[Anm. d. Red.] In der Bildunterschrift haben wir ein fehlendes Wort ergänzt.
Noch immer erinnert in dem österreichischen Dorf Hirtenberg nichts an die Zwangsarbeiterinnen, die in der großen Munitionsfabrik Patronen für den Endsieg herstellten. Hier wurde im September 1944 eine der vielen Außenstellen des Konzentrationslagers Mauthausen eingerichtet. Im sogenannten Weinberglager waren fast vierhundert Frauen inhaftiert. Die Autorin Didi Drobna findet in ihrem Roman "Was bei uns bleibt" einen interessanten literarischen Ansatz, um von dieser Situation zu erzählen. Sie versetzt sich in die Arbeiterin Klara, die zum Heer der Frauen gehörte, die während des Kriegs für die Produktion angeworben wurden:
"Ich wusste nicht viel über Munition oder über Waffen. 'Frauen in die Fabrik!', hieß es. Ich kam aus einem kleinen Dorf vom Land. Hirtenberg schien mir schon wie eine Großstadt, mit all den militärischen Betrieben und den Tausenden Arbeiterinnen in den Produktionsstätten, dem Arbeiterlager mit Hunderten Kriegsgefangenen. Und jetzt war ich eine von ihnen. Eine echte Hirtenbergerin. Ich war kriegswichtiges Personal. Der Gedanke gefiel mir. Er machte mich stolz."
"Ich wusste nicht viel über Munition oder über Waffen. 'Frauen in die Fabrik!', hieß es. Ich kam aus einem kleinen Dorf vom Land. Hirtenberg schien mir schon wie eine Großstadt, mit all den militärischen Betrieben und den Tausenden Arbeiterinnen in den Produktionsstätten, dem Arbeiterlager mit Hunderten Kriegsgefangenen. Und jetzt war ich eine von ihnen. Eine echte Hirtenbergerin. Ich war kriegswichtiges Personal. Der Gedanke gefiel mir. Er machte mich stolz."
Wie sich Kriegstraumata vererben
Die Protagonistin in Didi Drobnas Roman ist 18 Jahre alt, als sie im Sommer 1943 nach Hirtenberg kommt. Die Autorin lässt Klara sehr präzise von den Arbeitsabläufen in der Patronenherstellung erzählen, aber auch von ihren Kolleginnen, von dem Leben in den Baracken und von der Angst vor Bombenangriffen. Auf einer zweiten Ebene, die in der Gegenwart spielt, berichtet der Roman von der 84jährigen Klara, die ihren Enkel Luis nach dem Krebstod ihrer Tochter allein aufgezogen hat, sowie von ihrem Nachbarn Horst und dessen Tochter Dora, einem rätselhaft wilden Mädchen. Dabei wird deutlich, dass es Didi Drobna in "Was bei uns bleibt" auch um die Auswirkungen geht, die ein Kriegsgeschehen auf die Betroffenen und ihre Nachkommen hat. Ein Trauma vererbt sich eben auch durch das eiserne Schweigen, in dem die Kriegsgeneration verharrte.
Die junge Klara ist keine Gegnerin des NS-Regimes. Als aber die Häftlingsfrauen aus dem Konzentrationslager in ihrer unterirdischen Fabrik ankommen, beginnt ihre Weltsicht zu bröckeln:
"Ich kann mich genau an den Moment erinnern, in dem der Direktor seine neuen Arbeiterinnen besah. Sein Blick schweifte über ihre Köpfe hinweg. Über ihre dünnen Wollwesten und die löchrigen Mützen. Wie sie sich auf beiden Seiten der Treppe auffädelten. Ihr Geruch entfaltete sich in wenigen Minuten in der Wärme der ganzen Werkstatt. Schweiß, zu oft getragene Kleidung, Ausschläge und nässende Wunden. Der Direktor gab sich keine Blöße. Er nickte knapp, aber nicht unfreundlich. Dabei sahen wir es alle. Ihre mageren Gliedmaßen wirkten wie die langen Arme und Beine von Heuschrecken. Es gruselte mich. Sie sahen müde und verlassen aus, aber über allem lag deutlich die Angst. Ich konnte sie riechen."
"Ich kann mich genau an den Moment erinnern, in dem der Direktor seine neuen Arbeiterinnen besah. Sein Blick schweifte über ihre Köpfe hinweg. Über ihre dünnen Wollwesten und die löchrigen Mützen. Wie sie sich auf beiden Seiten der Treppe auffädelten. Ihr Geruch entfaltete sich in wenigen Minuten in der Wärme der ganzen Werkstatt. Schweiß, zu oft getragene Kleidung, Ausschläge und nässende Wunden. Der Direktor gab sich keine Blöße. Er nickte knapp, aber nicht unfreundlich. Dabei sahen wir es alle. Ihre mageren Gliedmaßen wirkten wie die langen Arme und Beine von Heuschrecken. Es gruselte mich. Sie sahen müde und verlassen aus, aber über allem lag deutlich die Angst. Ich konnte sie riechen."
Auf dem Todesmarsch
Klara wird eine slowakische Jüdin namen Lujza Majer zugewiesen, die vom Alter her ihre Mutter sein könnte. Trotz des Sprechverbots in der Produktion entwickelt sich eine Zuneigung zwischen den beiden Frauen. Als im April 1945 die Sowjetarmee vor Hirtenberg steht, werden die Maschinen abtransportiert und die Arbeiterinnen sich selbst überlassen. Das Konzentrationslager wird geräumt, die inhaftierten Frauen werden von ihrem Wachpersonal auf einen Todesmarsch getrieben. Klara folgt dem Zug der Frauen – und in einer wahnwitzigen Aktion gelingt es ihr, einigen von ihnen zur Flucht zu verhelfen.
Es verwundert nicht, dass Klara über ihre Zeit in Hirtenberg erst kurz vor ihrem Tod zu erzählen beginnt. Genauso hatte Doras Großmutter über ihre Zeit als Wolfskind geschwiegen, aber sie hatte ihren Kindern alles über das Überleben im Wald beigebracht. Dennoch gibt Didi Drobna ihren Romanfiguren eine Chance: durch gegenseitige Unterstützung kommen sie sich näher und überwinden die tief in ihnen sitzende Einsamkeit.
"Was bei uns bleibt" ist kein sarkastischer Anti-Heimat-Roman, wie manche österreichischen Bücher, die sich mit der NS-Zeit befassen. Didi Drobna verfolgt eher einen didaktisch-versöhnlichen Ansatz. Sie schreibt, sorgfältig recherchiert, an den historischen Tatsachen entlang und stellt die Menschen, die jene Zeit erlebten, ausgesprochen differenziert dar. Mit ihrer fiktiven Erzählerin Klara als Augenzeugin gelingt es der Autorin, die Ereignisse in all ihrer Brutalität anschaulich darzustellen.
Didi Drobna: "Was bei uns bleibt".
Piper Verlag, München, 256 Seiten, 20 Euro.
Piper Verlag, München, 256 Seiten, 20 Euro.