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Die Ära Janowski beim RSB
Ein Opernmann durch und durch

2002 nahm Marek Janowski seine Arbeit als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin auf. Schnell brachte er die Musiker wieder zum Erfolg und verhinderte zudem sparbedingte Fusionspläne. Nun endete seine Zeit beim RSB. In einem Rückblick spricht der Dirigent über die mangelhafte musikalische Bildung von Kindern und wann er seine Karriere beenden will.

Von Uwe Friedrich |
    Marek Janowski - Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB)
    Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin: Marek Janowski - am liebsten würde er Musikern nur mittels seiner makellosen Dirigiertechnik zeigen, was er von ihnen will. (Jean-François Leclercq)
    Zitat Marek Janowski: "Man muss sich bemühen, dem fundamentalen Sinn der kompositorischen Aussage eines Werks gerecht zu werden. Nicht recht zu haben."
    Als Marek Janowski im Jahr 2002 Chefdirigent des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters wurde, galten die Musiker als bestenfalls mittelprächtig, waren ständig von Fusions- oder Schließungsplänen bedroht. Schnell brachte er den Klangkörper mit harter Arbeit wieder auf Vordermann. Dabei eilte ihm schon der Ruf eines Orchestererziehers voraus, denn er gilt als Perfektionist, der keinen Schlendrian duldet. Offenbar wollten die Musiker nach Rafael Frühbeck de Burgos wieder einen musikalischen Leiter, der auch auf die Kleinigkeiten achtet. Marek Janowski:
    "Dass die Dinge, die in der Partitur übereinander stehen, auch randscharf über einander zu hören sind. Dass klangliche Dinge, wer vielleicht an einer bestimmten Phrasierung etwas Wesentlicheres zu sagen hat als ein anderer, in die richtigen Balancen hinein gebracht wird. Da kann ein Dirigent natürlich viel machen, das ist klar. Aber das ist ja nicht oder sollte dann nicht des Endprodukt vom Proben sein, was man dann dem Publikum vorführt, sondern auf dieser Grundlage, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, und oft, das gebe ich allerdings zu, auch woanders nicht so richtig selbstverständlich ist, sollte dann etwas Interpretatorisches sich entwickeln."
    Janowskis Wutausbrüche sind legendär, wenn eine Probe nicht zu seiner Zufriedenheit läuft. Dabei würde er eigentlich auch auf einer Probe am liebsten gar nicht reden, sondern den Musikern nur mittels seiner makellosen Dirigiertechnik zeigen, was er von ihnen will:
    "Das geht ja bei zeitgenössischer Musik alles gar nicht mehr und das hat bei späteren Musikergenerationen auch dazu geführt, die mit den krummen Taktzahlen eines Messiaen oder eines Henze oder ich-weiß-nicht- was aufgewachsen sind, dass man sagt, also jetzt gucken wir mal nach dem Taktstock und dann werden wir das schon regeln irgendwie, das geht gar nicht. Das hat rückwärts gewendet auch einen Einfluss auf das, wie ich in einer Symphonie von Brahms ein Calando, einen Übergang gestalte und trotzdem darauf achte, dass sie alle bei jeder Durchgangssechzehntel genau übereinander sind."
    Sattere Streicherklänge und Blechbläser mit mehr Biss
    Schnell bemerkten Publikum und Kritiker den Qualitätssprung des Orchesters. Der Streicherklang wurde satter, die Blechbläser spielten mit mehr Biss, die Holzbläser homogener. Und doch musste sich das Rundfunk-Sinfonieorchester seinen Platz in der Spitzengruppe der Berliner Orchester erst wieder erkämpfen. Neben den umtriebigen Medienlieblingen Simon Rattle bei den Philharmonikern und Daniel Barenboim mit der Staatskapelle schien wenig Platz, aber Janowski wollte auch nicht in Konkurrenz treten mit den Geschwindigkeits- und Lautstärkeexzessen Rattles oder den Langsamkeitsrekorden Barenboims. Marek Janowski:
    Der Dirigent Marek Janowski.
