Zuckerkrankheit
Diabetes - die schleichende Pandemie

Immer mehr Menschen in armen Ländern und immer mehr Arme in reichen Ländern erkranken an Diabetes Typ 2. Zu den Gründen zählen neben schlechter Ernährung auch Bewegungsmangel und Stress.

    Eine ältere indigene Navajo-Frau, die ihren Blutzuckerspiegel mit einer Smartphone-Anwendung überprüft.
    Rund 8,5 Millionen Menschen in den USA brauchen regelmäßig Insulin und wissen oft nicht, wie sie es bezahlen sollen, sagt die Patienteninitiative T1 International. (Getty Images / Rich Legg)
    Rund 537 Millionen Diabetiker gibt es weltweit. 2045 werden es um die 783 Millionen sein, schätzt die International Diabetes Federation. In den USA gibt es über 38 Millionen Zuckerkranke.
    Etwa 8,5 Millionen Menschen in Deutschland leben mit Diabetes Typ 2. Zwei Millionen von ihnen sind erkrankt, ohne es zu wissen, heißt es im Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2022. Mit Folgen: Diabetiker sterben fünf bis zehn Jahre früher – meist aufgrund einer zu späten Diagnose. Diabetes Typ 1 haben derzeit schätzungsweise 32.000 Kinder und Jugendliche sowie 341.000 Erwachsene.
    Experten fordern schon seit langem mehr Prävention für Diabetes Typ 2, darunter eine verbesserte Kennzeichnung von gesundheitsschädlichen Lebensmitteln, die Förderung von gesünderem Essen in Kantinen, Schulen und Universitätsmensen sowie eine verstärkte Aufklärung über gesunde Ernährung und die Ursachen von Diabetes.

    Inhalt

    Was ist Diabetes?

    Diabetes mellitus, auch Zuckerkrankheit genannt, ist eine Stoffwechselerkrankung, die unbehandelt zu Nierenleiden, Nierenversagen, Nerven- und Gefäßschäden, Blindheit, Ketoazidose - einer Übersäuerung des Bluts - und Koma führen kann.
    Es gibt zwei Arten: Der seltenere Typ 1, eine Autoimmunerkrankung, wird meist im Kindesalter diagnostiziert. Die Ursachen sind nur zum Teil bekannt, Menschen mit familiärer Belastung haben ein höheres Risiko. Ein Diabetes Typ 2, an dem 90 Prozent der Diabetiker leiden, ist hingegen fast immer Folge von falscher Ernährung und Übergewicht.
    Beiden gemeinsam ist die nachlassende Insulinproduktion, allerdings in sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit. Typ-1-Diabetes entsteht durch eine autoimmune Reaktion, die die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört, was zu einem sehr schnellen Verlust der Insulinproduktion führt. Im Gegensatz dazu entwickelt sich Diabetes Typ 2 allmählich durch eine Insulinresistenz, was zu einem langsameren Rückgang der Insulinproduktion führt.
    Leicht erkrankte Diabetiker Typ 2 erhalten meist den kostengünstigen Wirkstoff Metformin. Schwerer Erkrankte und Diabetiker Typ 1 brauchen Insulin, das mittlerweile fast nur noch biotechnologisch hergestellt wird. Dieses Präparat sowie die nötigen Spritz- und Blutzuckermessutensilien sind teuer.

    Warum verbreitet sich Diabetes besonders stark in Afrika?

