewerkschaftsbundes ganz geschlossen zusammen.
Ich bin auch im Gespräch mit den Kollegen in den Niederlanden, in Dänemark, weil wir wissen, dort haben wir Regierungen, die diesem Vorschlag sehr kritisch gegenüberstehen, insbesondere Österreich. Ich kann Ihnen auch hier versichern, dass die Gewerkschaften sowohl in Österreich, Niederlanden, als auch in Dänemark hinter dieser Initiative, der deutsch-französischen Initiative stehen und wir alles daran setzen müssen, dass dies nun auch erfolgreich umgesetzt wird. Wir brauchen die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten.
Büüsker: Wie gehen Sie denn dann mit der Kritik von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz um, dem der Vorschlag von Merkel und Macron schon zu viel Vergemeinschaftung von Schulden ist?
Hoffmann: Weil wir brauchen in einer Währungsunion auch eine gemeinsame Verantwortung. Es kann nicht sein, dass wir die Webfehler der europäischen Währungsunion, die wir als Gewerkschaften ja schon seit vielen Jahren kritisiert haben, dass wir diese einfach ignorieren. Diese Währungsunion wird auf Dauer nicht funktionieren, wenn wir keine gemeinsamen Fiskalkapazitäten haben.
Dazu gehört auch eine deutlich weitergehende Harmonisierung der Steuerpolitik. Wir müssen Steuerlöcher, Steueroasen stilllegen. All das muss gemeinsam gelingen, wenn die Währungsunion dauerhaft ein Erfolg sein soll. Da springt Herr Kurz viel zu kurz. Ich hoffe, er wird auf die Gewerkschaften in Österreich hören und sich deutlich bewegen.
"Mehr soziale Konvergenz in Europa"
Büüsker: Sie sagen in dem Appell ja auch, Sie wollen ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell für die Europäische Union. Was ist denn am bisherigen so falsch?
Hoffmann: Wir haben eine Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik, wir haben einen gut funktionierenden Binnenmarkt, aber ein gut funktionierender Binnenmarkt braucht auch einen gemeinsamen Rahmen für Arbeitnehmerrechte. Zu Recht hat die deutsch-französische Initiative von Macron und Frau Merkel darauf hingewiesen, dass wir einen Mindestrahmen brauchen oder dass wir einen Rahmen brauchen für Mindesteinkommen und Mindestlöhne in Europa. Ich habe das sehr begrüßt, dass dieses mit in der gemeinsamen Stellungnahme drin enthalten ist. Das zeigt die Schieflage, dass wir wirtschaftlich erfolgreich sind, aber sozial Europa immer weiter auseinanderdriftet. Das muss gestoppt werden. Wir brauchen mehr soziale Konvergenz in Europa.
Büüsker: Heißt das dann auch, dass man sich unter Umständen von Dingen, von Geschäftsmodellen, von Unternehmensansätzen verabschieden muss, die nicht so richtig funktionieren?
Hoffmann: Geschäftsmodelle, die nicht zukunftsgerichtet sind, natürlich muss man sich von denen auch verabschieden können.
Büüsker: Was heißt das dann konkret für die Lufthansa?
Hoffmann: Für die Lufthansa heißt das erst mal, dass wir ein großes Interesse daran haben müssen, dass sie als Global Player im Markt bleibt. Das oberste Ziel wird natürlich sein, Beschäftigung zu sichern, aber darüber hinaus werden wir natürlich mit völlig neuen Verkehrskonzepten, insgesamt mit neuen Mobilitätskonzepten in Europa arbeiten müssen. Da muss die Lufthansa ein wichtiger Player bleiben. Von daher kommt es jetzt erst mal darauf an, dass das Unternehmen im Markt erhalten bleibt und Beschäftigung gesichert wird.
Büüsker: Heißt also auch, weil das Unternehmen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, ist es einfach too big to fail.
Hoffmann: Aber natürlich. Wir können doch die Augen nicht davor verschließen, dass 140.000 Menschen in Konzernen weltweit beschäftigt sind, allein 70.000 in Deutschland. Da muss man doch sozial verantwortlich umgehen und handeln.
"Kann die Vorbehalte der Union nicht nachvollziehen"
Büüsker: Und was, wenn als nächstes die Automobilkonzerne, die in Deutschland ja auch ein großer Arbeitgeber sind, ankommen und sagen, hey, wir brauchen eine Kaufprämie, sonst schaffen wir das alles nicht?
Hoffmann: Hier hat die IG Metall schon seit Jahren der Automobilindustrie Dampf gemacht, dass sie sich endlich auf den Weg begibt zu modernen Verkehrskonzepten, zu modernen Antriebssystemen, zur E-Mobilität. Auch das müssen wir gemeinsam vorantreiben. Wir können die deutsche Automobilwirtschaft doch nicht einfach den Bach runtergehen lassen. Das wäre für Europa und für Deutschland überhaupt keine Perspektive.
Büüsker: Aber muss die Politik dann nicht konkrete Vorgaben machen, auch was Klimaschutz angeht, wenn es konkrete Hilfen vom Staat gibt?
Hoffmann: Aber selbstverständlich, und das ist ja gerade die Debatte, die wir auch beim Lufthansa-Konzern haben. Ich kann die Vorbehalte der Union, insbesondere des Wirtschaftsflügels, überhaupt nicht nachvollziehen, dass wenn der Staat mit Milliardenbeiträgen einsteigt, er dann kein Mitspracherecht haben soll, insbesondere, wenn es um die unternehmensstrategischen Fragen geht, die zukunftsgerichtet sind und das Unternehmen auf Dauer wirtschaftlich und konkurrenzfähig hält.
Büüsker: Was hätten Sie sich hier konkret gewünscht?
Hoffmann: Eine deutlich klarere Vorgabe, was Beschäftigungssicherung betrifft. Das ist das erste. Hier ist man ja noch zum Glück mit ver.di in Verhandlungen. Ich bin sicher, dass ver.di alles dransetzen wird, dass im hohen Maße Beschäftigung gesichert wird, aber wir müssen auch damit aufhören, dass Steueroptimierungskonzepte im Konzern gefahren werden. Das ist nichts anderes als die Steuerumgehung. Das muss ein Ende haben. Wenn ein solches Unternehmen mit Steuergeldern Hilfe braucht, soll es die Hilfe bekommen, es soll aber auch ordentlich Steuern bezahlen, wenn es dem Unternehmen wieder gutgeht und nicht in Steueroasen letztendlich umlenken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.