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Die Anfänge - Vom Staubkorn zum Planeten

Kollision um Kollision ist einst die Erde herangewachsen - aus Staub zu Steinen zu Felsen zu Planetenkeimen. Milliarden Jahre später sind Geologen mehr denn je auf der Suche nach Spuren aus dieser hektischen Phase. Dabei stoßen sie unter anderem auf uralte Kristalle und erstarrte Lava.

Von Dagmar Röhrlich |
    Weihnachten 1968. Apollo 8 umkreist den Mond. Frank Bormann, William Anders und James Lovell sehen als erste Menschen über dem Horizont eines anderen Himmelskörpers die Erde aufgehen.

    Aus 325.000 Kilometern Entfernung erscheint sie wunderschön - aber auch klein und verletzlich. "Eine grandiose Oase in der weiten Wüste des Weltalls", beschreibt James Lovell. Wolken, Meere, Kontinente gegen die harsche Ödnis des Mondes im grellen Sonnenlicht. Anders als der Mond ist die Erde nicht erstarrt.

    Die Geschichte der Erde ist die des Wandels, dynamischer Kontraste, rascher, ungeheuer gewaltsamer Umbrüche. Trotzdem ist diese rastlose Erde der einzige bekannte Planet, auf dem Leben entstanden ist. Mehr noch. Über Jahrmilliarden hinweg entwickelte es sich zu ungeheurer Vielfalt: Obwohl sich die Erde im Lauf der Zeit grundlegend gewandelt hat, herrscht eine erstaunliche Stabilität.

    Gleichgewichte - Ansichten eines belebten Planeten
    von Dagmar Röhrlich
    Teil 1 Anfänge


    "Wasser war bereits ein integraler Bestandteil unseres Planeten, als er sich aus Asteroiden, Kometen und anderen großen Körpern formte. Ein Teil war tief im Erdmantel gefangen, ein anderer kochte in Oberflächennähe. Wenn es siedete, brach es in riesigen Geysiren und Dampferuptionen aus und in explosiven Vulkanausbrüchen, die tonnenschwere Felsbrocken kilometerhoch in die Luft schleuderten."

    Kollision um Kollision ist die Erde gewachsen - aus Staub zu Steinen zu Felsen zu Planetenkeimen ... . Es ist eine schwarze, höllische Welt, durchbrochen von rotglühender Lava, die aus Rissen und Spalten der Erdkruste quillt.

    "Die Erde war noch nicht, was sie werden sollte. Noch fehlte ein zentrales Ereignis. Denn auf ihrer Bahn flog - der gängigen Hypothese zufolge - die etwa marsgroße Theia. Vor rund 4,5 Milliarden Jahren rasten beide ineinander: Diese epische Kollision zerstörte Theia, verwandelte Teile der Erde in einen Magmaozean, schleuderte geschmolzenes Gestein in den Orbit, wo sich daraus der Mond formte, viel näher an der Erde als heute, in vielleicht 30.000 oder 40.000 Kilometern Entfernung."

    Ein Mondaufgang wirkt bedrohlich: Erdbeben begleiten ihn und wilde Gezeiten. Er fliegt über den Himmel, scheinbar um ein Vielfaches größer als die Sonne.

    Geologen sind auf der Suche nach Spuren aus dieser hektischen Phase. Einer von ihnen Simon Wilde von der Curtin University in Perth. Seine Arbeit führt ihn immer wieder nach Mileura, eine Schaffarm mitten im westaustralischen Outback: rote Erde, Termitenhügel, staubbedeckte Sträucher, struppige Bäume, weiße Felsen, die wie Rippen eine flache Landschaft gliedern. An der Grenze der Farm erstrecken sich die Jack Hills. Wir sind hinauf zu ein paar Felsen gestiegen, die knapp unterhalb des Gipfels aus dem Boden ragen. Dort lässt sich Simon Wilde nieder, greift nach einem der blassrosa Steine. Auf den ersten Blick ein einfacher Sandstein, aber darin stecken winzige Kristallsplitter - Zirkone.

    "Für Wissenschaftler, die Gesteine datieren, haben Zirkone mehrere Vorteile. Vor allen Dingen sind sie äußerst stabil. Es gibt auf der Erde nur wenige Prozesse, die einen Zirkon nach seiner Entstehung wieder verändern. Sie sind - sozusagen - für die Ewigkeit gemacht."

