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Die Akte Bionik

Die Pusteblume als Muster für den Fallschirm, der Vogelflug als Vorbild fürs Fliegen, das Radar den Fledermäusen abgeschaut und die moderne Wärmedämmung dem Eisbärfell – mit derlei Legenden werben Bioniker für ihre Grundidee: die "Patente der Natur" in technische Produkte zu überführen. Dass Technik und Natur in ganz unterschiedlichen Zeiträumen wirken und für völlig verschiedene Bedürfnisse "produzieren", erweist sich dabei als der größte Hemmschuh. Die Ausbeute nach Jahrzehnten bionischer Forschung ist entsprechend mager. Die jüngsten Versuche, Forscher aus verschiedenen Disziplinen wie Biologie, Hirnforschung und Ingenieurswissenschaften unter einem Dach "Bionik" zu einen, leiden unter einem grundlegenden Mangel: für eine wissenschaftliche Disziplin fehlt der Bionik eine durchgängige Methodik, sie ist mehr griffiges Schlagwort als greifbares Fach.

Von Bernd Schuh |
    Haifischhaut für Flugkörper – reibungslose Fernreisen, mit Cathay Airways.
    Das ist Bionik
    Lilienthal war ein Superbioniker, der hat sich ganz nach dem fliegenden Vogel gerichtet und hat danach seine Flugobjekte gebaut.
    Das ist Bionik
    Schlangenhaut für Langlaufschi – reibungslose Loipenlust.
    Das ist Bionik
    Wir setzen ein natürliches und ein technisches Gebilde gegenüber und sehen: was haben die für Ähnlichkeiten. Das ist Bionik.
    Von einem Lotusblatt perlt der Regen restlos ab und nimmt den Schmutz einfach mit. Genauso funktioniert Lotusan-Fassadenfarbe.
    Das ist Bionik

    Wenn Sie heute eine Kettensäge kaufen, stehen die Chancen gut, dass das Sägeblatt aus Oregon stammt, von der 1947 gegründeten Cox Company. Die hält nämlich ein Patent auf die Anordnung der Zähne in der Säge. Firmengründer Joseph Cox, damals noch Holzfäller, hat sie angeblich dem holzbohrenden Käfer, Ergates spiculatus abgeschaut. Das Plagiat funktioniert so gut, dass die Cox Company heute noch zu den Marktführern in Sachen Kettensägen zählt.

    Wir setzen ein natürliches und ein technisches Gebilde gegenüber und sehen: was haben die für Ähnlichkeiten. Das ist Bionik.

    Die Lotusblume wird in Asien als heilig verehrt. Bereits Sanskrittexte aus dem 8. Jahrhundert berichten von der erstaunlichen Tatsache, dass die Blätter der Lotusblume auch aus schlammigen Tümpeln stets makellos sauber auftauchen.

    Werbung von der Internetseite des Botanischen Instituts der Uni Bonn. Institutschef Wilhelm Barthlott hat vor knapp zehn Jahren eine Erfindung zum Patent angemeldet, die eigentlich die Natur gemacht hat: die selbstreinigende Oberfläche der Lotusblüte.

    Sie gilt als Symbol der Reinheit. Das hat nicht nur mit der Schönheit ihrer Blüten zu tun sondern vor allem mit den Eigenschaften ihrer schildförmigen Blätter.

    Der dem fernöstlichen Reinheitssymbol abgeschaute "Lotus-Effekt" ist das mit Abstand meistgenannte Beispiel für ein Forschungsfeld, das sich selbst als interdisziplinärer Schulterschluss von Ingenieuren und Biologen sieht. "Bionik" nennt sich das Gebiet, ein Wortzwitter aus Leben und Technik. Das gemeinsame Ziel der Bioniker: von der belebten Natur lernen, ihre "Erfindungen" technisch verstehen und nutzbar machen; ihr Wahlspruch, frei nach Walt Disneys Daniel Düsentrieb: "Besser gut abgeschaut als schlecht selbst gebaut."

