Peter Sawicki: Die Annäherung zwischen Pjöngjang und Seoul geht weiter. Doch wie viel Substanz steckt dahinter? Darüber haben wir vor der Sendung mit dem Ostasien-Experten Rüdiger Frank von der Universität Wien gesprochen und ihn gefragt, ob das Wort "Frühlingserwachen" auf Korea politisch zutrifft.
Rüdiger Frank: Zumindest muss man schon sagen, dass die ja sehr optimistischen Eindrücke, die man gewonnen hat, Anfang des Jahres und bei den Olympischen Spielen, erst mal so weitergehen. Wohin das führen wird, ist eine ganz andere Geschichte, aber dass das Gipfeltreffen mal stattfindet, das ist schon signifikant. Das ist immerhin erst das dritte seit 2000 und 2007 und da darf man durchaus gespannt sein.
Sawicki: Wessen Verdienst ist das eigentlich aus Ihrer Sicht?
"Das nordkoreanische Atomprogramm wird noch eine Weile existieren"
Frank: Ich glaube, es ist das Verdienst der beiden Koreas, und das ist für mich auch das Signifikante eigentlich an dieser ganzen Geschichte, dass endlich die Koreaner ihr Schicksal wirklich mal in die eigenen Hände genommen haben und nicht immer zuerst nach Washington oder nach Peking schauen, sondern gesagt haben, gut, wir beide wollen das, aus welchen Gründen auch immer, so was wie eine neue Annäherung mal zu versuchen. Sie machen das beide relativ geschickt, ohne unbedingt die großen Verbündeten allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, jedenfalls bislang ist das gelungen, gleichzeitig aber durchaus deutlich zeigend, dass sie den Willen zur Zusammenarbeit haben und sich damit im Moment auch durchsetzen.
Sawicki: Neue Annäherung, sagen Sie, aus eigener Kraft heraus. Und jetzt gibt es dieses Angebot anscheinend aus Pjöngjang, Abrüstung im Gegenzug für Sicherheitsgarantien, heißt es jetzt. Wie glaubwürdig klingt das für Sie eigentlich?
Frank: Na ja, das kommt darauf an, was man unter den jeweiligen Positionen sich vorstellt. Das ist ja nicht neu. Nordkorea hat ja solche Vorschläge schon vorher gemacht und der Teufel steckt natürlich immer im Detail und in den Einzelheiten. Weil was können das für Sicherheitsgarantien sein, die Nordkorea dazu bewegen könnten, das wertvolle und hart umkämpfte Atomprogramm jetzt plötzlich aufzugeben.
Sawicki: Welche könnten das sein?
Frank: Das wird nicht nur eine einfache Zusage sein. Die Nordkoreaner haben zum Beispiel verlangt, dass die Amerikaner von der koreanischen Halbinsel ihre Truppen abziehen. Sie haben verlangt, dass eine komplette Denuklearisierung von ganz Ostasien stattfindet. Das sind natürlich alles Dinge, da können die Amerikaner nicht mal drüber lachen. Das heißt, da muss man ein bisschen vorsichtig sein. Das ist zum Teil wirklich eine gewisse Rhetorik, die wir hier sehen. Realistischerweise müssen wir wohl davon ausgehen, dass wir mit dem nordkoreanischen Atomprogramm noch eine Weile existieren werden müssen. Die Frage ist, in welcher Form, ist das ein Programm, das eingefroren ist, ist es ein Programm, das sich weiter entwickelt, und hier sehe ich natürlich auch einen gewissen tatsächlichen Verhandlungsspielraum.
Sawicki: Trotzdem ist jetzt schon erkennbar, oder scheint da jetzt auch politischer Wille in Pjöngjang zu sein, da jetzt selbst auch auf Annäherung zu setzen. Ist da vielleicht doch ein Sinneswandel in irgendeiner Form eingetreten?