    Wie Zeitkapseln frieren die nur Bruchteile eines Millimeters großen Zirkone den Moment ihres Entstehens ein. Sie sind Fenster in die Vergangenheit:

    "Das hier ist die Stelle, an der wir die ältesten Zirkon-Kristalle der Welt gefunden haben. Die Steine selbst, auf denen wir sitzen, sind knapp drei Milliarden Jahre alt."

    Damals bildeten sich diese Sandsteine in einem Flussdelta. Und dieser Fluss - das ist das Spannende - schleppte mit dem Verwitterungsschutt eines viel älteren Gebirges unzählige Zirkone heran:

    "Wir finden in diesen Steinen eine ganze Bandbreite von Zirkonen: die jüngsten haben wir mit 3,1 Milliarden Jahren datiert, den ältesten jedoch mit mehr als 4,404 Milliarden Jahren."

    Damit kristallisierte dieser Zirkon nur etwas mehr als 100 Millionen Jahre nach der Kollision zwischen Erde und Theia, die für die Stunde Null steht. Wir kennen nichts Älteres auf der Erde. Schon das allein ist eine spannende Geschichte. Aber das war es nicht, was das Weltbild der Geologen revolutionierte:

    "Dieser Kristall ist nicht einfach ein alter Kristall. Wir stellten bei weiteren Analysen fest, dass er den chemischen Fingerabdruck von Wasser trägt: Er entstand, weil sein Muttergestein Kontakt mit Wasser gehabt hat. Es hat also schon vor mehr als 4,4 Milliarden Jahren flüssiges Wasser an der Erdoberfläche gegeben."

    Seit 4,4 Milliarden Jahren blieb die Erde immer in den Grenzen, in denen weder das gesamte Wasser verdampfte und ins All entwich, noch für alle Zeit tief gefror. Dabei haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert: Die Sonne ist heute heißer und die Erde sehr viel kühler, voller Leben und die Luft gefüllt mit Sauerstoff. Wann wurden die Weichen für dieses System gestellt, das sich dynamisch anpasst und trotzdem immer in dem in dem Rahmen bleibt, der flüssiges Wasser und damit Leben erlaubt? Das ist das Forschungsgebiet von Linda Elkins-Tanton. An der Carnegie-Institution in Washington DC rekonstruiert sie die Geschichte des Wassers auf der Erde. In ihren Computermodellen markieren die Zirkone der Jack Hills den Endpunkt. Für den Start steht diese gigantische Kollision mit Theia, die weite Teile der Erde in einen Magmaozean verwandelt hatte.

    "Magmaozeane verfestigen sich wahrscheinlich von unten nach oben. Dabei ist der Druck in der Tiefe so hoch, dass besondere Minerale aus dem Magma "rieseln", solche, die kein Wasser in ihr Kristallgitter aufnehmen. Während sich von unten her immer mehr Kristalle formen und das Magma zäher und zäher wird, sammelt sich das Wasser an, ebenso Eisen. Der Magmaozean wird seichter, die Kristalle bilden sich unter immer geringerem Druck und schließlich entstehen solche, die Wasser und Eisen aufnehmen können. Ist der Planet erstarrt, liegt das dichteste, schwerste und nasseste Material obenauf."

    Wobei nass relativ ist, denn es ist trockener als Saharasand, aber immerhin, erzählt Linda Elkins-Tanton. Stabil sei ein solcher Planet nicht. Vielmehr beginnt das schwere Material abzusinken, das leichtere drängt hoch.

    "Unseren Rechenmodellen zufolge, dauert das Erstarren des Magmaozeans weniger als eine Million Jahre und dieser dynamische Umbruch ein bis drei Millionen Jahre."

    Die Zeit nach dem großen Umbruch. Flache Vulkane fördern Gase und Wasserdampf, verwandeln die Erde in eine Sauna.

    "Stellen Sie sich diesen Planeten mit einer schwarzen Kruste vor und Vulkanen, deren Magma nachts rot glüht. Die Erde kühlt ab, langsam. Schließlich beginnt es an den Polen zu regnen: kein schöner, klarer Regen, sondern sauer, vollgepumpt mit Chemikalien. Der Regen sammelt sich in Pfützen, Tümpeln, Seen. Die Temperaturen an der Erdoberfläche fallen weiter: Aus den Seen werden Meere."

