Die Angst vor kontaminiertem Fisch

Tsukiji ist der größte Fischmarkt der Welt. Doch die aktuelle Krise rund um Fukushima macht auch hier nicht Halt: Es kommen viel weniger Kunden.

Von Silke Ballweg |
    Morgens um sechs auf dem Tokioter Fischmarkt Tsukiji. Es ist bereits hell, die Sonne scheint, aber noch ist es kühl. Zwischen den überdachten Hallen herrscht reger Verkehr, auf kleinen Gefährten sausen die Händler von einer Halle in die andere, hinten auf der Ladefläche Styroporkisten mit Fisch und Muscheln.

    Eine Besonderheit hier sind die ganzen Thunfische. Jeden Morgen um halb fünf werden sie versteigert. Ein besonders fetter Thunfisch kann schon mal mehrere tausend Euro erzielen, die Tiere werden dann - noch tief gefroren - an einer Bandkreissäge in mehrere Stücke zerteilt. Kurz darauf liegen sie in der Auslage. Viele Sushi-Meister in Tokio kommen morgens noch immer höchstpersönlich auf den Tsukiji, um sich eigens von der Qualität des Fisches zu überzeugen.

    Doch die aktuelle Krise rund um Fukushima macht auch vor dem größten Fischmarkt der Welt nicht halt. Seit den Problemen im Atomkraftwerk kommen viel weniger Kunden. Und die, die weiterhin Fisch kaufen, wollen genau wissen, woher die Tiere stammen.

    Susumu Tachioka arbeitet schon seit mehr als 50 Jahren als Fischhändler auf dem Tsukiji. 1958 hat er den Stand von seinem Vater übernommen. Nun steht er vor den weißen Styroporkisten, die auf dem Boden gestapelt sind und deutet auf die verschiedenen Arten. Der da kommt aus Nagasaki, das liegt im Süden Japans, der aus Kyushu, und der da aus Aomori, erklärt er.

    "In Tokio ist die Radioaktivität ja noch nicht so hoch, noch ist alles gut in Tokio. Aber es macht einem viel Angst. Wenn man mit Fisch Geld verdient, muss man an die Zukunft denken"

    Jeden Morgen um halb vier klingelt Tachiokas Wecker. Eine Stunde später ersteigert der 75-Jährige dann auf dem Tsukiji den Fisch, den er im Laufe der nächsten Stunden verkaufen will. Um sich gegen die Kälte zu schützen, trägt er eine dunkelblaue Fleecejacke und auf dem Kopf eine blaue Mütze. Die Arbeit hier auf dem Fischmarkt scheint ihn geprägt zu haben, er redet gerne und man merkt, dass ihm der Schalk im Nacken sitzt. Immer wieder lässt er während unseres Gesprächs einen Witz fallen, über den lacht er selbst dann am lautesten. Dass er 75 Jahre alt ist, sieht man ihm nicht an, er wirkt kräftig und kerngesund. Doch die aktuelle Krise im Atomkraftwerk, die beunruhigt ihn sehr.

    "Ich habe Angst, und ich mache mir Sorgen. Die Strahlung ist gefährlich, und jetzt ist ja auch schon das Meerwasser kontaminiert. Man weiß nicht, wie es weitergeht, das Gemüse ist bereits belastet und wer weiß, wie sich die Sache im nächsten Jahr entwickelt."

    Tachioka sorgt sich nicht nur um seine Gesundheit. Ihm geht es auch ums Geschäft. Noch hat er keine finanziellen Einbußen, weil seine Kunden derzeit Fisch aus anderen Regionen kaufen. Aber sollte stark kontaminierter Fisch gefunden werden, dann würden vielleicht auch die Japaner, die derzeit noch unbesorgt weiter Fisch essen, ängstlich und vorsichtig werden. Und dann käme Japans gesamte Fischereiindustrie in eine massive Krise. Japaner essen so ziemlich alles, was aus den Gewässern vor ihren Küsten stammt: Fisch, Muscheln, Algen, Seetang. Schon jetzt sind auf dem Tsukiji die Folgen des Erdbebens zu spüren, denn ein Drittel des japanischen Fisches kam aus der Region, die vom Tsunami verwüstet wurde. Die Kleinstadt Sanriku war als japanisches Zentrum der Fischerei bekannt, doch sowohl der Ort als auch die Zuchtbestände sind komplett zerstört.

    "Die Muscheln aus der Präfektur Miyagi waren gerade in dieser Jahreszeit immer eine Besonderheit hier in Japan, aber jetzt gibt es keine einzige hier auf dem Markt. Und Sanriku war für seinen fetten Fisch bekannt, der sich besonders gut für Sushi eignet. Der schmeckt besser. Naja, aber die Kunden wissen, dass es nun keinen Fisch mehr von da oben gibt, es fragt auch niemand mehr danach."

    Unterkriegen lässt sich Tachioka von der aktuellen Situation aber nicht.

    "Nihonjin tsuyoi, strong, strong, ganbaru"

    Nihinjin tsuyoi: Japaner sind stark, sagt er und ganbaru: Strengen wir uns an. Tachikoa ist stolz auf Japan, das ist ihm anzumerken, und er glaubt fest daran, dass das Land die aktuelle Krise verkraften wird. Natürlich sei die Gefahr der Radioaktivität schlimm. Aber er vertraue darauf, dass die Regierung das in den Griff bekommen wird. Auch nach dem Erdbeben in Kobe habe man sich schnell wieder erholt, dort sei es heute wieder ganz normal. Nihonjin tsuyoi wiederholt er dann noch einmal: Japaner sind stark. Und fast hat man den Eindruck, als müsse er sich selbst das ein bisschen einreden.

    Sendereihe "Die verwundete Nation"

    Deutsche Welle: "Die verwundete Nation"
    Der Tsukiji, der größte Fischmarkt der Welt
    Der Tsukiji, der größte Fischmarkt der Welt (Silke Ballweg)