"China könnte irgendwann der lachende Dritte sein"
Frank: Nein. Ich sehe in Pjöngjang überhaupt gar keinen Sinneswandel, wüsste auch nicht, wo der jetzt herkommen sollte. Es geht kurzfristig, mittelfristig eher darum, ein bisschen einen Keil in die Allianz zwischen Südkorea und den USA zu treiben. Das macht man relativ geschickt, indem man im Prinzip solche Bereitschaftserklärungen abgibt. Dagegen kann man ja im Augenblick erst mal relativ wenig sagen. Es gibt wenig Experten, die daran glauben, dass Nordkorea das Atomprogramm offensiv einsetzen möchte. Das heißt, dieses Problem lässt sich durchaus lösen, auch mit Statements und Verträgen. Aber ein Abbau des Atomprogramms – nein, da sehe ich keinen Sinneswandel in Nordkorea, sondern da muss man wirklich realistisch bleiben.
Sawicki: Nun sind das ja die Maximalforderungen. Auf der einen Seite, wie Sie es geschildert haben, dass Nordkorea zum Beispiel die Denuklearisierung Ostasiens einfordert beziehungsweise vielleicht die Reduzierung der amerikanischen Präsenz dort. Umgekehrt wünscht sich Südkorea, dass der Norden sein Atomprogramm deutlich reduziert. Gibt es da auch irgendwie Spielraum für Kompromisse, für Zwischenlösungen?
Frank: Nun muss man zunächst mal verstehen, dass die Südkoreaner ja eigentlich nur deswegen den Abbau des nordkoreanischen Atomprogramms fordern, weil das eine Hauptforderung der USA ist, und das ist der Verbündete von Südkorea. Südkorea selbst ist natürlich bedroht durch das nordkoreanische Atomprogramm. Die sind aber genauso bedroht durch nordkoreanische konventionelle Waffen, chemische Waffen, biologische Waffen. Das heißt, für das Sicherheitsgefühl ist das eigentlich für Südkorea gar nicht so sehr relevant. Südkorea ist fürchterlich bemüht und muss es auch sein, Bündnistreue zu den USA zu demonstrieren, weil das der wichtigste Partner ist.
Nun haben wir aber die Situation, dass Trump gerade dabei ist, alle möglichen Bündnisse zu ruinieren, indem er einen Handelskrieg ankündigt, Strafzölle ankündigt auf Produkte, von deren Export unter anderem auch Südkorea lebt, und das könnte durchaus sein, dass wir hier mittelfristig eine Verschiebung des Gleichgewichts sehen. Es war sehr interessant, wie China reagiert beziehungsweise nicht reagiert im Augenblick. Die schauen sich das an und werden sicherlich hoffen, dann irgendwann der lachende Dritte bei der ganzen Geschichte zu sein.
Sawicki: Bleiben wir erst mal bei Washington, weil die ja immer noch eine wichtige Rolle spielen. Zumindest hat ja Moon Jae In, der Präsident Südkoreas, es geschafft, die USA dazu zu bewegen, auf die Militärübung zu verzichten während der Olympischen Winterspiele. Hat es Moon Jae In vielleicht auch geschafft, ein bisschen den Draht zu Washington zu intensivieren, ihn für seine Zwecke oder für seine Interessen ein bisschen zu gewinnen?
"Der südkoreanische Präsident hat eine fast unmögliche Mission"
Frank: Er hat es zumindest geschafft, anders als einige seiner Vorgänger, diesen Draht mal nicht komplett zu ruinieren. Das war ja ein großes Problem bei den Präsidenten Kim Dae Jung und auch Roh Moo Hyun, die ihrerseits damals die Sonnenscheinpolitik versucht haben, aber da lief es mit Washington gar nicht. Nur wenn wir uns die Statements aus Washington anschauen – ganz ehrlich: Bei Mike Pence heute ein ganz kurzes Statement, in dem quasi immer wieder die harte Haltung der Amerikaner noch mal wiederholt worden ist. Da ist nichts zu erkennen von irgendeiner Annäherung oder Ähnlichem. Der südkoreanische Präsident hat eigentlich eine fast unmögliche Mission, die Amerikaner mehr oder weniger glücklich zu machen und gleichzeitig die Annäherung mit Nordkorea zu betreiben. Das wird sicherlich nicht sehr lange gut gehen, und die Militärmanöver sind nur aufgeschoben, die sind nicht aufgehoben. Die werden Ende März, Anfang April einsetzen und da wird sich auch zeigen, wie Nordkorea zum Beispiel darauf reagiert.
Sawicki: Was die Militärübungen angeht, kommt es da auch darauf an, als Signal Richtung Norden, wie intensiv, wie umfangreich die durchgeführt werden?