    Spricht man mit eingefleischten Bionikern, sind die Copyright-Verletzungen der Technik schier endlos. Da wird die Energiespartechnik der Huskies genannt, die sich im arktischen Winter einschneien lassen und die entstehende Schneehöhle mit ihrer eigenen Abwärme heizen - eine Steilvorlage für Niedrigenergiehäuser.

    Das ist Bionik

    Das sieben Zentimeter dicke Fell des Eisbären gilt als Musterbeispiel vollendeter Wärmedämmung.

    Das ist Bionik

    Grashalme, die vierhundert mal länger als dick sein können, ohne dass der Wind sie knickt, gelten als architektonisches Vorbild für Fernsehtürme und Hochhäuser.

    Das ist Bionik

    Ganz zu schweigen von den trudelnden Ahornsamen, die angeblich der Erfindung des Hubschraubers Pate standen. Und selbst wo die Natur völlig versagte – bei der Erfindung des Rades nämlich – stehen Bioniker noch fasziniert vor den alternativen Lösungen der Natur.

    Interessant zum Beispiel die Energiespeicherung im Organismus. Dass zum Beispiel ein Känguruh bis zu 90 Prozent der Energie beim Aufsetzen in den Sehnen speichern kann, die dann wieder zur weiteren Fortbewegung genutzt werden. Die Entwicklungen gehen dann ja weiter, dass sich verschiedene Arbeitsgruppen mit Laufmaschinen beschäftigen, Laufmaschinen in allen möglichen Versionen, die hüpfen, springen und Hindernisse überwinden können. Dinge die in der Ingenieurstechnik ganz neue Dimensionen eröffnen und auch sicher neue Horizonte.

    Die Nachahmungsversuche radloser Bewegungsvorrichtungen wirken nicht selten eher komisch als genial. Da haben Bioingenieure ein Ruderfahrzeug konstruiert, das wie ein Wasserläufer funktioniert, oder ein Tretboot mit Schlagflossenantrieb anstelle eines rotierenden Schaufelrads, das platscht wie eine überdimensionale Ente daher. Sinn der Sache: das Gefährt soll den Schlamm der Uferzone nicht unnötig aufwühlen. Trotz Ökomotiv und Spaßeffekt haben sich beide bionischen Innovationen nicht einmal Nischen des Freizeitmarktes erobern können. Sie fallen eindeutig in die Kategorie: "es gibt bessere Lösungen".
    Der Biologe Stephen Vogel hat in seinem Buch "Von Grashalmen und Hochhäusern" eine Reihe von Beispielen für die angebliche Patenschaft der Natur an menschlichen Erfindungen genauer untersucht und kommt zu dem Fazit: fast alle Beispiele fallen in eine von drei Klassen. Erstens, die bereits erwähnte Kategorie

    Eine Nachahmung funktioniert vielleicht, hat aber nicht genügend Vorteile gegenüber einer Alternative.

    Kategorie zwei:

    Es wurde fälschlicherweise angenommen, das die Nachahmung funktioniert habe.

    Oder drittens:

    Die "Natur-Kopie" funktioniert, doch dann stellt sich heraus, dass es sich gar nicht um eine Nachahmung gehandelt hat.

    Bei der Kettensäge etwa hat Cox zwar den holzbohrenden Käfer zur Vorlage genommen, aber in der technischen Ausführung sind Anordnung und Bewegungsrichtung der Zähne völlig anders.

    Auch ein der Naturstatik von Grashalmen nachempfundenes Hochhaus würde gnadenlos in sich zusammen sacken, weil sich, was im Kleinen gilt, selten per Dreisatz, auf technische Dimensionen hochrechnen lässt. An diesem so genannten Skalierungsproblem scheitert so mancher bionischer Analogieschluss. Wie man überhaupt konstatieren muss, dass sowohl die Probleme, denen Natur und Technik gegenüberstehen, als auch die Lösungen meist völlig verschieden sind. Stephen Vogel fasst es prägnant so zusammen:

