Die Bauchspeicheldrüse ist ein fleißiges Organ, quantitativ und qualitativ. Quantitativ, weil sie jeden Tag zwei Liter Verdauungsenzyme produziert, die die Nahrung aufspalten, so dass sie vom Körper auch tatsächlich genutzt werden kann. Qualitativ, weil sie passgenau eine ganze Palette von Hormonen bildet, die die Stoffwechselaktivität dem Nahrungsangebot anpassen. Die Beta-Zellen zum Beispiel produzieren Insulin. Sie gehen bei verschiedenen Formen des Diabetes zugrunde, deshalb gerät der Blutzucker, die Glukose außer Kontrolle. Dieses Krankheitsbild kann Pedro Herrera von der Universität Genf in gentechnisch veränderten Mäusen nachstellen und dabei ist ihm etwas Interessantes aufgefallen.
"Wir haben entdeckt, dass sich in diesen Mäusen ein kleiner Teil der Alpha-Zellen verändert, die eigentlich ein anders Hormon produzieren. Sie fangen spontan an Insulin zu bilden. Okay, das war ein Mäuseversuch. Jetzt wollten wir wissen, ob das auch bei Zellen aus der menschlichen Bauchspeicheldrüse geht, ob sie genauso wandelbar sind."
Alpha zu Beta
Alpha zu Beta lautet die Idee und am besten auch gleich Delta und Gamma zu Beta. Die griechischen Buchstaben stehen für unterschiedliche Zelltypen in der Bauchspeicheldrüse, die sich jeweils auf ein Hormon spezialisiert haben, die Beta-Zellen eben zum Beispiel auf das Insulin. Diese Spezialisierung wird mit Hilfe so genannter Regulationsproteine aufrechterhalten, die bestimmte Gene anschalten und andere blockieren.
"In unserem Experiment mit den menschlichen Zellen haben wir die Beta-Faktoren in die Alpha-Zellen gebracht. Die haben dann sehr schnell und sehr effizient begonnen, Insulin zu bilden und zwar genau passend zum Glukosespiegel. Als wir diese Zellen in zuckerkranke Mäuse transplantierten, gingen die Diabetes-Symptome deutlich zurück. Das war sehr interessant."
Leider ist es nicht so einfach, die Kontrollfaktoren in die Zellen hineinzubringen. In seinem Experiment verwendete Pedro-Herrera-Tricks aus der Gentherapie. Er ist aber davon überzeugt, dass sich die Umwandlung der Alpha-Zellen in die fehlenden Beta-Zellen auch einfacher bewerkstelligen lässt.
"Das Gute ist: Alle Hormon-Zellen der Bauchspeicheldrüse lassen sich leicht dazu bringen, Insulin zu bilden. Wir beginnen zu verstehen, welche biochemischen Signale die Identität der Zellen stabilisieren. Interessanterweise scheint das Insulin dazu beizutragen, die Identität der Alpha-Zellen zu festigen. Wir suchen nun nach Arzneistoffen, die hier eingreifen und das Potential der Alpha-Zellen freigeben. Das ist noch ein langer Weg, ich möchte keine falschen Hoffnungen bei den Patienten wecken. Aber unser Ziel ist ein Medikament, mit dem sich zumindest einige Alpha-Zellen dazu bringen lassen, Insulin zu produzieren."
Hoffnung für Typ-2-Diabetes
Theoretisch könnte der Typ-2-Diabetes so geheilt werden. Beim Typ-1-Diabetes ist die Situation schwieriger. Bei diesen Patienten greift das Immunsystem die Beta-Zellen und auch das Insulin an. Hier ist es von Vorteil, dass die Strategie von Pedro Herrera nicht einfach Alpha-Zellen in Beta-Zellen verwandelt. Es entsteht eher ein Zwischending: eine Alpha-Zelle, die zusätzlich noch Aufgaben der Beta-Zelle übernimmt. Und diesen hybriden Zelltyp bekämpft das Immunsystem von Diabetes-Patienten nicht so aggressiv, darauf deuten zumindest Versuche in der Zellkultur hin.
Andere Forscher sind aber schon näher an praktisch einsetzbaren Therapien. Sie wollen zum Beispiel isolierte Beta-Zellen von Spendern in Kapseln verpackt in die Patienten übertragen. So sind sie vor dem Immunsystem geschützt, können aber trotzdem gezielt Insulin abgeben. Hier gibt es schon erste klinische Versuche, gesteht auch Pedro Herrera zu. Aber er bleibt dabei:
"Ich denke, es ist interessanter, die natürliche Regenerationsfähigkeit des Körpers zu nutzen, anstatt fremde Zellen in den Körper zu transplantieren."
Für Diabetiker ist es sicher am besten, wenn alle Ansätze parallel verfolgt werden, dann ist die Chance am größten, dass einer sich auch in der klinischen Praxis bewährt.