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Diagnose Schizophrenie
"Ein Symbol der Stigmatisierung und Ausgrenzung"

Der Schizophreniebegriff wäre im neuen Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen besser abgeschafft worden, sagte der Psychiater Ludger Tebartz van Elst im Dlf. Der "Sammelbegriff" verhindere oft differenzierte Untersuchungen. Organische Ursachen würden nicht erkannt und entsprechend behandelt.

Ludger Tebartz van Elst im Gespräch mit Arndt Reuning |
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Symptome wie Stimmen hören und Wahnvorstellungen können auch durch Autoantikörper verursacht werden (imago stock&people)
Arndt Reuning: Unter der Diagnose-Ziffer 6A20 findet sich in der neuen ICD-Liste die Schizophrenie, eine Krankheit, die einerseits Eingang gefunden hat in unseren täglichen Sprachgebrauch – wir bezeichnen bestimmte Verhaltensweisen als schizophren –, andererseits aber gibt sie den Medizinern noch immer Rätsel auf und scheint wenig greifbar zu sein.
Vor der Sendung habe ich mit einem Psychiater telefoniert, der sagt, der Begriff Schizophrenie sollte in der ICD-11 am besten gar nicht auftauchen, denn unser Konzept, unser Bild dieser Krankheit müsste grundlegend überarbeitet werden. Dieser Experte ist Professor Ludger Tebartz van Elst vom Universitätsklinikum Freiburg. Ich wollte von ihm wissen: Wie äußert sich denn diese Krankheit, die als Schizophrenie bezeichnet wird?
Ludger Tebartz van Elst: Na, ich denke, die bekanntesten Symptome sind sicher das Stimmenhören auf der einen Seite, also Halluzinationen von Stimmen, typischerweise sind das dann Stimmen, die über einen reden, die Befehle geben, die kommentieren, was man macht. Der zweite große Symptombereich ist der Wahn, dass man unrealistische und eben wahnhafte Denkinhalte hat. Das kann im Extremfall ganz einfach sein, wenn man zum Beispiel glaubt, dass man Napoleon ist, dann weiß jeder, das kann gar nicht sein. Und der dritte große Bereich, das ist eine formale Denkstörung, Verwirrungen im Denken, Beschleunigungen, alogische Zusammenhänge zusammenstellen oder aber auch die motorischen Symptome, da kann man motorisch einfrieren, sich nicht mehr bewegen, gehemmt sein. Das sind so die klassischen Positivsymptome der Schizophrenie. Und dann gibt es noch Negativsymptome, das sind kognitive Symptome und eine emotionale Verflachung vor allen Dingen.
"Der Schizophreniebegriff ist ein Sammelbegriff"
Reuning: Steckt denn hinter der Vielfalt dieser Symptome auch eine einheitliche Erkrankung?
Tebartz van Elst: Nein, das ist eben nicht der Fall und das ist genau der Grund, weshalb ich eigentlich glaube, dass es besser wäre, dieses Konzept abzuschaffen. Also der Schizophreniebegriff ist eigentlich ein Sammelbegriff, vor allen Dingen, wenn man das Ganze ursächlich sieht, ein Sammelbegriff für unterschiedliche Symptome, die wichtigsten habe ich gerade genannt, aber auch ein Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Ursachen. So kennen wir heute zum Beispiel die immunologischen Enzephalopathien, da sind es Immunprozesse, manchmal Autoantikörper gegen das Gehirn, die genauso Symptome verursachen können, und vor zehn Jahren kannten wir es noch nicht, und dann hätte man es vor zehn Jahren Schizophrenie genannt, heute, wenn wir sie finden, nennen wir es immunologische Enzephalopathie. Und das zeigt schon, dass es auch gewisse Unwägbarkeiten und Zufälligkeiten beinhaltet, ob man so eine Diagnose bekommt oder nicht.
Zuschreibung verhindert differenzierte Ursachenforschung
Reuning: Und findet sich denn dieses neue Bild der Schizophrenie, das Sie gerade beschrieben haben, in der Neufassung der ICD wieder oder spiegelt diese Klassifikation eher ein historisch gewachsenes Verständnis des Phänomens Schizophrenie wider?
