Thekla Jahn: Eines ist wirklich ein Gewinn: Egal in welchem Land wir arbeiten oder – je nachdem, wie unser Job gestrickt ist - mit welchen Mitarbeitern wir es bei Großunternehmen in unterschiedlichen Ländern zu tun haben, mittlerweile können sehr, sehr viele Menschen eine gemeinsame Sprache. "Global Engish" ist das Stichwort. Aber, und das ist die Frage, die sich aktuell stellt: Sollte es in der Schule deshalb nur noch Englisch als Fremdsprache geben? Sind Latein, Französisch, Spanisch, Italienisch oder vielleicht auch Chinesisch uninteressant? Eine heute an der Uni Dresden beginnende Tagung beschäftigt sich genau damit und ich habe einen der Initiatoren vorab gesprochen: Jochen Plikat, Juniorprofessor für Didaktik der romanischen Sprachen an der TU Dresden, der selber übrigens fünf Fremdsprachen spricht.
Von ihm wollte ich wissen, warum man sich denn in Zeiten, in denen man gut mit Englisch durch die Welt kommt und ansonsten auf Übersetzungsapps zurückgreifen kann, überhaupt noch die Mühe machen sollte, andere Fremdsprachen als English zu lernen. Und wäre das so schlimm, wenn man es nicht täte?
Jochen Plikat: Ich denke, dass uns da ein großer Reichtum verlorengeht, den wir in Europa haben und den wir auch pflegen sollten. Wir haben ja insgesamt circa 90 Sprachen in Europa, die gesprochen werden, und das ist nun mal der Kontinent, auf dem wir leben. Und ja, man muss in vielen Gegenden nur wenige Kilometer fahren, um in einen anderen Sprachraum zu gelangen, insofern lohnt sich das durchaus. Dazu kommt aber noch, dass die Sprachen, die in Europa gesprochen werden – also gerade auch die Sprachen, mit denen ich mich beschäftige, zum Beispiel Französisch, Italienisch, Spanisch … Gerade Französisch und Spanisch haben ja als Weltsprachen auch eine ganz wichtige Bedeutung – nach Englisch, zugegeben, klar –, aber denken Sie beispielsweise an Afrika, da ist Französisch eine sehr wichtige Verkehrssprache.
"Ich interessiere mich für deine Welt"
Thekla Jahn: Okay, aber dennoch, auch in Afrika, die meisten Menschen sprechen Englisch. Welchen Mehrwert bringt das denn da, eine andere Fremdsprache außer Englisch zu sprechen?
Plikat: Ja, das ist natürlich richtig, aber die Qualität der Verbindung zu einem Menschen, den ich direkt in seiner Muttersprache ansprechen kann, die ist natürlich eine ganz andere, als wenn sich beide dann in oft ganz passablem Englisch inzwischen, zugegeben, aber eben doch in einer Fremdsprache unterhalten müssen. Die direkte Verbindung bekommt eine neue Qualität. Ich signalisiere ja auch meinem Gegenüber, ich habe deine Sprache gelernt, ich interessiere mich für deine Welt, das sind ganz starke Signale. Sie haben vielleicht selbst schon mal die Erfahrung gemacht, wenn Sie eine Sprache sprechen, die eben nicht Englisch ist, und mit einer Person dann in dieser Sprache sprechen können, das schließt buchstäblich die Herzen sofort auf.
Übersetzungsprogramme ermöglichen rudimentäre Kommunikation
Jahn: Jetzt kann man natürlich einwenden, ich bin jetzt so ein bisschen der Advocatus Diaboli und sage, ja, es gibt ja Übersetzungsprogramme heutzutage. Es gibt Software, und da gebe ich dann eine Phrase ein, die ich übersetzen möchte in eine fremde Sprache, also nicht Englisch, sondern in eine andere Sprache, und ich habe dann einen relativ passablen Satz, und damit kann ich mich ja auch unterhalten.
Plikat: Das mag sein, und das stimmt auch immer mehr. Diese Übersetzungsprogramme werden auch immer leistungsfähiger, aber gerade dieser direkte Kontakt zu den Menschen, der ist natürlich nicht möglich, wenn ich da sozusagen eine Prothese zwischenschalten muss. Die rudimentäre Kommunikation ist möglich, aber vieles, was darüber hinausgeht, dann eben nicht.