    Wir bauen trockene und starre Strukturen, die Natur zieht feuchte und flexible Strukturen vor. Wir verwenden Metalle, die Natur nie. Unsere Gelenke gleiten meist, die der Natur biegen sich. Wir wirken Wunder mit Rädern und Drehbewegungen, die Natur erzeugt absolut funktionsfähige Boote und Flugkörper ganz ohne diese Dinge.
    Keine der vielgepriesenen Lösungen der belebten Natur kennt reine Metalle. Nichts ist aus massivem Kupfer, Blei oder Aluminium. Wozu auch? Die weichen, flexiblen organischen Materialien, aus denen Daniela Düsentrüb Natur baut, sind allemal gut für ihren Zweck geeignet. Für menschliche Zwecke freilich nicht. Wären schon unsere frühesten Vorfahren auf die Natur als ausschließliche Lehrmeisterin abgefahren, lebten wir immer noch in der Steinzeit.
    Das menschliche Genie mag viele Erfindungen machen, doch nie wird es sich eine Erfindung schöner, einfacher, oder dem Zweck angemessener ausdenken können als die Natur; denn in den Erfindungen der Natur fehlt nichts und nichts ist überflüssig.

    Mit diesem Satz aus seiner Schrift über den Vogelflug wird auch Technikergenie Leonardo da Vinci als Bionikvorreiter zitiert.

    Leonardo da Vinci war letztlich ein Bioniker, wenn er seine Fallschirme und Flugobjekte da nach dem Vorbild der Natur skizziert hat, was sollte er auch anderes machen. Lilienthal war ein Superbioniker, der hat sich ganz nach dem fliegenden Vogel gerichtet und hat danach seine Flugobjekte gebaut.

    Ein geschichtlicher Rückgriff macht sich immer gut. Zeigt die Historie doch, dass der Grundgedanke des "Von der Natur Lernens" gar nicht neu ist – und folglich so schlecht nicht sein kann. Bis in die Antike lässt sich die Idee zurück verfolgen, schon Daedalus soll nicht nur den Vögeln auf die Flügel, sondern auch den Fischen auf die Gräten geschaut und daraufhin das erste Sägeblatt erfunden haben.
    Die Bionik ist ja heute nicht mehr damit beschäftigt, die Natur zu kopieren, das war in den Anfängen so, dass man versuchte nachzubauen, Grashalme als Vorlagen nahm für die Konstruktion von Fernsehtürmen und dergleichen, und da sehr schnell festgestellt hat, dass man eben auch Diemsionsprobleme stößt und die Natur nicht eins zu eines abupfern kann, sondern dass man diese Erkenntnisse aus der Natur übersetzen muss.

    Sie können nicht hergehen und ne große Fliege bauen, die mit großen Flügeln sich durch die Luft bewegt und dann Leute durch die Luft transportieren, das würde aufgrund von Materialeigenschaften, Ähnlichkeitsgesetzen und ärodynamischen Gesetzmäßigkeiten ja nie funktionieren.

    Leonardo und Lilienthal und der ganzen Bionik zum Trotz fliegt heute noch immer kein Flugzeug nach dem Vorbild der Vögel, und wird es wohl auch nie. Die Natur stand nie vor dem Problem, Tonnenlasten durch die Luft zu transportieren und musste dafür auch keine Lösungen entwickeln. Was fliegen soll, braucht Auftrieb und Antrieb, der Flügelschlag des Vogels bewältigt beides in einem. Die Technik musste notgedrungen beides trennen.

    Dennoch ist die Flugtechnik DIE Spielwiese der Bioniker. Für die Feinheiten der Umströmung eines Flugzeugflügels etwa bietet die Natur durchaus nützliche Anregungen. Warum Vögel beim Anflug ihre Flügelspitzen aufstellen, haben Bioniker an der TU Berlin schon vor Jahren untersucht.

    Nun haben wir herausgefunden, dass diese aufgespreizten Flügelfinger den so genannten Randwiderstand ganz stark reduzieren. Randwiderstand kommt an jedem Flügel zustande, da gibt’s einen ganz dicken Wirbel, den man manchmal am Verkehrsflugzeug auch sehen kann, und die kosten enorm viel Widerstand. Man rechnet mit 40 bis 50 Prozent des Gesamtwiderstands steckt in diesem Wirbel drin.

