Noch im Sommer 2020 gingen unter anderem in der Hauptstadt Minsk Tag für Tag tausende Menschen auf die Straße – gegen Machthaber Lukaschenko und die von der OSZE belegten Fälschungen bei seiner Wiederwahl. Das alles ist vorbei. An den Hochschulen herrscht ein Klima der Angst.
Gabriele Freitag, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde schildert, was sie aufgrund ihrer Kontakte von der Lage dort weiß. Die Universitäten seien vergangenes Jahr ein Zentrum der Proteste gegen Lukaschenko gewesen. "Umso schärfer und härter greift inzwischen das Regime durch. Das begann schon eben im letzten Jahr, im September wirklich mit bewaffneten Einheiten, die Universitäten stürmten. Es gab physische Gewalt, es gab Inhaftierungen, Personen wurden mit Geldstrafen belegt, und dann kamen natürlich Verfahren dazu, Strafverfahren."
Schweigen aus Angst
An den Hochschulen im Land entstehe so eine Situation der Angst. "Die Lage wird immer dramatischer. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die noch im Land sind, vermeiden es im Augenblick wirklich, in den Fokus der Universitäten oder eben der größeren Öffentlichkeit zu kommen." Forschende, die das Land schon verlassen haben, hätten Angst um ihre Familien oder müssten befürchten, auf lange Zeit nicht mehr zurück kehren zu können.
Goethe-Institut und DAAD sollen Arbeit einstellen
Freitag ist als DGO-Geschäftsführerein eine der wenigen, die sich offen äußert. Selbst Mitarbeiter von Organisationen in Deutschland, die mit belarussischen Hochschulen und Forschenden zusammen arbeiten, wollen lieber kein Interview unter dem eigenen Namen geben - um ihre Kontakte vor Ort nicht zu gefährden, erklärt Freitag. Oft werde da noch eng zusammengearbeitet, und das sei nach wie vor sehr wichtig, damit das Land nicht in die völlige Isolation gerate. Ende Juni hat die belarussische Regierung unter anderem das Goethe-Institut und den Deutschen Akadameischen Austauschdienst aufgefordert, ihre Arbeit vor Ort einzustellen - als Reaktion auf die Sanktionen der EU.
Aufbau eines Bespitzelungssystems
An den Hochschulen im Land wird nach Informationen der Gesellschaft für Osteuropakunde systematisch ein System der Bespitzelung und Kontrolle aufgebaut. "An fast allen Universitäten werden jetzt neue Stellen eingerichtet für die innere Sicherheit. Das heißt Personen aus dem Staatsapparat, aus dem sogenannten Sicherheitsapparat werden dort etabliert an den Universitäten." Freies Forschen sei da aktuell schwierig - im Bereich der Geistes und Sozialwissenschaften sogar "nicht mehr möglich".
Zahlen nur über Exilorganisation
Schwierig war die Lage in Belarus schon früher. Unter Alexander Lukaschneko sei die wissenschaftliche Freiheit aber zunehmend eingeschränkt worden, auch schon in den vergangenen Jahren. Offizielle Informationen gibt es dazu kaum. Der Gesellschaft für Osteuropakunde liegen Zahlen zur aktuellen Lage vor, die eine belarussischen Exil-Organisation zusammen getragen hat, Danach wurden 250 Studierende exmatrikuliert, 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entlassen oder ihre Verträge nicht verlängert. Dazu Fälle von Geldstrafen. Die Angst vor Verfolgung sei inzwischen so stark, "dass viele Personen, die noch im letzten Herbst sehr, sehr mutig waren, inzwischen beschließen, sich nicht mehr zu äußern."
"Brauchen internationale Aufmerksamkeit"
Doch was könnte in dieser Situation helfen. Für Gabriele Freitag ist es vor allem "internationale Aufmerksamkeit", was da gerade in Belarus passiert. Und es müsse denjenigen geholfen werden, die das Land tatsächlich verlassen haben. Die DGO habe eine Soforthilfe aufgelegt, auch beim Deutschen Akademischen Austauschdienst gebe es ein Förderprogramm für politisch verfolgte Studierende. Das reicht laut Freitag aber längst nicht: Bisherige Förderstrukturen würden vor allem Forschenden helfen, die schon einen gewissen wissenschaftlichen Lebenslauf vorweisen können. Deswegen wäre es wichtig, jetzt "wesentlich stärker in die Breite zu gehen und auch Unterstützung zu leisten für diejenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bisher keine internationalen Kontakte gehabt haben."