    Marek Janowski führte das Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester wieder zum Erfolg. (picture-alliance/ dpa / Hermann Wöstmann)
    "Also wenn ich versuchen würde, sowohl gestisch als auch durch interpretatorische Dehnung oder Überdehnung in ein Feuerwerk anzurichten, ich könnte das. Aber ich finde, das ist vielleicht eine sehr bürgerliche Antwort, ich finde das irgendwie ein bisschen unehrenhaft. Da habe ich eine gewisse Scheu davor. Man sollte dann doch das Wesen einer bestimmten musikalischen Idee bei Beethoven dann eben auch erkennen können. Es gibt hier doch eine Menge im Interpretatorischen, wo man eigentlich sich fragt, was dirigiert der da oder was spielen die da. Wem das gut gefällt, dem sei das unbenommen."
    Der Aufgabenbereich der Symphonieorchester ist in den letzten zwanzig Jahren immens gewachsen. Nur schöne Konzerte am Abend zu spielen reicht schon lange nicht mehr. Die großen Musikinstitutionen müssen ersetzen, was die Schule versäumt, wenn sie auch in zwanzig Jahren noch ein Publikum haben wollen. Auch das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin tummelt sich erfolgreich im Feld der Education-Projekte, aber Marek Janowski ist skeptisch:
    "Alle Orchester mit ihren Musikern haben Education-Programme und führen da kleine Kinder, toll, ganz toll. Lassen kleine Kinder eine Trommel spielen und zeigen eine Trompete und so weiter. Gott sei Dank, dass es so ist, und trotzdem ist es nichts anderes, diese Altersgeneration betreffend als, verzeihen Sie das klingt sehr zynisch, Kinderbespaßung. Es ist leider so, weil danach, wo was kommen müsste, wenn die zehn oder elf sind, nichts passiert. Da haben wir noch Enormes nachzuholen für Generationen."
    Ein Opernmann durch und durch
    So verdienstvoll diese Projekte sind, einen fundierten Musik- oder gar Instrumentalunterricht können sie auf keinen Fall ersetzen, ist Janowski überzeugt.
    "Das muss überhaupt nicht zur Musikliebe führen, sondern nur zu der Tatsache führen, dass ein Obersekundaner oder Unterprimaner einfach weiß, dass Haydn vor Beethoven komponiert hat. Und das Wagner viel später als Beethoven war. Fragen Sie mal, da erleben Sie entsetzliche Geschichten."
    Als Opernmann durch und durch bezeichnet sich Marek Janowski, auch wenn er seit Jahren mit wenigen Ausnahmen keine szenischen Aufführungen mehr dirigiert hat. Stattdessen standen beim Rundfunk-Sinfonieorchester immer wieder konzertante Aufführungen auf dem Programm. Höhepunkt war zweifellos der Zyklus der zehn großen Wagner-Opern, deren Deutschlandradio-Mitschnitt sich auch auf CD hervorragend verkauft. Die symphonischen Programme des Chefdirigenten waren vor allem durch das klassisch-romantische Repertoire geprägt, die Symphonien von Schumann und Brahms, und Beethoven natürlich. In den Hintergrund trat hingegen die ursprüngliche Aufgabe der Rundfunkorchester, nämlich die Förderung zeitgenössischer Komponisten. Marek Janowski:
    "Mein Wunsch, das zu tun, ist geringer geworden im Laufe der letzten zehn, fünfzehn Jahre. Mein Glaube an den Entwicklungsstrang, dass dieses oder jenes aus der zeitgenössischen Musik vielleicht auch in 50 Jahren noch gespielt würde, ist nicht größer geworden, so möchte ich es sehr euphemistisch, vorsichtig, bedeckt ausdrücken. Und das ist etwas, was mich ein bisschen traurig macht. Vielleicht habe ich dafür auch nicht die richtige Antenne, ich weiß es nicht."
