Jörg Münchenberg: Es ist erst die vierte Islamkonferenz, zu der ab heute der amtierende Innenminister Horst Seehofer eingeladen hat, obwohl es dieses Forum schon seit 2006 gibt, initiiert vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble. Aber schon vom Beginn an war das Gesprächsforum zwischen Staat und Muslimen von Querelen und auch den unterschiedlichen Interessen geprägt. Die Erfolge sind damit auch nach Ansicht vieler Kritiker eher überschaubar, obwohl es viel zu bereden gibt.
Heute also der vierte Anlauf und am Telefon ist jetzt die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates, selbst Erstunterzeichnerin für die Initiative Säkularer Islam. Frau Ates, einen schönen guten Morgen.
Seyran Ates: Guten Morgen!
Münchenberg: Frau Ates, jetzt neuer Anlauf für die Islamkonferenz. Zunächst einmal der Blick zurück. Was hat das Forum bislang aus Ihrer Sicht gebracht?
Ates: Nun, dass man vielleicht gerade am Anfang miteinander geredet hat beziehungsweise zugehört hat, wenn die anderen geredet haben. Herr Schäuble hat das nämlich wunderbar aufgestellt gehabt. In den Jahren 2006 bis 2009 waren Verbände und Einzelpersonen Teilnehmer der Deutschen Islamkonferenz.
Zum Ergebnis hatte es auch, dass es inzwischen Institutionen für islamische Theologie an verschiedenen Universitäten gibt, die physische Tatsache allein, und dass wir insgesamt seit nunmehr zwölf Jahren versuchen, einigermaßen über die Integration des Islam zu sprechen, wenn ich das als Optimistin positiv bedenke.
Auf der anderen Seite der Medaille – und das ist meiner Ansicht nach das Schwergewicht – ist man nicht wirklich vorangekommen, weil leider sich die Politik mehrheitlich dann schließlich nur für den Dialog mit den Verbänden entschieden hat, und diese Kritik ist ja nicht neu. Dann haben wir die letzten Jahre im Grunde genommen nur noch darüber gesprochen, dass diese Islamkonferenz leider zu keinem guten Ergebnis geführt hat.
"Wollen natürlich mit den Verbänden diskutieren"
Münchenberg: Frau Ates, da gibt es jetzt einen vermeintlich neuen Ansatz. Man setzt jetzt wieder mehr auf Einzelpersonen, auf Initiativen, weg von den Verbänden. Könnte das ein Schlüssel sein, um dieser Islamkonferenz jetzt wieder mehr Gewicht zu geben?
Ates: Das ist ganz, ganz sicher ein Schlüssel, wobei ich sagen muss: Alle Personen, die ich kenne – das gilt jetzt auch für unsere Initiative Säkularer Islam -, uns geht es nicht darum, dass die Verbände gänzlich ausgeschlossen werden. Es sei denn, sie sind auslandsfinanziert, wie zum Beispiel die DITIB, und auslandsgelenkt. Denn sowohl die Initiative jetzt, als auch die Moschee, die ich gegründet habe, oder ich als Einzelperson und viele andere Liberale sagen lediglich, wir wünschen uns und wollen, dass die Pluralität des Islam in Deutschland abgebildet ist auf dieser Konferenz und eben nicht nur durch Verbände, die für sich arroganter Weise seit Jahrzehnten in Anspruch nehmen, dass sie alle Muslime vertreten würden. Insofern ist es gut, dass die Verbände auch da sind, weil wir mit den Verbänden, die auch Muslime vertreten, natürlich diskutieren wollen.
Münchenberg: Sie haben jetzt die DITIB-Moscheegemeinden angesprochen. Die werden wie gesagt vor allen Dingen aus der Türkei finanziert. Das hat indirekt auch der Innenminister jetzt bei der Einladung zur Islamkonferenz kritisiert. Stellt sich natürlich schon auf der anderen Seite die Frage: Warum organisieren sich die säkularen und liberalen Kräfte nicht effektiver, schlagkräftiger?
Ates: 2006 war ich das erste Mal dabei. Ich war die erste Staffel dabei. Herr Schäuble hat uns das vier Jahre lang gefragt, beziehungsweise nicht nur Herr Schäuble, sondern auch Sie und viele Journalisten. Die liberalen Muslime, die säkularen, zeitgemäß den Islam lebenden Menschen haben sich nie organisiert und werden das auch niemals in der Form machen wie die Konservativen, weil die Organisation des Islam immer gleich eine Politisierung bedeutet. Das muss man wissen. Der Islam ist eine sehr individualistische, sehr basisdemokratische, eben eine, die nicht eine Ordination kennt, die Hierarchien kennt, eine papstähnliche Figur akzeptiert. Das passt alles nicht. Das ist der Grund, warum sich die Liberalen bisher nie wirklich organisieren konnten.