    Die Berliner Bioniker um Ingo Rechenberg haben in Strömungskanal den Luftwiderstand für verschiedene Flügelmodelle gemessen. Das Ergebnis: je mehr Finger sich am Flügelende heben, desto größer wird die Widerstandsminderung. Und am größten wird sie, wenn man auf eine Lösung verfällt, die Lehrmeisterin Natur nicht gefunden hat: nur zwei Flügelfinger, die allerdings verbunden an den Spitzen, so dass sie sich wie ein Möbiusband winden. Ein Flugzeug mit Tragflügeln, das solche Möbiusschlaufen an den Enden hat, gibt es bislang nur als Entwurf. Solche Konstruktionsvorschläge kommen auch aus Amerika und Russland, und sind hier ohne Rückgriff auf den Vogelflug entstanden. Wieweit es sich also beim Möbiusflügel um eine Extraktion eines Naturprinzips und seine Übertragung in die Technik handelt, darüber kann man trefflich streiten.
    Ein anderer Vorschlag für die bionische Vverbesserung von Strömungseigenschaften stammt aus dem Meer. Schon Ende der 70er Jahre stellte der Tübinger Wirbeltierpaläontologe Wolf-Ernst Reif fest, dass die Schuppen der Haifiaschhaut feinste Längsriefen und -rippen besitzen. Zusammen mit Dietrich Bechert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt konnte er zeigen, dass diese "Ribletstruktur" der Haifischhaut den Fisch flutschiger macht, wissenschaftlich ausgedrückt: die Oberflächenstruktur verringert den Strömungswiderstand. Man versuchte, die Haifischhaut technisch zu nutzen, etwa als der Haifischhaut nachempfundener Schwimmanzug. Oder als aufklebbare Folie zur Verkleidung von Verkehrsflugzeugen, Gaspipelines und Gasturbinen. Ähnliche Versuche mit oberflächenstrukturierten Folien hatte man auch schon in USA gemacht, allerdings ohne Rückgriff auf die Natur.

    Wie wir angefangen haben, lagen die amerikanischen Daten mit ungefahr 5 bis 6 Prozent Widerstandsverminderung vor, und wir haben jetzt die Widerstandsverminderung auf neuneinhalb Prozent für die Oberfläche gebracht. Das heißt aber nicht, dass man am Flugzeug den Widerstand um neun Prozent senken könnte, das Flugzeug hat andere Widerstände, beispielweise die Randwirbel am Flügel, die können wir mit einer Haifischhaut nicht beeinflussen. Die bleiben übrig. Das heißt von den acht bis neun Prozent, die wir jetzt anbieten können, bleiben dann vielleicht 3 Prozent übrig, das bedeutet aber immer noch 100 Tonnen Treibstoffersparnis bei einem größeren Flugzeug im Jahr. Ich nehme an mit zunehmenden Treibstoffkosten gibt es gar keinen Weg daran vorbei, diese Haifischhaut zu benutzen auf Flugzeugen.

    Bislang ist nur ein einziges Flugzeug, ein Airbus der Cathay Pacific Airways, einer in Hongkong stationierten Airline, zu 30% mit Haifischhautfolie beklebt worden und geflogen. Die Ergebnisse konnten die Flugzeughersteller bislang nicht überzeugen. Sie wollen an die Bedeckung mit Ribletfolie nicht ran, aus Furcht vor unabsehbaren Kosten: Montage und Säuberung der Folien etwa machen Ihnen Sorgen; vielleicht ist es einfach auch nur innovative Trägheit und der niedrige Kerosinpreis, der die Neuerung aus dem Bionikreich nicht attraktiv erscheinen lässt. Wieder eine Innovation aus der Kategorie: es gibt bewährte Alternativen.

    Man kann, wenn man die Natur studiert, für die Bionik, eigentlich immer nur Prinzipien destillieren.

    So das Credo des Altmeisters des Feldes, Werner Nachtigall. Die Haifischhautstory passt gut in seine Vorstellung.