Ziel in Europa: Muttersprache plus zwei Fremdsprachen
Jahn: Das sind gute Argumente für Mehrsprachigkeit und genau aus dem Grund hat ja die EU seinerzeit empfohlen, dass jeder Bürger, jede Bürgerin der EU mindestens zwei Fremdsprachen lernen sollte. In Luxemburg oder Finnland ist das bereits Realität, wie ist das bei uns in Deutschland?
Plikat: Wenn Sie sich den internationalen Vergleich ansehen, dann haben wir im EU-Schnitt in der Sekundarstufe I sechzig Prozent der Schüler, die zwei oder mehr Fremdsprachen lernen. In Italien sind es sogar fast hundert Prozent, in Deutschland sind es gerade mal 40 Prozent, die zwei Fremdsprachen lernen. Also, wir haben sechzig Prozent der Schüler, die eben nur Englisch in der Regel lernen, und das ist zu wenig, denke ich, wenn man dieses Ziel Muttersprache plus zwei Fremdsprachen in Europa ernst nimmt.
Die kulturelle Bereicherung einer Fremdsprache
Jahn: Woran liegt das, haben Sie eine Erklärung dafür?
Plikat: Ich denke, es hat sich gerade in den letzten Jahren auch so ein starker Nützlichkeitsgedanke in Bildungssystemen durchgesetzt, also man fragt immer mehr, was kann ich damit jetzt konkret tun mit dem, was ich in der Schule lerne, aber das ist oft kurzfristig gedacht. Der Gewinn, den ich aus einer Fremdsprache ziehe, der ist oft gar nicht so direkt, sagen wir mal, Arbeitsmarktüberlegungen zu übersetzen, sondern der spielt sich oft auf einer ganz anderen Ebene ab. Denken Sie an die enorme kulturelle Bereicherung, die es darstellt, wenn ich eine Fremdsprache lerne – beispielsweise Spanisch, Französisch, Italienisch, Russisch –, das schließt mir einen ganz neuen Kulturraum auf und nebenbei natürlich auch den Zugang, den direkten Zugang zu mehreren hundert Millionen Menschen in den Fällen, die ich jetzt genannt habe als Beispiel. Und das ist schon eine enorme persönliche Bereicherung, die man in der Schule vielleicht noch gar nicht direkt vorhersehen kann, aber die auf jeden Fall kommen wird, wenn man dann den Menschen aus diesen Sprachräumen eben direkt begegnet.
Zweite Fremdsprache gekippt: "sehr unglückliche Entwicklung"
Jahn: Wie wollen Sie mit Ihrer Tagung, aber auch darüber hinaus, die Attraktivität von Fremdsprachen, also neben dem Englischen, in der Schule erhöhen? Haben Sie da Rettungsstrategien parat?
Plikat: In erster Linie wollen wir die Diskussion über dieses aus meiner Sicht sehr wichtige Thema anstoßen. Es gibt manchmal Entwicklungen, die sozusagen nebenbei auf administrativer Ebene passieren und dann doch ganz erhebliche Auswirkungen haben. Denken Sie an die Verpflichtung in der gymnasialen Oberstufe, eine zweite Fremdsprache auch weiterzuführen – das ist in manchen Bundesländern, zum Beispiel in Sachsen, inzwischen gekippt worden. Also nach der zehnten Klasse können die Gymnasialschüler dann die zweite Sprache abwählen, und genau das passiert auch. Und ich denke, das ist tatsächlich eine sehr unglückliche Entwicklung, wenn wir dieses europäische Ziel der Muttersprache plus zwei, also dieser pfiffigen Formel Muttersprache plus zwei, erreichen wollen. Das bekommen wir natürlich nicht hin, wenn wir zulassen, dass Muttersprache plus eins der Normalfall ist für viele.
Jahn: Ein Plädoyer für Mehrsprachigkeit. Das war Jochen Plikat, Juniorprofessor für Didaktik der romanischen Sprachen an der Technischen Universität Dresden, an der in diesen Tagen eine Tagung zur Mehrsprachigkeit stattfindet. Danke Ihnen für das Gespräch!
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