    In Südafrika sterben inzwischen mehr Menschen an Diabetes als an HIV, Tuberkulose und Malaria zusammen. Bei Frauen ist die Zuckerkrankheit sogar die häufigste Todesursache. Das liegt auch daran, dass die Erkrankung, wenn überhaupt, sowohl bei Männern als auch bei Frauen, spät festgestellt wird.
    Diabetes-Prävalenz nach Weltregion im Jahr 2021 und Prognose bis 2045
    Die Statistik zeigt die altersstandardisierte Diabetes-Prävalenz nach Weltregion für das Jahr 2021 und eine Prognose für das Jahr 2045. (International Diabetes Federation)
    Viele Südafrikaner lebten nach Aussage des Diabetologen Joel Dave mit täglicher Ernährungsunsicherheit - sie wüssten nicht, ob, wann und was sie heute zu essen bekämen. Das mache das Spritzen von Insulin zu einem Risiko. Viele lebten auch in informellen Siedlungen, wo sie das Insulin nicht kühl halten könnten. Infolgedessen spritzen viele gar kein oder zu wenig Insulin, was bei Diabetikern Typ 1 zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen kann.

    Risikofaktor schlechte Ernährung

    Ein weiterer Grund für die zunehmende Verbreitung von Diabetes Typ 2 ist die einseitige Ernährung: In vielen afrikanischen Ländern ernähren sich die meisten Menschen fast ausschließlich von Kohlenhydraten – in Südafrika von Mais, in etlichen anderen Ländern von Maniok. Menschen in den Townships fehle Geld und Wissen, um gesund zu leben, so Joel Dave. Fastfood-Restaurants wie Kentucky Fried Chicken, Steers oder McDonald‘s werden überrannt. Dies führt zu einem erhöhten Risiko für Diabetes Typ 2, insbesondere in Ländern, die sich noch vor kurzem von weniger energiereicher Nahrung ernährt haben. In diesen Fällen treffen epigenetische Faktoren auf eine Ernährung, die reich an Fastfood und arm an Bewegung ist, was zu einem Anstieg von Diabetes Typ 2 führt.

    Risikofaktor Bewegungsmangel

    Auch der Bewegungsmangel habe zugenommen, sagt Diabetologe Joel Dave. Auf den Straßen sei es zu gefährlich, darum blieben viele zuhause. Viele laufen auch nicht mehr zu Fuß zur Arbeit, sondern nehmen einen Taxibus.

    Stress setzt Diabetes-begünstigendes Cortisol frei

    Stress ist ein weiterer Faktor, der die Erkrankung begünstigt, denn er setzt das Hormon Cortisol frei. Angst vor Hunger und Gewalt erzeugen Stress. Das zeigt auch das Beispiel Haiti, einem Land, das von Kriminalität, Armut und Gewalt stark betroffen sei, sagt die Diabetologin Nancy Larco.

    Welche Rolle spielt das Gesundheitssystem in Südafrika bei der Ausbreitung von Diabetes?

    Theoretisch hat jeder Südafrikaner das Recht auf kostenlose staatliche Gesundheitsversorgung. Doch in der Praxis hängt es von der Gesundheitsverwaltung der jeweiligen Provinz ab, ob Patienten bekommen, was sie brauchen.
    In den Gesundheitsstationen wird zudem nur bei offensichtlich chronisch kranken Menschen der Blutzucker gemessen. Deshalb sei die Krankheit bei rund der Hälfte der rund fünf Millionen Typ2-Diabetiker Südafrikas nie diagnostiziert worden, schätzen Experten.

    Risikofaktor Mangel an Wissen

    Eine große Rolle spielt fehlendes Wissen über die Gefahren von Diabetes. Die Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen haben kaum Zeit für Gespräche mit ihren Patienten. In der Folge nehmen Patienten zum Beispiel die ihnen verordneten Medikamente oft nicht ordnungsgemäß ein.
    Jährlich gibt Südafrika eine Summe von 150 Millionen Euro aus, die Hälfte davon für die Behandlung vermeidbarer Komplikationen wie Nerven-, Gefäß-, und Nierenschäden sowie Blindheit. Tatsächlich bräuchte es aber die achtfache Summe, um alle Diabetiker zu behandeln, schätzt Diabetes-Experte Patrick Ngassa Piotie.

