Die Tatortreiniger sind schon da. Und das ist eine wirklich kluge Eröffnungspointe - im halben Dutzend, ganzkörpervermummt wie im Atom-Labor, tasten sie da einen eh schon reinweißen, garantiert stäubchenfreien Bühnenraum ab nach möglichen Indizien für irgendetwas ... ein Verbrechen womöglich? Ach was. Das ist undenkbar, wo solche Reinheit herrscht.
Das Schlafzimmer allerdings, in dem Monsieur Oscar erwacht, ist schon sonderbarer – ähnelt verdächtig einer letzten Ruhestätte wie beim Beerdigungs-Unternehmer nebenan. Verschlafen hat der Hausherr, und nicht nur die Gemahlin drängelt – gemeinsam wollen beide eine Taufe besuchen. Weil aber Oscar Lenglumé immer noch recht delirant drauf ist, begegnet er dem eigenen Hausmädchen Justine gleich in dreifacher Ausführung ... klug dreht Henrike Engel die in verschiedene "Kuchenstücke" segmentierte Bühne hin und her, sodass Monsieur das Mädchen immer wieder neu vor Augen bekommt. Und auch sich selber sieht er wohl doppelt - im eigenen Bett schnarcht noch ein anderer.
Dieses qualvolle Wiedererkennen des eigenen, verwirrten und vielleicht ja tatsächlich sogar gespaltenen Ichs ist das Schmuckstück jeder Arbeit an diesem Klassiker der Farce; Karin Henkel verschärft das Spiel, indem sie auch diesen Partner im Suff, einen gewissen Mistingue, Gastwirt aus Chablis, tatsächlich noch zu Herrn Oscars Alptraumgespinst werden lässt; im Original sind die beiden Schwerenöter in der Folge tatsächlich gemeinsam damit befasst, sich selber für Mörder halten zu müssen, die ein Kohlenmädchen hingemetzelt haben könnten in der Nacht zuvor; viele Indizien sprechen dafür, aber alle sind auch anders definierbar. Das Mädchen wurde vor 20 Jahren ermordet; Lenglumé hat nur "über die Stränge geschlagen", also gesoffen, rumgehurt und Krakeel gemacht. Gattin Norine macht ihm zum guten Schluss die Rechnung auf :
"Wo willst Du hin? Ich bin noch mit Dir fertig ... Unter dem Einfluss von Alkohol bist Du derartig zum Tier geworden, dass man Dich vorsorglich in den Kohlenkeller sperren musst."
Und der Sohn der Familie singt dazu - ist's vorüber, lacht man drüber; Lachen ist gesund! Den Sohn übrigens hat die Berliner Produktion hinzuerfunden - damit noch eine Spielfigur mehr Herrn Oscar die Vervielfältigung der Dienstmädchen vorgaukeln kann. So hält der schnelle kleine Abend pfiffig die Balance zwischen bürgerlichem Amüsiertheater und ... ja was? Der Selbstentlarvung des braven Biederbürgers? Auch das ist Thema; da steht Karin Henkel wie praktisch alle Labiche-Interpreten in der Tradition von Peter Stein und Botho Strauss (die damals "Das Sparschwein" aufschmückten für die bourgeoise Barrikaden-Apokalypse von nachgerade "Pegida"-Ausmaßen) wie von Klaus Michael Grüber, bei dem die Biedermänner mit den verborgenen Monstren des eigenen Selbst wie mit rohen Eiern balancierten.
In Berlin geht's allerdings gröber zu – Minstingue, das weniger zivilisierte "alter ego" von Lenglumé, scheint hier tatsächlich das Dienstmädchen abzustechen; genauer: alle drei ... Justine ist im Original übrigens ein männlicher Diener; der Umgang der vermeintlichen Mörder hier mit ihr hat auch Züge der Vergewaltigung. Und auch aus dem an sich so braven Oscar bricht viel deutlicher der Horror hervor. Kein Zweifel – er könnte zum Killer werden im Moment der Angst. Zum Vergewaltiger sowieso.
Das alles ist erstaunlich aktuell, und es steckt in diesem uralten Text; unter der an sich vollkommen allumfassenden, alles zudeckenden Oberfläche. Der allerprächtigste Clou lauert aber nicht bei Michael Goldberg und Felix Goeser, den mörderischen Suff-köppen, und nicht mal bei den drei Justinen von Beate Mollenhauer, Camill Jamal (sonst auch der erfundene Sohn) und Christoph Franken (sonst auch der Vetter mit dem Täufling) ... zum Ereignis wird Anita Vulesica als Hausherrin Norine. Wie die das wuchernde Chaos eisern zusammen zu halten versucht: Das ist blanker bürgerlicher Irrsinn. Und also sehr typisch Labiche.