    Man kann nachsehen, wie funktioniert etwas in der Natur – das ist der erste Schritt – und dann kann man durchaus in diesem ersten Schritt schon mit der Technik vergleichen. Wir nennen das Analogieforschung, wir setzen ein natürliches und ein technisches Gebilde gegenüber und sehen: was haben die für Ähnlichkeiten. Haben sie vielleicht gar keine? Könnte ja auch sein. Wenn sie Ähnlichkeiten haben, zweiter Schritt, wie kann man ein Prinzip abstrahieren. Wenn man das Prinzip kennt – dritter Schritt – wie kann man dieses Prinzip sinnvoll einer technischen Nutzung zuführen Das ist Bionik. Also nicht Klauen von der Natur, sondern sich anregen lassen für eigenständiges Gestalten, konstruieren muss der Ingenieur in Zukunft auch selber.

    Seit Jahrzehnten ist der Saarländer Pionier bemüht, aus dem Schlagwort Bionik ein tragfähiges Forschungsprogramm zu machen, und aus dem ziellosen Herumblättern im Vorbildkatalog der Natur ein methodisch fundiertes Wissenschaftsgebiet. Das ist schwierig, weil jeder einzelne an bionischen Fragestellungen Forschende seinen eigenen Problemen und Interessen nachgeht und diese in bereits bestehenden Wissenschaftsfeldern bestens aufgehoben sind, wie etwa der Strömungslehre, der Mikrostrukturtechnik oder der Nanotechnologie. Deshalb versucht man seit einigen Jahren die verstreuten Aktivitäten besser zu bündeln – wie in verschiedenen anderen Wissensgebieten mit interdisziplinären Aktivitäten auch. So etwas heißt dann Kompetenzzentrum, bekommt Geld vom Bundesforschungsministerium und existiert im wesentlichen im Internet und durch sporadische Tagungen, auf denen sich die verstreuten Forscher treffen. Aussichtsreicher erscheint der Versuch, bionische Forschung auch örtlich zu bündeln, so wie am Biotechnik Zentrum "bitZ" an der TU Darmstadt. Dr. Torsten Rossmann, Geschäftsführer des bitz, betont gern die Breite des in Darmstadt gewählten Ansatzes. Im bitZ ist die herkömmliche Bionik nur eins von drei Feldern, die Biologie und Technik zusammenbringen

    Die Biomedizintechnik ist das andere, die Anwendung direkt, zum Beispiel einem Beschädigten das Gehör wiedergeben. Oder so profane Dinge wie Werkzeuge, die Sie brauchen, um Ihren Körper zu untersuchen, dass man die optimiert, dass die Eingriffe nicht mehr so groß sind. Oder dass die Prothesen naturähnlicher werden. Wenn Sie zum Beipiel an Hüftgelenke denken, da ist ja die große Frage, wielang ist die Haltbarkeit, bis es dann irgendwann doch bricht, da sind wir auch dran zu verstehen.
    Das dritte Feld ist die Biomechanik, das geht darum zu verstehen, wie der Mensch überhaupt funktioniert. Rein von der Mechanik, von den beanspruchung. wenn er sitzt und wenn er Schwingungen ausgesetzt ist. Das für die Fahrzeugbauer interessant, dass man da vielleicht ein Computermodell generiert, das ist so die Zielsetzung. Aber vorher muss man den Mensch an sich verstehen. Was passiert in Ihren Bandscheiben bei diesen Schwingungen, was passiert in Ihrem, wie man so schön sagt: im Geschwabbel, das ganze Weichgewebe, das ganz wichtig ist für das Fahrverhalten.


    Gerade wenn es um Kooperation mit der Industrie und die Förderung aus öffentlichen Mitteln geht, reicht der Verweis auf die betulichen bionischen Beispiele, auf Grashalm, Haifischhaut oder Lotus-Effekt, nicht mehr aus, um potenziellen Partnern die Ehe zwischen Biologie und Technik schmackhaft zu machen.

