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"Die Agenda 2010 ist kein Dogma"

Der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Ernst Dieter Rossmann, unterstützt den Vorstoß von Parteichef Kurt Beck für eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I bei älteren Arbeitnehmern. Diese Änderung sei eine "kleine Verbesserung, weil wir einen Schritt gegangen sind, der so nicht ganz richtig war", sagte Rossmann.

Moderation: Christiane Kaess | 01.10.2007
    Christiane Kaess: Am Wochenende wurde der Vorschlag bekannt: SPD-Chef Kurt Beck möchte von der Agenda 2010 abrücken, konkret von den Kürzungen beim Arbeitslosengeld I und von der strengen Vermögensanrechnung beim Arbeitslosengeld II. Spätestens beim SPD-Parteitag Ende Oktober, so heißt es, wolle Kurt Beck konkrete Vorschläge für die Korrektur der Agenda 2010 vorstellen. In der SPD-Bundestagsfraktion gibt es durchaus Sympathien dafür. Am Telefon ist jetzt Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Ernst Dieter Rossmann: Guten Morgen!

    Kaess : Herr Rossmann, lassen Sie uns erst mal auf einen Sachverhalt schauen, der manchen wahrscheinlich als nicht ganz logisch erscheint. Es ist jetzt die finanziell gute Lage des Staatshaushalts, die in der SPD Stimmen lauter werden lässt, von der Agenda 2010 abzurücken. Das erscheint etwas widersprüchlich, wenn doch genau diese Reformen dazu beigetragen haben, dass die Arbeitslosenzahlen massiv zurückgehen und es dem Staatshaushalt wieder besser geht.
    Rossmann: Nun ist die Agenda 2010 ja eine doppelgesichtige Politik. Und wir rücken mitnichten davon ab, dass es eine deutlich bessere Forderung und Förderung für Bildung und Forschung geben soll. Die Mittel für Forschungsausgaben steigen, zum Glück, nachdem die CDU/CSU ihre Blockade, was die Mittel angeht, aufgegeben hat. An anderer Stelle sind wir in der Lage zu gucken, ob das neu justiert werden kann. Und die Agenda 2010 ist kein Dogma.

    Kaess : Aber noch mal nachgefragt. Warum ein Abrücken von einer Reformpolitik, die jetzt gerade Erfolge zeigt?

    Rossmann: Es ist ja kein Abrücken, sondern es ist ein Nachjustieren. Das ist ein Korrigieren, und wer sich zum Dogma Agenda 2010 aufschwingt, der vergisst auch, was sich in der Gesellschaft verändert, was wir an neuen Spielräumen gewinnen. Und wie gesagt, es gibt diese Dogmatiker. Aber das sind schlechte Politiker, und es sind auch schlechte Vertreter des Volkes.

    Kaess : Warum tut sich denn die SPD so schwer, zu den Erfolgen der Agenda 2010 zu stehen?
    Rossmann: Wir tun uns doch gar nicht schwer, zu den Erfolgen zu stehen. Sondern wir sagen, es gibt an ganz bestimmten Punkten mögliche Verbesserungen für Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind und diese Wege wollen wir gehen. Das hat schon mal der Kollege Rüttgers von der CDU angesprochen, als die ganze Welt Juchei geschrieen hat, wie sozial das denn sei und wie unsozial die Sozialdemokraten seien, dass sie dieses nicht mitgehen wollten. Das war eine vergiftete Angelegenheit. Der Kollege Rüttgers wollte Kürzungen für Arbeitslose, um an anderer Stelle anderen Arbeitslosen bessere Bedingungen zu ermöglichen, damit sie dann wieder neue Arbeit finden können. Und dieses machen wir nicht mit, sondern dort ist jetzt offensichtlich eine Diskussion um eine zielgerichtete, kleine Verbesserung, weil wir dort einen Schritt damals gegangen sind, der so nicht ganz richtig war.

    Kaess : Aber letztendlich doch mehr eine ideologische Debatte als eine ökonomisch-fundierte?