Tebartz van Elst: Ja, im Wesentlichen, würde ich sagen, spiegelt es ein historisch gewachsenes Verständnis wider. Es gibt schon die Kategorie der sogenannten organischen-psychischen Störungen, die gab es aber auch schon in der alten Klassifikation. Der Punkt ist, dadurch, dass der Begriff in der Alltagssprache so wirkt, wie er wirkt, dass er den Eindruck erweckt, als hätte man eine Krankheit diagnostiziert, nicht nur aufseiten der Patienten, sondern auch aufseiten der Ärzte, führt es oft dazu, dass gar nicht so genau hingeguckt wird und gar nicht so differenziert all die Untersuchungen gemacht werden, die eigentlich nötig wären, um tatsächlich all die vielen seltenen organischen, sage ich mal, Ursachen einer Psychose auszuschließen. Und das ist in der Tat weitgehend historisch gewachsen.
Reuning: Und diese tatsächlichen Ursachen müsste man eigentlich kennen, um sich für eine optimale Therapie zu entscheiden?
Tebartz van Elst: In vielen Einzelfällen ja. Also nehmen wir mal wieder die eben genannten autoantikörper-vermittelten Psychosen, nennen wir es mal so, da verursachen Autoantikörper gegen bestimmte Rezeptoren im Gehirn im Grunde die klassischen Symptome einer Schizophrenie, also Wahn, Stimmenhören, Verfolgungserleben, und bis vor zehn Jahren kannten wir die nicht, die größte Gruppe der NMDA-Rezeptoren-Antikörper wurde erst 2008 beschrieben, sodass man es 2007 auch gar nicht erkennen konnte. Und das zeigt exemplarisch an einer kleinen Gruppe, dass man durchaus Ursachen finden kann, wenn man sehr differenziert nachschaut. Und das sind neue neuropsychiatrische Entwicklungen im Bereich der Psychosenforschung, würde ich es lieber nennen, die das Bild der Schizophrenie durchaus ändern können.
Den Begriff hätte man abschaffen sollen
Reuning: Aus Ihrer Sicht wurde mit der ICD-11 die Chance verpasst, das, was nun unter der Diagnose Nummer 6A20 als Schizophrenie kodiert wird, neu zu beschreiben, neu zu klassifizieren.
Tebartz van Elst: Ja, ich glaube, es hätte dem Feld, den Ärzten, der Forschung und insbesondere den Patienten gutgetan, wenn man den Begriff dekonstruiert hätte, also abgeschafft hätte, weil das hätte zu einer Irritation geführt. Man hätte nicht so leicht einen Namen geben können für das Phänomen, dass Patienten plötzlich Stimmen hören oder einen Wahn entwickeln. Man müsste dann einfach genauer hinschauen und genauer gucken, was ist denn die Ursächlichkeit hinter diesem Stimmenhören, hinter diesem Wahn, hinter diesen Denkstörungen oder hinter dieser affektiven Verflachung? Dadurch, dass es das Angebot gibt, die Schizophreniediagnose zu stellen, wird meiner Analyse nach zu schnell zu diesem Sammelbegriff gegriffen und gar nicht genau genug hingeschaut, was für andere Ursächlichkeiten da auch noch hinterstecken könnten.
"Rattenschwanz an mystischen Gefühlen und Ausgrenzungsassoziationen"
Reuning: Ein Sammelbegriff, der auch mit einer gewissen Stigmatisierung der Betroffenen verbunden ist?
Tebartz van Elst: Absolut, nicht nur der Betroffenen, auch der Angehörigen, der Familien. Also ich glaube, dass es kaum einen medizinischen Begriff gibt, der so umfassend gefürchtet wird als Symbol der Stigmatisierung und Ausgrenzung wie der Schizophreniebegriff. Also da hängt ein ganzer Rattenschwanz an mystischen und unklaren Gefühlen und Ausgrenzungsassoziationen dran.
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