    Diabetes im Bürgerkriegsland Mali

    Vor 15 Jahren habe man in dem von bewaffneten Konflikten zerrissenen Mali nur sieben Kinder mit Diabetes Typ 1 gezählt, sagt der französische Arzt Stéphane Besancon, der die Hilfsorganisation Santé Diabète leitet. Heute seien es 1.500, denn inzwischen werden Kinder im Rahmen des Programms Life for a Child mit Diabetes Typ 1 in ganz Mali mit Insulin, Teststreifen und Blutzuckermessgeräten versorgt - und können deshalb überleben.
    In Mali gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung, behandelt wird gegen Barzahlung. Für die Diabetiker in dem Land kann das lebensbedrohlich sein, wenn eine Ketoazidose, ein lebensgefährlicher Überzucker, nicht behandelt wird. Eine Ketoazidose tritt in erster Linie bei Patienten mit Diabetes Typ 1 auf, aber kann auch in seltenen Fällen bei Diabetes Typ 2 auftreten.

    Welche Rolle spielen Pharmaunternehmen bei der Behandlung von Diabetes?

    Drei Konzerne kontrollieren seit Jahrzehnten 90 Prozent des Insulin-Weltmarktes: Eli Lilly, Sanofi und Novo Nordisk. In den USA nutzen sie das gnadenlos aus, um hohe Preise durchzusetzen. Generika, Nachahmerprodukte anderer Firmen, gibt es kaum: Die gentechnische Produktion von Insulin ist extrem aufwendig und lohnt sich nur in großen Mengen. In der Folge haben sich die Insulinpreise in den USA, wo es keine Preiskontrollen gibt, seit der Jahrtausendwende vervielfacht. Sie lagen zuletzt, im Schnitt, rund zehnmal so hoch wie in der EU.

    Drei Konzerne kontrollieren den Insulin-Weltmarkt

    In Deutschland gelingt es den Krankenkassen dank ihrer Marktmacht, relativ günstige Insulinpreise mit den Konzernen auszuhandeln. In den USA dagegen verhandeln die zahlreichen öffentlichen und privaten Krankenversicherungen einzeln mit den Pharmakonzernen – und schneiden dabei schlecht ab. Wer nicht krankenversichert ist, Schätzungen zufolge über 30 Millionen Menschen in den USA, muss die Präparate selbst bezahlen.
    2022 setzte der US-Kongress nach langen Debatten einen Preisdeckel für Insulin durch: Die Zuzahlung wurde gesetzlich auf 35 Dollar im Monat begrenzt – allerdings nur für staatlich versicherte Rentner. Die Pharmakonzerne zeigten sich dennoch alarmiert. Sie fürchteten weitere gesetzliche Preisdeckel – und senkten freiwillig die Preise für einige Insulinpräparate. Doch die kämen nicht in allen Apotheken an, sagen Betroffene. Die Patienteninitiative T1 International fordert weiterhin einen umfassenden gesetzlichen Preisdeckel für Insulinpräparate

    Warum überlassen Staaten den Verkauf von Insulin privaten Firmen?

    Zahlreiche Wissenschaftler, Ärzte und Politiker fordern seit Jahrzehnten, dass Entwicklung und Produktion lebenswichtiger Medikamente wie Insulin eine zentrale Aufgabe staatlicher Daseinsfürsorge sein müssen.
    Seit fast 60 Jahren gilt der UN-Sozialpakt, den 171 Staaten ratifiziert haben. Nach diesem rechtsverbindlichen Abkommen hat jeder Mensch das Recht auf das jeweils höchste erreichbare Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit.
    In Kalifornien geht man nun voran. Der US-Bundesstaat will künftig wichtige Insulinpräparate in eigener Regie produzieren und zu Preisen anbieten, die um bis zu 90 Prozent unter denen der Industrie liegen. Voraussichtlich ab Mitte 2024 werden diese Unternehmen im staatlichen Auftrag Insulinmedikamente produzieren.
    (*) Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Text noch einmal redaktionell überarbeitet, da eine Unterscheidung von Diabetes Typ 1 und 2 an einigen Stellen nicht exakt vorgenommen wurde.

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