    Rossmann: Was diejenigen, die immer alles als ökonomisch-fundiert darstellen, weil das ganze ideologiefrei sein soll, damit meinen, ist ja, dass da, wo man Arbeitslose bis ins Unendliche belastet, man ganz ideologiefrei - ironisch gesprochen -, etwas für diese Menschen tut. Das ist falsch. Wir brauchen auch Kaufkraft bei den Arbeitslosen. Wir brauchen Sicherheit bei den Arbeitslosen. Menschen sind dann produktiver, wenn sie nicht das Gefühl haben, ganz schnell auf eine Rutschbahn zu kommen. Das sage ich Ihnen jetzt ganz ideologiefrei, ganz ökonomisch. Und wenn Menschen auch in der Politik versuchen, dieses in einem bestimmten Punkt zu verbessern, dann hat es unsere Unterstützung. Und ich bin froh darüber, dass diese Diskussion in der SPD jetzt sehr konzentriert, sehr zielgerichtet geführt wird. Kein Abrücken von der Agenda 2010, kein unökonomisches Verhalten, sondern ganz zielgerichtetes Verbessern an einem bestimmten Punkt.

    Kaess: Herr Rossmann, mit den konkreten Vorschlägen von Kurt Beck käme die SPD einer Forderung der Gewerkschaft entgegen, nämlich einen Stufenmodell des DGB. Ist das ein Wiederbelebungsversuch alter Allianzen?

    Rossmann: Die SPD hat immer, auch in schwierigen Zeiten, einen ganz wichtigen Bezugspunkt bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das sind die Gewerkschaften. Das sind die Betriebsräte. Das sind Vertrauensleute. Das sind die Menschen, die in den Betrieben für Produktivität sorgen, die hart malochen. Und insoweit kommen wir dort nicht entgegen, sondern wir nehmen auf. Das ist für uns ganz wichtig, dass wir das jetzt offensichtlich an einem bestimmten Punkt ganz gezielt noch besser tun können. Was dort angeregt wird, das ist ein sehr moderates Modell. Das ist überhaupt nicht die alte Regelung, bei der 32 Monate Arbeitslosigkeit in einem bestimmten Zeitraum gezahlt werden konnte, was die Gewerkschaften vorschlagen. Insoweit ist es eine gute, offensichtlich abgewogene Lösung.

    Kaess : Ist das ein Nachgeben auf den Druck der Partei Die Linke?

    Rossmann: Es ist für uns nicht relevant, was die Linken wollen, genauso wenig, wie das, was Herr Rüttgers will. Die tun sich dort ja beide nichts, was ihre Widersprüchlichkeit in der Politik angeht. Sondern wenn Gewerkschaften einen solchen abgewogenen Vorschlag machen, dann sind die Sozialdemokraten gut beraten, sich da richtig darauf einzulassen und auch einen vernünftigen Weg zu suchen. Dieses geht nur mit uns.

    Kaess : Zum Schluss noch, Widerstand dürfte von Franz Müntefering oder Peer Steinbrück kommen, die für ein konsequentes Festhalten an der Agenda 2010 sind. Wie klug beziehungsweise unklug ist denn eine Meinungsspaltung der Partei zu einem Zeitpunkt, an dem die Umfragewerte ja schlechter kaum sein könnten.

    Rossmann: Ich nehme das nicht so wahr, dass Franz Müntefering und Peer Steinbrück die Dogmatisten sind, die offensichtlich in manchen Redaktionen und vor allen Dingen in den Wirtschaftsblättern und in den Wirtschaftsverbänden als besonders kluge Leute angesehen werden, überhaupt nicht. Ich glaube, dass Franz Müntefering und Peer Steinbrück sehen, dass wir jetzt einen Spielraum gewonnen haben, diese kleine, aber wichtige und wegweisende Veränderung vorzunehmen im Gesamtkonzept dessen, was wir immer gesagt haben. Wir wollen fördern bei Bildung, bei Forschung, wir wollen über Anreize an mehr Möglichkeiten für Arbeit rankommen. Wir wollen gleichzeitig was fordern, damit, Menschen auch nachdrücklich auf diese Ebene gehen. Dabei bleiben wir. Das verbessern wir jetzt im Sinne des Förderns und der Sicherheit, damit Menschen, die in Arbeit sind, nicht Angst haben müssen, vor einem schnellen Abrutschen durch die Arbeitslosigkeit. Und das ist der richtige und der gute sozialdemokratische Weg.

    Kaess : Ernst Dieter Rossmann war das, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion, vielen Dank.

    Rossmann: Vielen Dank.