Frank: Das ist letztlich eine Frage, wie Nordkorea das gerne interpretieren möchte. Wir hatten durchaus auch schon Jahre, wo die Militärmanöver stattgefunden haben, und aus Nordkorea kam kein Sterbenswörtchen dazu. Die sind einfach ein willkommener Anlass, den Nordkorea entweder stillschweigend ignorieren oder nutzen kann, um auf die Bedrohung der Amerikaner hinzuweisen, darauf hinzuweisen, wie sie den innerkoreanischen Annäherungsprozess unterhöhlen. Ich glaube, es ist gar nicht so wichtig, was sie tun, solange sie irgendetwas tun, und das obliegt dann den Nordkoreanern zu entscheiden, wie sie das gerne interpretieren möchten. Das wird uns, glaube ich, auch sehr viel Aufschluss geben über die strategische Zielrichtung der Nordkoreaner in diesen Gesprächen mit Südkorea.
Sawicki: Dann schauen wir mal auf die Gespräche, die dann jetzt angesetzt sind für Ende April. Sie klingen ja relativ pessimistisch, auch was das Verhältnis von Seoul und Washington angeht im Hinblick auf den Koreakonflikt. Was erwarten Sie jetzt praktisch von diesen Gesprächen?
"Das Treffen an der Grenze zwischen beiden Ländern ist phänomenal"
Frank: Ich bin zunächst mal sehr stark beeindruckt, wie man eine extrem salomonische Lösung gefunden hat für den Ort, wo die Gespräche stattfinden. Das war nämlich gar nicht so einfach. Kim Jong Un wollte sicherlich, dass der südkoreanische Präsident zum dritten Mal nach Pjöngjang kommt. Das hätte aber eine ganz schlechte Optik abgegeben, weil das immer ein bisschen was wie von einem Bittgang hat. Normalerweise sollte so was immer wechselseitig stattfinden.
Gleichzeitig scheut Kim Jong Un den Besuch in Seoul, weil er durchaus nicht unberechtigt Sorge hat, dass das öffentliche Proteste geben wird - das gibt dann eine schlechte Optik. Und sich damit in Panmunjeom zu treffen, genau an der Grenze zwischen beiden Ländern, ist natürlich phänomenal. Technisch gesehen kann jeder in seinem eigenen Land bleiben und trotzdem sitzen sie am gleichen Schreibtisch und können miteinander reden. Das finde ich nicht so schlecht.
Die nordkoreanische Linie ist eigentlich immer gewesen, die innerkoreanische Annäherung voranzutreiben, die Einmischung äußerer Kräfte abzulehnen, und Südkorea muss seinerseits natürlich versuchen, mit Nordkorea ins Gespräch zu kommen, ohne die Amerikaner außen vor zu halten – jedenfalls so lange (und das ist die ganz spannende Frage), wie die USA von allen beteiligten Parteien als relevant angesehen werden. Es ist ja nicht unumstößlich, dass man immer in Washington fragen muss, was sie davon halten. Es könnte ja durchaus der Tag kommen, wo China so dominant wird, dass eigentlich völlig egal ist, ob die Amerikaner damit einverstanden sind oder nicht. Ich kann mir gut ein Szenario vorstellen, wo die Chinesen nach einem Gipfeltreffen verkünden, dass Nordkorea jetzt Einsehen gezeigt hat, dann eine UN-Sicherheitsratsresolution vorlegen, die die Aufhebung der Sanktionen fordert, die Amerikaner legen dagegen ihr Veto ein, die Chinesen erklären daraufhin, dass sie sich nicht mehr gebunden fühlen an diese früheren Resolutionen, und plötzlich spielen die Sanktionen gar keine Rolle mehr, vorausgesetzt Südkorea spielt dabei mit. Wenn Südkorea und Nordkorea sich einigen auf wirtschaftlichen Austausch, wird das unweigerlich in Konflikt mit den bestehenden Sanktionen geraten. Das heißt, dieses Problem wird relativ schnell auf der Tagesordnung auftauchen und man darf sehr gespannt sein, wie die Länder versuchen, dieses Problem dann zu lösen.
Sawicki: Bei uns heute Abend der Ostasien-Experte Rüdiger Frank.
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