    Vor 4,404 Milliarden Jahren, als irgendwo auf der Welt der älteste Zirkon der Jack Hills entsteht, umgibt die Erde ein globaler Ozean. Aus ihm ragen ein paar flache, schwarze Vulkane - und erste, kleine Inseln aus grauem Granit.

    Granit ist das typische Baumaterial der Kontinente: Er ist leicht im Vergleich zu den Gesteinen des Erdmantels und schwimmt deshalb auf ihnen wie ein Korken auf dem Wasser. Diese ersten Granite sollten Keimzellen der modernen Kontinente werden.

    "Granite bilden die Wurzeln der Kontinente. Ich stelle mir vor, dass die Erde damals die Farbe gewechselt hat: Nach der Planetenentstehung war sie schwarz, durch die mondformende Kollision glutrot, als das erste Meer entstand blau und nun tauchen an der Oberfläche die grauen, granitischen Wurzeln der Kontinente auf."

    Diese granitischen Wurzeln entstanden, als mächtige Lavastapel durch die große innere Hitze der jungen Erde von unten her teilweise aufschmolzen, erklärt Robert Hazen von der Carnegie Institution in Washington DC. Inzwischen entsteht dieses Baumaterial der Kontinente anders. Durch die Plattentektonik. Die fördert an den mittelozeanischen Rücken neue Meereskruste. Alt, kalt und schwer geworden, lässt die Plattentektonik die Kruste an Subduktionszonen in den Erdmantel sinken. So lässt sie Kontinente kollidieren und türmt Gebirge auf. Unter anderem entsteht dabei Granit. Die Plattentektonik ist eine gewaltige Recyclingmaschine, die die Erde im Gleichgewicht hält.

    "Wir glauben, dass die Plattentektonik für die Bewohnbarkeit der Erde unverzichtbar ist. Ein Planet, der langfristig Leben erhalten soll, braucht Plattentektonik: Sie schleppt Kohlenstoff und Wasser ins Erdinnere, um es durch den Vulkanismus als Wasserdampf und Kohlendioxid zu recyceln. So facht sie den Treibhauseffekt an und hält damit die Atmosphäre im Lot und die Ozeane flüssig."

    Die Frage ist, wie diese Maschine in Gang kam. Und da steht Wasser im Mittelpunkt:

    "Damit die Plattentektonik anlaufen kann, muss im Erdmantel ein wenig Wasser als Schmiermittel dienen. Spuren reichen aus. Es macht diese Minerale etwas weicher, sie gleiten leichter aneinander vorbei, was Plattenbewegungen erlaubt."

    Ihren Modellrechnungen zufolge hatte die junge Erde trotz der katastrophalen Kollision, die den Mond entstehen ließ, genügend Wasser behalten, damit sich erst der Vorläufer und später die Plattentektonik selbst entwickeln konnte:

    "Als nach der Kollision mit Theia das schwere, wasserhaltige Material absank und mit dem leichten, trockenen den Platz tauschte, stießen die Minerale in 400 bis 600 Kilometern Tiefe das Wasser aus ihren Kristallgittern aus. Diese - wir nennen es Wasserkatastrophe –, diese Wasserkatastrophe befeuchtete den Erdmantel darüber, machte dort die Gesteine beweglich. Ein wenig Wasser sorgt auch dafür, dass Gestein leichter schmilzt, was den Vulkanismus antreibt: Der Umbruch und die Wasserkatastrophe waren der "Kickstart" des Planeten. Die Erde wurde, wie sie heute ist. Dynamisch - und nicht trocken, steif und venusartig."

    Vor 4,4 Milliarden Jahren "brodelte" der obere Erdmantel mit kleinräumigen Zirkulationszellen. Heute dagegen bestimmen große, eher gemächliche Konvektionsströmungen das Geschehen über den gesamten Erdmantel hinweg. Es muss also einen Wechsel von der "brodelnden" Vorform zur modernen Plattentektonik gegeben haben. Den Auslöser sieht Martin van Kranendonk von der University of New South Wales in Sydney in der Abkühlung des Planeten:

    "Die Erde ist ungeheuer alt und hat im Lauf der Zeit sehr viel Hitze verloren. Das bedeutet jedoch, dass sie als Planet damit anders "funktioniert"."