Münchenberg: Das heißt aber, man nimmt quasi die Dominanz von DITIB einfach auch letztlich in Kauf?
Ates: Das ist passiert. Da haben Sie vollkommen recht. Das ist genau passiert. Für mich ganz persönlich war das Ende der Deutschen Islamkonferenz, das Ergebnis, dass ich gesagt habe, wir müssen eine Moschee gründen. Deshalb habe ich es getan. Und das ist die gute Nachricht: Inzwischen haben die meisten liberalen Muslime auch verstanden, dass wir irgendeine Form der Organisation brauchen. Wir werden uns sicher nicht so organisieren, wie die Verbände das getan haben oder weiterhin unserer Ansicht nach tun werden, dass sie das eher als eine Organisation für ihre Organisation selbst, also einen Selbstzweck darin sehen, sondern dass wir sehr viel mehr auch in dieser Organisationsform durch Initiativen oder durch Moscheen zeigen wollen, dass es ein anderes Gesicht des Islams gibt. Wir werden uns organisieren, das müssen wir, das ist vollkommen richtig. Da haben Sie auch recht. Man kann auch nicht immer nur auf die Verbände gucken und zeigen und schimpfen und meinen, dass die alles falsch machen. Dann muss man was dagegenstellen.
"Diese Finanzspritze aus dem Ausland muss aufhören"
Münchenberg: Trotzdem gibt es ja auch ein ganz praktisches Problem, denn die meisten Gebäude und Grundstücke zum Beispiel werden ja auch von DITIB kontrolliert. Die bekommen wie gesagt das meiste Geld aus der Türkei. Was können da die Liberalen tatsächlich entgegensetzen?
Ates: Das Finanzielle natürlich nicht. Das ist ja unsere größte Sorge. Das ist die größte Sorge aller liberalen Bewegungen und Oppositionellen gewesen, dass wir nicht Milliarden und Millionen Sponsoren haben. Nichtsdestotrotz muss diese Finanzspritze aus dem Ausland aufhören und mit solchen Organisationen darf man eigentlich nicht an einem Tisch sitzen.
Münchenberg: Ist da nicht der deutsche Gesetzgeber auch gefordert, um diese finanziellen Zuwendungen zu unterbinden und zu erschweren? Kann der deutsche Gesetzgeber da was machen?
Ates: Das ist ein Vorschlag, der auch schon länger nicht nur in der Luft schwebt, sondern diskutiert wird. Österreich hat das gemacht: Sie haben ein Islamgesetz und verbieten Auslandsfinanzierung. Deutschland müsste das auch. Nichts desto trotz: Sie wissen, dass heute die DITIB wieder bei der Deutschen Islamkonferenz anwesend sein wird. Und es ist nicht so, dass die DITIB nicht zurzeit ausgeschlossen wird, sondern sie sind nach wie vor da. Das heißt, die Türkei sitzt heute wieder in der Islamkonferenz, und das ist nicht richtig, meiner Ansicht nach.
Münchenberg: Frau Ates, wie glaubwürdig ist ein Innenminister, der jetzt einlädt zu dieser Islamkonferenz, der auf der anderen Seite gesagt hat, der Islam gehöre nicht zu Deutschland?
Ates: Soviel ich weiß, hat er gestern auf der Pressekonferenz wohl drei- oder viermal auf diese Frage geantwortet, und jedes Mal so inhaltlich – Sie werden es besser wissen. Es geht darum, dass die in Deutschland lebenden Muslime sich integrieren. Sein Satz sei falsch verstanden worden, beziehungsweise er wiederholt das immer wieder. Nichtsdestotrotz ist so ein Satz polarisierend. Das ist nicht in Ordnung. Ich habe das oft auch kommentiert, dass das eine schizophrene Haltung ist, wenn man auf der einen Seite sagt, der Islam gehört nicht zu Deutschland, und auf der anderen Seite weiter mit den Verbänden vor allem arbeitet und eine Islamkonferenz ausrichtet.
Heute werden wir sehen, ob von Herrn Seehofer das, was er eigentlich gesagt haben soll oder gesagt haben wollte, dann auch umgesetzt wird.
Münchenberg: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates. Frau Ates, vielen Dank für das Gespräch.
Ates: Ich danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.