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Die Abwärtsspirale aufhalten

Die Wahl von François Hollande in Frankreich mischt Europa auf. Seine Appelle nach mehr Wachstumsimpulsen in Europa stoßen insbesondere im Süden Europas auf Zustimmung. Denn auch die Sozialisten fordern seit Monaten eine Aufweichung des Spardiktats und eine neue europäische Wachstumspolitik, die Teil des EU-Fiskalpaktes sein soll.

Von Tilo Wagner |
    Ob Gewerkschaftsführer, Oppositionspolitiker oder Staatspräsident - in Lissabon wird nach den Wahlen in Frankreich heftig über den Sparkurs für Portugal und Europa gestritten. Die Sozialisten stehen dabei im Zentrum der Diskussion um eine neue wirtschaftspolitische Ausrichtung. Bisher hatte die größte Oppositionspartei die Umsetzung des Spar- und Reformprogramms unterstützt, das vor fast genau einem Jahr mit der Troika aus EU, IWF und der Europäischen Zentralbank ausgehandelt worden war. Doch angesichts von über 15 Prozent Arbeitslosenquote und einer tiefen Wirtschaftsrezession fordern die Sozialisten seit Wochen neue Wachstumsimpulse für das hoch verschuldete Land. Der Gründervater der Partei und ehemalige Staatspräsident Mário Soares rief jetzt in einem Interview mit einer portugiesischen Tageszeitung sogar offen zum Bruch mit der Troika auf. Das könne ein entscheidender Wendepunkt für die Partei sein, sagt der Politologe André Freire:

    "Mário Soares wollte ein Zeichen setzen - für die Sozialisten, aber auch für die ganze Gesellschaft. Soares hat eine enorme Begabung, politische Entwicklungen in Europa vorauszusehen. Trotzdem muss man ihn nicht direkt beim Wort nehmen. Es geht auch nicht so sehr darum, dass die Sozialisten vom Abkommen mit der Troika abweichen. Es reicht, wenn sie gegen das sind, was die Mitte-Rechts Koalition umsetzt. Denn die Regierung geht über die Ziele der Troika weit hinaus."

    In der Tat haben die Reformpläne von Premierminister Pedro Passos Coelho längst eine Eigendynamik entwickelt. Dank massiver Investitionskürzungen und Einkommensverminderungen im öffentlichen Sektor ist das Staatsdefizit weit unter die 4,9 Prozent gedrückt worden, die die Troika für 2011 angepeilt hatte. Und auch das neue Arbeitsgesetz sieht wesentlich drastischere Maßnahmen bei der Aufweichung des Kündigungsschutzes und der Arbeitszeiterhöhungen der Arbeitnehmer vor, als es die Troika fordert. Und dennoch sind die Aussichten eher trüb: Wirtschaftsexperten sind sich einig: Falls die Zahl der Arbeitslosen weiter ansteigt oder der Export einbricht, könnte Portugal trotz aller Sparanstrengungen eine neue Finanzspritze aus Brüssel benötigen. Die Sozialisten weisen schon seit Langem auf die Gefahren einer tiefen Wirtschaftsrezession hin. Eine Neuverhandlung des Reformprogramms oder ein Bruch mit der Troika, wie das Mário Soares fordert, kommt für den sozialistischen Fraktionsführer, Carlos Zorrinho, allerdings derzeit nicht infrage.

    "Die sozialistische Partei erfüllt immer das, was sie vereinbart hat. Die Ziele der Troika, die wir mit ausgehandelt haben, sind für uns weiter richtungsweisend. Aber wir glauben auch, dass wir die Sparziele erreichen und trotzdem eine Wachstumspolitik anstoßen können, um die Abwärtsspirale aufzuhalten. Und in diesem Punkt stimmen wir mit den Gedanken von Mário Soares überein."

    Diese Uneinigkeit in der sozialistischen Partei scheint die konservative Regierung unter Passos Coelho bewusst auszunützen. Vor knapp einem Monat votierten die Sozialisten für den EU-Fiskalpakt und rechneten damit, dass die Regierung in einem gemeinsamen Zusatzdokument auf die Notwendigkeit von Wachstumsimpulsen aus Brüssel hinweisen würde. Doch daraus wurde nichts: Die Mitte-Rechts-Koalition stimmte dagegen. Das Verhältnis zwischen Sozialisten und Regierung hat sich seitdem sichtbar verschlechtert. Viele sozialistische Oppositionspolitiker scheinen sich aus der politischen Starre zu befreien, in die sie nach dem finanzpolitischen Desaster und der Wahlniederlage des ehemaligen sozialistischen Premierministers José Sócrates vor einem Jahr verfallen waren.

    Politische Beobachter sind der Meinung, dass von einer klaren Neupositionierung der Sozialisten nicht nur die Partei profitieren würde. So glaubt der Politologe André Freire, dass eine scharfe Abgrenzung der größten Oppositionspartei von der Regierung unbedingt notwendig ist, damit das politische System in Portugal nicht noch mehr Vertrauen in der Bevölkerung einbüßt:

    "Das Negativbeispiel aus Griechenland lastet natürlich schwer auf den Schultern der Sozialisten. Sie wollen eine verantwortungsbewusste Kraft sein, auch weil der Druck aus dem Ausland oder von der öffentlichen Meinung gewaltig ist. Doch die Parteien müssen an ihre Wähler denken - insbesondere in Portugal, wo das Vertrauen in die Demokratie schwindet."