    Auch Martin van Kranendonk interessiert sich für die Dynamik der jungen Erde, genauer: dafür, wann die moderne Plattentektonik eingesetzt hat. Er hofft, den richtigen Zeitpunkt ausgemacht zu haben:

    "Analysiert man die weltweit zur Verfügung stehenden Informationen über die Gesteine aus den ersten Jahrmilliarden der Erde, sieht es so aus, als ob sich der fundamentale Umschwung zwischen heftigen Strömungszellen und gemächlichen Konvektionswalzen vor drei Milliarden Jahren ereignet hat. Plötzlich tauchen rund um die Erde Strukturen auf, die denen der modernen Plattentektonik gleichen: Wir finden dieses typische Mosaik, bei dem Krustensegmente mit unterschiedlichster geologischer Geschichte gegeneinander versetzt sind, diese Collagen aus Krustenfragmenten, bei denen beispielsweise ein Stück Kruste aus Japan irgendwann mit Korea oder China oder Australien kollidiert."

    Die moderne Plattentektonik veränderte die Erde grundlegend. Ihre Konvektionen greifen tief, reichen bis zur Kern-Mantel-Grenze. Als sie einsetzten, gelangte erstmals Wasser in den tiefen Erdmantel, machte nun die Gesteine dort beweglicher. Damit sprang der Motor an, der heute die dynamische Erde antreibt: Heißes Material steigt aus dem tiefen Erdmantel auf, wandert an der Unterseite der kühlen Erdkruste entlang, zieht sie und den Kontinent darüber ein Stück weit mit, kühlt ab, sinkt zurück in den Mantel, um sich aufzuheizen und den Kreislauf erneut zu beginnen.

    Vor etwa 2,7 Milliarden Jahren begannen die Kontinente fast explosionsartig zu wachsen, das Gros der Kruste entstand und krempelte die Bedingungen auf der Erde weiter um. Denn als große Kontinentmassen verwitterten, gelangten gewaltige Mengen an Nährstoffen ins Meer - und das Leben, das schon Hunderte von Millionen Jahren zuvor entstanden war, reagierte.

    Am Rand des grönländischen Inlandeises öffnet sich ein zweites wichtiges Fenster in die ferne Erdvergangenheit: in Isua, 130 Kilometer von der Hauptstadt Nuuk entfernt, 3500 Kilometer von Washington DC. und 15.000 Kilometer von den australischen Jack Hills. Während des Sommers beherrscht Wasser in Isua die Szenerie: Überall rinnt es, es fließen Bäche, zwischen Felsen und kargen Matten spiegeln Seen die Landschaft. Die Gletscher, die jenseits eines reißenden Flusses in der Sonne leuchten, haben die Berge glatt geschliffen. Als sie sich zurückzogen, ließen sie wie Perlen aufgereihte Blöcke auf den Kuppen zurück.

    "Hier vor uns ist ein schöner Aufschluss mit Kissenlaven. Sie erstarrten, als die Lava mit dem Wasser in Kontakt kam, so wie heute vor Hawaii."

    Peter Appel vom Geologischen Dienst Dänemarks in Kopenhagen arbeitet immer wieder in Isua, wo als Teil eines Gebirges ein 3,8 Milliarden Jahre alter Meeresboden erhalten blieb: ein ungeheurer Glücksfall. Auf der Erde gibt es nur einen Ort, an dem es mit Sicherheit ältere Gesteine gibt als hier: der Acasta-Gneis im Nordwesten Kanadas. Den hat allerdings sein geologisches "Schicksal" bis zur Unkenntlichkeit verändert. Isua nicht. Es ist unverkennbar, dass diese Steine ein Ozeangrund waren und dass Lava aus submarinen Vulkanen quoll:

    "Das ist wirklich bemerkenswert. Hier ist das Zentrum, hier die Abkühlungshaut, die durch den Kontakt mit dem kalten Wasser regelrecht abgepellt ist."

    Als diese Kissenlaven in den 1970er-Jahren entdeckt wurden, galten sie als erster Nachweis für Wasser auf der frühen Erde. Sie waren ebenso aufsehenerregend wie die Zirkone der Jack Hills ein Forscherleben später. Als Isua ein Meeresboden war, spülte der Regen von ein paar Inseln Sand und Silt in ein Meer, das voll war von gelöstem Eisen: Es quoll aus Black Smokern, die die zahllosen untermeerischen Vulkane begleiteten.

