Ein paar Frauen treiben Yoga am Strand, üben sich in Aufmerksamkeit für die mediterrane Umgebung. Doch zwischen Wellenrauschen und Vogelgezwitscher entgeht ihnen die Gruppe von Frauen, Männern und Kindern, die sich in der Nähe versammeln. Kinder schnallen sich Schwimmgürtel aus leeren Plastikflaschen um. Eine ferngesteuerte Drohne landet und bringt einen Rettungsring vom anderen Meeresufer mit der Aufschrift: Refugees Welcome. Dann beginnt die Musik, in der der syrische Rapper Hajar die Geschichten von Flüchtlingen erzählt.
Es ist der Sound der 9. Berlin Biennale. Das Video "Homeland" von Halil Altindere mit dem Soundtrack von Rapper Abu Hajar ist Teil des Biennale-eigenen Musikprogramms, das man unter dem Titel "Anthem" als limitierte Serie von Zwölf-Inch-Vinyl-Singles kaufen kann. Das Foyer der Akademie der Künste am Brandenburger Tor wurde für das Merchandising-Programm der Berlin Biennale eigens in einen Shop umgewandelt, wo man auch T-Shirts und Tops kaufen kann, die der letzte Schrei sind.
Weiter drinnen bietet die New Yorker Künstlergruppe Debora Delmer Corp. standesgemäß für das typische Biennalen-Publikum eine Detox-Bar mit veganen Weizengras-Ingwer-Säften an. Man kann aber auch das Biennale-eigene Fitnessstudio besuchen oder sich an den einfach gehaltenen Leuchtkastenreklamen und Loungemöbeln und künstlich angelegten Pflanzenbiotopen erfreuen, die sich über die frei gestaffelten Etagen verteilen. Wer es gewohnt ist, in den Pop-Up-Stores der Regent Street in London oder im Meet Packing District von New York, muss seine Wahrnehmung auch hier nicht groß umstellen.
Berlin-Mythos der 90er ist passé
Es ist die Ästhetik der "Upward Mobility", der sozialen Distinktion, sich über den Konsum als, nun ja, besseren, umweltbewussteren, über die Probleme der Welt informierteren Teil der Gesellschaft darzustellen. Ein verbreitetes Modell privater Selbstinszenierung, das sich freilich in Berlin mit seinem nach wie vor realen Bevölkerungsdrittel an Hartz-IV-Empfängern besonders krass abhebt. Das New Yorker Künstlerkollektiv DIS, das vor zwei Jahren als Kuratorenteam der 9. Berlin-Biennale benannt wurde und seither die Stadt erkundet hat, hat sehr wohl registriert, dass es mit dem Mythos der 1990er-Jahre von der billigen Kreativ-Metropole mit den vielen Brachflächen nicht mehr weit her ist. Dieser Befund ist zwar nicht neu, aber er schlägt sich nun zum ersten Mal auch bei Berlins kreativer Vorzeigeveranstaltung nieder. Wer sich in die Akademie der Künste begibt, findet hier einen bewusst inszenierten Nicht-Ort vor, ein Schlachtfeld der konsumistischen Selbstverklärung, das die Besucher schonungslos zu Dummies für die Mitmach- und Animationswelten verwendet. In den Kunstwerken Berlin, der Wiege der Berlin-Biennale und auch in diesem Jahr ein weiterer Hauptspielort, finden sich dazu ein paar vertiefende künstlerische Anmerkungen.
Etwa von einer noch jungen Amerikanerin namens Cécile B. Evans, die den gesamten großen Saal der Kunstwerke geflutet hat und darin eine digitale Projektion zeigt einer Distopie, in der sich Virtualität und Lebenswelt vermischen: Klonkinder mit Pflegeroboter im Schlepptau, unsterbliche Zellen, Körperteile mit Eigenleben. Die Niederländerin Anne de Vries entwirft anhand einer Videoinstallation das Bild gewaltigen Menschenmasse, die von einem noch gewaltigeren Open Air Konzert mit gigantischer Lichtshow unter Kontrolle gehalten und zu einer buddhistisch anmutenden Gemeinschaft umfunktioniert wird. Der US-Amerikaner Josh Kline wiederum versetzt in seinen 3D-Renderings die führenden Politiker der Bush-Ära eine Irrenanstalt, wo sie, in Gefängsnisoveralls gekleidet, vor sich hin wimmern: "Es tut mir so leid", "Was habe ich bloß getan". Unwahrscheinliche Akte öffentlicher Reue für ungestrafte Kriegsverbrechen, die einen nicht kalt lässt.
Das sind Höhepunkte dieser Biennale, die einiges wagt und es dabei mitunter an einer Vielzahl anderer prägnanter Künstlerpositionen fehlen lässt. Da wäre noch viel mehr möglich gewesen.
Alle jene aber, die die Biennale schon überschwänglich dafür feiern, wie niederschwellig sie jetzt endlich sei und wie erfrischend wenig Berlin und seine Kunst- und Sozialdebatten diesmal bei ihr vorkämen – sie alle sollten vielleicht doch noch einmal einen zweiten Blick auf dieses zweifellos ernüchternde Spiegelbild des gegenwärtigen Berlins werfen.