    Die Beispiele, die Sie aufgezählt haben werden immer wieder so wiedergekäut. Aber immer mit dem Missverständnis, dass die Effekte im Detail noch gar nicht verstanden sind, das gilt auch für den Lotus-Effekt, da gibt’s durchaus noch Potenzial, das Ganze zu intensivieren, Und das andere ist: das ist nur ein Bruchteil von dem, was die Natur zur Verfügung stellt. Das ist die große Herausforderung die ich sehe, nicht auf Zufallsfunde zu warten, sondern wir müssen anfangen, wie die Pharmaindustrie, gezielt die Natur zu untersuchen, was bietet mir welcher Organismus für Möglichkeiten. Also ein Screening durchzuführen, Kataloge zu bilden, wo wir letztendlich abrufbereit etwas haben, wo ein Fragesteller aus der Industrie zum Beispiel sagt: Hier das Problem hab ich, und der wird dann über einen Katalog an seine Antwort geführt, ob da was ist oder nicht.

    Das Ganze ist eh‘ erstaunlich, weil die großen technologischen Errungenschaften unserer Kulturtradition eben nicht solche sind, die durch den Blick in die Natur gewonnen worden sind.

    Privatdozent Dr. Jan Schmidt begleitet als Technikphilosoph kritisch die Darmstädter Initiative.

    Wie ist es denn mit dem Rad? Oder auch später: Wie ist es denn mit der Informationstechnik und der Kommunikationstechnik? Das sind doch keine Prozesse, die man direkt aus der Natur oder vermittelt aus der Natur geschaut hat, das sind doch ganz andere Typen, die hier eine Rolle gespielt haben.

    Dass die Bionik sich dennoch in der deutschen Forschungslandschaft behauptet, erklärt sich einerseits aus der gestiegenen Leistungsfähigkeit von Rechnern; die erleichtert das Nachempfinden natürlicher Prozesse per Computersimulation.

    Ein zweiter Punkt, den ich vermute, ist dass die Innovationspotentiale in den klassischen Ingenieurwissenschaften, also ob das Materialwissenschaften sind, Baubereich, Elektrotechnik, also die klassische Ingenieurwissenschaft, die sich stark an die Physik anlehnte, das Innovationspotenzial war in den frühen 60er, 70 er Jahren, auch in den frühen 80er Jahren ungebrochen, so dass nicht der Druck, der Zwang, die Notwendigkeit da war, sich nach anderen Innovationsstrategien umzuschauen.

    Deutlicher gesagt: Wenn den Ingenieuren die Ideen ausgehen, schauen sie verstärkt in die Natur.

    Die Frage, inwieweit der Blick in die Natur tatsächlich Technik entwickelnd ist, dazu gibt es noch keine wirkliche Technikgenese oder Technikentwicklunsgforschung. Ein traditionelles Beispiel der Bionik ist Radar. Radar und Fledermäuse. Heute wird in vielen Hochglanzbroschüren so getan, als wäre das Radar eigentlich durch die bionische Methode entwickelt. Und wenn man es sich genau anguckt -das Radar ist Anfang 1900 auf einer der Kölner Brücken von einem Physiker entwickelt worden – ist das ein ganz anderer Zugang zur Technikentwicklung als die Bionik heute in ihrer Integrationsstrategie von solchen Effekten uns weismachen will.

    Weismachen oder nicht – bionische Geschichten fördern auf jeden Fall auch den Verkauf; sei es der dem Holzkäfer nachgemachte Sägezahn, sei es der Schlangenforscher, der aus der Haut der Kriechtiere einen Antirutschbelag für Langlaufschi entwickelte, oder der den Kletten abgeschaute Klettverschluss, sei es der Schwimmanzug nach dem Vorbild der Haifischhaut ,sie alle werben mit Natur.

    Also man müsste jedes einzelne Beispiel, was Bioniker als typisch bionisch darlegen, inklusive Lotus- Effekt, wo ich auch skeptisch bin, müsste man wissenschaftshistorisch rekonstruieren. Ich hab das Gefühl, es würden nur sehr wenig Effekte übrig bleiben.

