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"Die abhandene Welt"
Rekonstruktion einer Familiengeschichte

In Margarethe von Trottas neuem Film "Die abhandene Welt"spielen Katja Riemann und Barabara Sukowa die beiden Protagonistinnen. Der Film sei ein schwieriger Balanceakt zwischen ausgedacht und authentisch, den die Regisseurin mit einer hervorrangenden Darstellerriege mühelos meistert, meint unser Kritiker Joksef Schnelle.

Von Josef Schnelle | 02.05.2015
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    Katja Rieman (l.) und Barabara Sukowa beim RadioEins Berlinale-Nighttalk am Rande der 65. Internationalen Filmfestspiele Berli (imago stock&people)
    "Ich bin ganz zufällig auf diesen Artikel gestoßen. Von Zeit zu Zeit les ich jetzt die "Times"."
    "Verblüffend. Doppelgängerin."
    "Das gibt's nur in der Literatur."
    "Du weißt doch wie viele Madonnas und Michael Jacksons herumlaufen."
    "Die tun nur alles um ihr Idol zu imitieren. Ich glaub kaum, dass das Idol dieser Frau deine Mutter ist."
    Vater Paul verunsichert Sophie, die sich als Nachtclubsängerin und als Veranstalterin von "freien Trauungszeremonien" über Wasser hält. Die Opernsängerin Caterina auf dem Bild in der "Times" sieht tatsächlich ihrer verstorbenen Mutter Evelyn sehr ähnlich. Im Leben der Mittvierzigerin Sophie läuft es sowieso im Augenblick nicht sehr rund. Also lässt sie sich überzeugen, nach New York zu reisen und der Sache auf den Grund zu gehen. In der Metropolitan Opera hört sie zum ersten Mal den betörenden Gesang der rätselhaften Fremden.
    Nach dem Auftritt versucht sie Caterina in ihrer Garderobe zu überrumpeln und stößt auf eine verschlossene, unnahbar wirkende Frau, die ihrer Mutter zwar unglaublich ähnlich sieht, aber offenbar keinerlei Kontakt wünscht. Sophie ist so eingeschüchtert, dass sie es nicht einmal fertig bringt, ihr Anliegen vorzubringen.
    "Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss ihnen sagen, dass mich ihre Stimme fasziniert hat. Ich danke Ihnen. Ich wollte nämlich fragen – ich singe auch."
    "Wie schön."
    "Aber jetzt nicht Oper oder Klassik, sondern mehr so anderen Kram."
    Hier in New York?"
    "Ne leider nicht, sondern in Deutschland."
    Die ersten Zeichen sind gesetzt. Nur über den Kontakt zu Caterinas Agent kommt Sophie der verletzlichen Sängerin doch noch näher. Denn der Agent hat sich in sie verliebt. Für Caterina handelt es sich bei Sophies These allerdings eindeutig um Hirngespinste. Erst durch eine geheime Begegnung mit Caterinas "Mutter", wie sich später herausstellt Stiefmutter, Rosa, die dement im Pflegeheim lebt kommt Sophie, den Familiengeheimnissen, deren Teil auch sie ist, auf die Spur.
    Offenbar hat es eine verschwiegene Adoption gegeben, die sich erst jetzt aufklären lässt. Der Grund dieser Adoption war ein Seitensprung von Sophies Mutter, die aber nicht wie verabredet ihr Kind abtrieb, sondern es in Rom gebar und zur Adoption freigab.
    Regisseurin erzählt eigene Geschichte
    Margarethe von Trotta selbst ist eine ganz ähnliche Geschichte von zwei Schwestern, die nichts voneinander wissen, passiert. Nach dem Tod ihrer Mutter meldete sich bei ihr eine Frau, die behauptete ihre Schwester zu sein und das auch tatsächlich war. Vielleicht deshalb hat Margarete von Trotta das Thema Schwestern so umgetrieben, das sie verklausuliert in mehreren Filmen zum Beispiel 1979 in "Schwestern oder die Balance des Glücks" behandelte.
    Jetzt beschäftigt sie sich ganz ungeschminkt mit ihrer wahren Schwestern-Geschichte und hat dafür Katja Riemann und natürlich ihre wichtigste Darstellerin Barbara Sukowa, die zuletzt in ihrem Film Hannah Arendt verkörperte, verpflichtet. Beide Schauspielerinnen repräsentieren ein sehr selbstbewusstes Frauenbild und beide singen. Barbara Sukowa wie wir hörten Oper und Katja Riemann Blues und Jazz. Natürlich bekommt auch sie im Film die Gelegenheit das zu demonstrieren.
    Die schwierige Balance zwischen ausgedacht und authentisch schafft Margarethe von Trotta mit einer bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragenden Darstellerriege mühelos. Ein paar Wendungen zu viel in der komplizierten Geschichte um Liebe, Schuld und Schicksalsmächte sind vielleicht zu viel des Guten. Es bleibt am Ende die Frage wer denn nun eigentlich Caterinas Vater sei, auf die eine nicht wenig verblüffende Antwort wartet, die hier vielleicht lieber doch nicht verraten werden soll. Eifersucht brennt doch für alle Ewigkeit.
    "Wer ist ihr Vater? Ich finde sie hat ein Recht darauf, das zu erfahren."
    "Wer ist Caterinas Vater. Du weißt das doch."
    "Ich hab den Namen vergessen."
    "Du weißt den Namen. Hat er hier in der Stadt gelebt mit euch."
    "Zunächst schon. Aber dann ist er weggezogen. Nach München, glaub ich."