    Meere und Vulkane, sie gaben damals den Ton an. Und vielleicht mischte bereits das Leben mit. Denn seit Ende der 1990er-Jahre sorgt Isua in Geologenkreisen wieder für Aufsehen: In verschiedenen Gesteinsschichten sollen frühe Lebewesen chemische Spuren hinterlassen haben. Winzige Signale, Fingerabdrücke ihres Stoffwechsels, die die Jahrmilliarden in Form von Verschiebungen in den Kohlenstoffisotopen überdauerten. Die Beweise sind strittig, aber die Möglichkeit besteht durchaus.

    Die Erde vor dreieinhalb Milliarden Jahren. Ein orangefarbener Himmel spannt sich über einem bleiernen Meer. Dichte Wolken filtern das Sonnenlicht wie Gaze. Selbst mittags ist es dämmrig. Das Land ist nichts als kahler Stein. Kein Grün ist zu sehen, nur gelber Schwefel, der sich zwischen dem Geröll sammelt. Es ist schwül, unerträglich heiß - und die Luft schwer von Kohlendioxid und Methan.

    Geologen, die nach den Anfängen des Lebens auf der jungen Erde suchen, stehen vor einem Problem: Leben braucht flüssiges Wasser. Aber dem astrophysikalischen Standardmodell zufolge schien die junge Sonne sehr viel schwächer als heute:

    "Es bedeutet, dass die Erde in ihren frühen Tagen ein kosmischer Schneeball hätte sein müssen. Wie Gesteine von Isua jedoch beweisen, war sie keineswegs tiefgefroren."

    Vor 3,8 Milliarden Jahren war das Meer warm, erzählt Minik Rosing von der Universität Kopenhagen. Irgendetwas verschob also die Bedingungen. Was das gewesen sein könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Es ist eine Debatte, die mit jeder neuen Analyse der uralten Gesteine eine unerwartete Wendung nehmen kann, weil erst modernste Messtechnik erlaubt, die Vorgänge Stück für Stück zu rekonstruieren.

    "Heute wird die Temperatur an der Erdoberfläche vor allem davon bestimmt, wie viel Sonnenlicht einfällt und wie viel wieder in den Weltraum abgegeben wird. Rund ein Drittel der Energie geht verloren. Auf der jungen Erde könnte diese Bilanz vollkommen anders ausgesehen haben, denn die Planetenoberfläche bestand sozusagen nur aus dunklen Meeren und auch die Wolkenbildung lief anders. Vielleicht strahlte die Erde sehr viel weniger Energie ins All ab, und das hielt sie warm. Chemisch unterschied sich die Atmosphäre nur wenig von der heutigen - mit Ausnahme des Sauerstoffs. Den gab es noch nicht."

    Minik Rosings Hypothese beruht auf der Analyse der Gesteine von Isua, kürzlich hat er sie veröffentlich, und liefert damit eine Lösung für das Problem der frühen schwachen Sonne.

    Andere Forscher verfolgen andere Ideen. James Kasting von der Penn State University etwa setzt auf einen starken Treibhauseffekt. Ein starker Vulkanismus soll demnach Kohlendioxid geliefert haben, und die Ozeane Methan. Erst vor wenigen Jahren entdeckten Geologen einen Prozess, der das Klimagas auf der frühen Erde tatsächlich hervorgebracht haben könnte.

    "Ob sich Methan anorganisch bildet, hängt von der Zusammensetzung der Erdkruste ab. Wenn es sogenannte ultramafische Gesteine gibt, können Prozesse ablaufen, wie wir sie unter Lost City entdeckt haben. Das ist ein Tiefsee-Thermalsystem an einem untermeerischen Viertausender in der Nähe des Mittelatlantischen Rückens. Dort werden an einer Störungszone Gesteine aus dem oberen Erdmantel hochgezerrt. So weit oben ist dieses ultramafische Mantelmaterial nicht stabil. Es reagiert mit dem Meerwasser, das in das Massiv einsickert, Methan entsteht ohne Zutun des Lebens."

    Dieser heute äußerst seltene Prozess war in der Frühzeit der Erde verbreitet. Er funktioniert jedoch nur, so lange der Erdmantel heiß genug ist: Nur so lange entsteht dieser besondere Lavatyp, aus dem diese ultramafischen Gesteine erstarren. Auf einer kühleren Erde kommt dieser Prozess zum Erliegen. Spätestens vor drei Milliarden Jahren, als die Plattentektonik anlief, war es also vorbei damit. Aber da war das Leben wohl schon längst in der Lage, das für sein Überleben notwendige Treibhaus Erde stabil zu halten. Das Leben hatte sich zu einem zentralen Spieler im System entwickelt:

    "Mikroorganismen, die biologisch Methan erzeugen, entstanden wohl schon früh in der Erdgeschichte, und in unseren Modellrechnungen sorgen sie für einen zusätzlichen Treibhauseffekt von zwölf bis 14 Grad Celsius - solange es keinen freien Sauerstoff in der Luft gibt."