    Ob der Zusammenhang zwischen so manchem Effekt und natürlichem Vorbild, zwischen fragendem Forscher und lehrender Natur nur eine schöne oder verkaufsfördernde Legende ist, mag dahin gestellt sein. Langlebig sind derlei Geschichten auf jeden Fall - wie die unausrottbare Mär von der Bratpfannenbeschichtung Teflon als Abfallprodukt der Raumfahrtforschung.
    Zum anderen sehe ich aber auch, dass durch bionische Technik möglicherweise tatsächlich eine alternative Technologie möglich ist, die festgefahrene ingenieurwissenschaftliche Verfahren deutlich modifizieren kann.

    Hier klingt als Hoffnung an, was das Forschungsfeld schon wie ein Gütesiegel im Namen führt: Bio, das ist Öko, das ist gut. Tatsächlich arbeitet die Natur extrem rationell. Sie verschwendet weder Material noch Energie, und am Ende landet auch nichts auf der Kippe, alles wird vorbildlich recycelt.

    Das ist etwas, was sich immer gut verkauft, wenn man die Natur nimmt und dieses Stichwort der Nachhaltigkeit mit einbezieht, was für mich nicht nur son Füllwort ist, sondern was für mich als Biologe interessant ist, das ist etwas, was ich gut vertreten kann, auch den Kollegen, den Ingenieuren gegenüber. Wir sind da keine. Unsere Architekturenkollegen sagen immer, denk an das voll kompostierbare Haus. Die Lebenswerwartung von nem Menschen ist ungefähr 100 Jahre und danach fällts zusammen und danach hast du einen hübschen Komposthaufen, und das wars dann.

    Im Prinzip liegt dieser Phrase von der sanften Technologie eine ideologische These zugrunde: Wenn Technik so verfährt wie Natur, dann könnte sie doch nicht nicht nachhaltig sein.
    Wenn Bioniker von sanfter Technologie mit so einer Konnotation sprechen, ist bei mir ein hoher Ideologieverdacht gegeben.


    Als würde die Tatsache, dass eine Technik sich am natürlichen Vorbild orientiert, per se Nachhaltigkeit und Umwelt- oder gar Sozialverträglichkeit garantieren.

    Bionische Technologien müssen genauso bewertet werden, abgeschätzt werden wie andere Technologien. Aber eine Technikfolgenabschätzung der Bionik steht noch aus und müsste dringend entwickelt werden, um zumindest das vollständig Ungewünschte reduzieren zu können. Es könnte ja sein, dass im Bereich der Bionik sehr kostspielige Innovationen entstehen können. Also zum Beispiel eine spezielle Oberfläche für ein künstliches Herz, was Millionen kosten könnte, so dass die Abstoßungsrate wesentlich geringer ist. Wer kann sich sowas leisten? Führt nicht eine Bionik-getriebene Medizintechnologie zu einem ähnlichen Dilemma wie gentechnologische Veränderungen?

    Vorerst scheint die Gefahr, dass Lebens- oder Menschenfeindliches bei bionischer Forschung herauskommt, denkbar gering. Muten doch die Ergebnisse aus 40 Jahren "Lernen von der Natur" bislang eher harmlos und überdies mager an. Ob eine mehr oder minder systematische Durchforstung biologischer Problemlösungen unter technischen Gesichtspunkten, ob also ein bionischer Leistungskatalog, wie ihn die Propageten des Gebiets erträumen, je ein lohnendes Unternehmen werden könnte? Es gibt Gründe für Zweifel. Eine leitende Systematik für die Zusammenstellung des "bionischen Brockhaus" ist jedenfalls nicht in Sicht; und die Trefferquote bei der Jagd nach den Naturpatenten ist auch gering, die Experten sprechen von neun verworfenen Ideen auf eine brauchbare, und von einer gelungenen technischen Umsetzung auf zehn brauchbare Ideen. Zumindest bedenkenswert ist da die Warnung des Biologen Stephen Vogel:

    Die Natur kann uns vielleicht zeigen, was möglich ist, doch sie ist ein schlechter Lehrmeister, wenn es darum geht, was es wert ist gemacht zu werden.