    Janowski durchkreuzte Fusionspläne
    Ebenfalls ein Zeichen unserer Zeit ist die permanente Bedrohung der Orchester durch Sparauflagen der Kulturpolitiker. Als Marek Janowski im Jahr 2002 das RSB übernahm, hätte kaum jemand auf seinen Fortbestand gewettet. Um 2009 herum standen Fusionspläne mit dem Deutschen Symphonie-Orchester, dem anderen Orchester der Rundfunkorchester und –chöre Berlin GmbH, bedrohlich im Raum. Dass es dazu nicht kam, ist auch Marek Janowskis Einsatz im Hintergrund zu verdanken:
    "Ich habe das hier in den Berliner Jahren sehr intensivieren können, dass man einfach die so genannten Vieraugengespräch mit bestimmten Politikern, die gar nicht unbedingt direkt an den Entscheidungen dran sind, aber dass man durch Überzeugung für zumindest, sagen wir einmal wohlwollende Politiker Argumentationshilfen schafft, dass sie nachvollziehen können, warum es vielleicht besser ist, auf eine Fusion oder eine Stellenstreichung hier oder da mal zu verzichten. Da sage ich in aller Vorsicht, habe ich mich hier in Berlin ganz schön getummelt, und das freundliche der meisten Politiker, egal von welcher Partei auch, sowohl städtisch als auch bundespolitisch, war halt immer, dass sie mir das dann geglaubt haben, was ich gesagt habe."
    Nicht jedes Konzert in den 14 Jahren als Chefdirigent ist dem Marek Janowski gleich gut gelungen, das räumt er auch unumwunden ein. Immer wieder verblüfft ihn, wie unterschiedlich die Wirkung auf den ausführenden Musiker einerseits und das andererseits Publikum sein kann:
    Ein Violincello
    Ein Cello oder doch ein Kontrabass? Marek Janwoski kritisiert die mangelhafte musikalische Ausbildung von Kindern. (Deutschlandradio / Bettina Straub)
    "Man hat öfter mal das Erlebnis, dass man selber denkt, das war eigentlich ganz gut heute, und bestimmte Leute finden es überhaupt nicht oder Musiker finden das überhaupt nicht. Oder man denkt, heute war es nicht so doll, und andere Musiker, die durchaus seriös und ernsthaft sind, fanden das nun eine ganz tolle Aufführung. Es hängt auch immer mit der persönlichen Disposition am Abend zusammen, aber ich habe hier, wenn man vom Berliner Neunte-Beethoven-Kanon sprechen, habe ich hier wirklich beweisbar und nachweisbar schwächere und bessere Aufführungen erlebt. Und trotzdem ist das Erlebnis, dieses Stück immer wieder zu gestalten, gestalten zu dürfen, für mich ein ganz großes."
    Dirigenten kennen kein Rentenalter
    Auch nach dem Abschied vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ist von Marek Janowski noch viel zu erwarten. Gerade erst ist er für den erkrankten Riccardo Chailly bei den Berliner Philharmonikern eingesprungen, im Sommer dirigiert er wieder Wagners "Ring des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen, neben zahlreichen anderen Verpflichtungen ist auch Beethovens Neunte in zwei Jahren bereits fest verabredet. Dirigenten kennen kein Rentenalter, aber selbst in dieser Hinsicht ist Marek Janowski ganz der Pragmatiker, der sich auch in seinen Interpretationen der großen Meisterwerke zeigt. Marek Janowski:
    "In zwei Monaten werde ich 78, es geht alles noch sehr gut, ich werde auch ein paar Jahre sicher noch dirigieren, aber diese Ziele von manchen Kollegen, bis kurz vor dem Moment, wo jedes Orchester erkennt, es geht nun wirklich nicht mehr und dann immer noch es zu wollen, also dieses Ziel habe ich nicht. Und hoffe, dass mir der liebe Gott dabei hilft rechtzeitig zu erkennen, wenn man das dann lassen sollte."