    Das Methan hätte gleich auch noch für einen Schirm gegen die harte UV-Strahlung der Sonne gesorgt: In dieser so fremdartigen Atmosphäre könnte ein "fraktaler Nebel" aus komplexen, organischen Strukturen entstanden sein, der das tödliche Lichtspektrum blockiert. Dieser Nebel hätte die Lebewesen geschützt, aber auch empfindliche Klimagase wie Ammoniak, die ansonsten zerfallen wären.

    Die Erde vor 2,4 Milliarden Jahren. Der Himmel strahlt blau, nichts erinnert mehr an die Dämmerwelt. Das Land ist immer noch kahl. Nur Stein. Nichts Grünes. Im Meer jedoch gedeihen Cyanobakterien - die Ingenieure einer neuen Welt.

    "Zu den faszinierendsten Aspekten der Erdgeschichte gehört das enge Zusammenspiel zwischen Geologie und Leben."

    Die Cyanobakterien gewinnen Energie auf neue Art: Sie nutzen das Sonnenlicht und setzen dabei Sauerstoff frei. In Stromatolithen haben sie sich zu Wohngemeinschaften zusammengetan, um dem ewig auf sie niederrieselnden Sand zu entkommen - und um dem Licht entgegenzuwachsen. Schwarzgrün bis bräunlich schimmernd gedeihen sie in seichten, warmen Meeren wie Kohlköpfe.

    Kaum reicherte sich der Sauerstoff in der Luft an, "rostete" die Erde, die Verwitterung funktionierte anders, alle Stoffkreisläufe stellten sich um. Offensichtlichstes Zeichen war, dass der Sauerstoff das Methantreibhaus zerstörte. Das Klima soll abgestürzt sein, die Erde sich für 100 Millionen Jahre in einen Schneeball verwandelt haben. Die Cyanobakterien waren wohl die ersten Lebewesen, die den Planeten in eine Krise stürzten - in Zusammenarbeit mit der Plattentektonik, denn der Sauerstoff scheint sich ab dem Moment erstmals angereichert zu haben, als die Kontinente auftauchten.

    Auf die neuen Mitspieler konnte sich das System Erde nur langsam einstellen. Aber sie blieben und legten den Grundstein dafür, dass fast zwei Milliarden Jahre später die Herrschaft des Schleims gebrochen werden konnte. Mehrzeller entwickelten sich und schließlich Tiere. Lee Kump von der Penn State University:

    "Die Evolution von Eukaryonten, von Lebewesen mit Zellkern, zu denen auch wir Tiere gehören, geht nicht ohne Sauerstoffatmung. Er ist die Voraussetzung für höheres Leben. Die Evolution konnte erst über das Stadium der Mikroorganismen hinausgehen, als genügend Sauerstoff in der Luft war."

    Seit die Tiere und Pflanzen aufgetaucht sind, beeinflussen auch sie das dynamische Gleichgewicht der Erde. Sie arbeiten mit daran, dass der Planet auch noch nach Jahrmilliarden blaue Meere hat und Millionen von Arten auf ihm leben. Die Erde ist ein sich selbst regulierendes System, bei dem die Geologie ebenso ein Faktor ist wie das Leben. Dieses System ist robust, aber es hat immer wieder Perioden in der Erdgeschichte gegeben, in denen es aus der Balance geriet - und in diesen Zeiten ging es dem Leben schlecht.

    Mehr als 4,404 Milliarden Jahre nachdem der älteste Zirkon der Jack Hills kristallisierte und 3,8 Milliarden Jahre nach Isua entstand der moderne Mensch. Aus dem Orbit heraus beschrieb einer von ihnen die blauen Meere, die weißen Wolken und das braune Land. Weihnachten 1968 war der moderne Mensch bereits selbst ein wichtiger Spieler im System Erde. Auch er verändert die Erde tiefgreifend - so wie nur wenige Lebewesen zuvor.