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Die Angst der Japaner vor radioaktiver Strahlung

Bundespräsident Christian Wulff ist bei seinem Staatsbesuch in Japan in die Katastrophenregion von Fukushima gefahren. Zu den großen Sorgen der Japaner gehört die Radioaktivität. Die Angst der Menschen vor verseuchter Nahrung oder Orten mit erhöhter Radioaktivität ist groß.

Von Peter Kujath |
    Auch wenn keine unmittelbare Gefahr mehr vom havarierten Atomkraftwerk Fukushima 1 ausgeht, bleibt die Angst bei den Menschen im Nordosten Japans von Tokio bis Sendai bestehen. Es ist eine schwer zu fassende Angst, der die Behörden mit ihren offiziellen Messungen nicht beikommen – zumal immer wieder Meldungen durch die japanischen Medien geistern über sogenannte Hotspots mehrere Hundert Kilometer entfernt von Fukushima 1. Von einem Hotspot spricht man dann, wenn auf eng begrenztem Raum erhöhte Radioaktivität gemessen wird. Während eine dieser Stellen in Setagaya, einem Stadtteil von Tokio, nicht in Zusammenhang mit der Atomkatastrophe steht, gibt es eine Reihe von Punkten in Kashiwa, in Chiba oder Kawasaki, die mit großer Sicherheit auf radioaktives Material zurückgehen, das nach der Kernschmelze durch die Explosionen im havarierten AKW freigesetzt wurde. Allerdings ist nach Angaben von japanischen Experten in keinem der Fälle eine unmittelbare Gesundheitsgefährdung zu befürchten.

    Als Erklärung für diese Hotspots führen sie Regenwasser an, das zum Beispiel wegen eines Lecks in der Dachrinne immer an der gleichen Stelle auf die Erde traf, Pfützen bildete, dort verdampfte und sich deshalb mit der Zeit immer mehr Cäsium abgelagert hat. Das bedeutet auch, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weitere Hotspots entdeckt werden. Die Tatsache, dass vor allem in den ersten Monaten nach der Atomkatastrophe in den Kläranlagen von Tokio, Chiba, Kanagawa und anderen Präfekturen, radioaktiver Schlamm gefunden wurde, bestätigt diese These. Dieser Klärschlamm und radioaktive Asche aus den Müllverbrennungsanlagen füllen vorübergehend eingerichtete Stauräume und stellen ein weiteres Problem und einen weiteren Grund der Verunsicherung dar. Was die Hotspots angeht, fordert ein Radiologie-Professor in Tokio die Bevölkerung sogar auf, selbst loszuziehen und Messungen anzustellen.

    Das Wissenschaftsministerium hat eine Hotline eingerichtet, bei der jeder einen vermeintlichen Hotspot melden kann. Dieser wird dann von Fachleuten des Ministeriums überprüft und gegebenenfalls dekontaminiert. Aber kaum, dass sich die Behörden dieses Problems angenommen haben, taucht schon ein weiteres auf: laut der Asahi Shinbun ist ein radioaktiv belastetes Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt verkauft worden. Angeblich stammt das Auto aus Iwaki, rund 40 Kilometer vom AKW Fukushima 1 entfernt. Es dürfte nicht das einzige sein, das eine Strahlung von mehreren zehn Mikrosievert pro Stunde aufweist – klar über dem Grenzwert zum Beispiel für Exportware von fünf Mikrosievert pro Stunde. Aber es ist einfach nicht möglich, alles und jeden im betroffenen Gebiet auf seine radioaktive Belastung hin zu untersuchen. Und damit ist es trotz der vielen Karten und Messpunkte seitens der Regierung ebenfalls unmöglich, der japanischen Bevölkerung die Angst zu nehmen, mit der sie seit der Atomkatastrophe vom 11. März leben müssen.