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Die Apotheke Natur

Von Menschenaffen ist bekannt, dass sie Krankheiten durch den Verzehr bestimmter Nahrungsmittel behandeln. Und auch einfachere Tiere wie Insekten greifen auf die Apotheke Natur zurück. US-Forscher plädieren im Fachmagazin "Science" dafür, die Selbstmedikation als einen wichtigen Faktor der Evolution zu verstehen.

Von Lucian Haas |
    Wenn Schimpansen oder anderen Menschenaffen von Darmparasiten befallen werden, wissen sie sich selbst zu helfen: Sie zupfen von bestimmten Bäumen scharfkantige Blätter, falten sie sorgsam und schlucken sie dann unzerkaut herunter. Die Päckchen werden unverdaut wieder ausgeschieden, zusammen mit den Darmparasiten. Lange Zeit glaubten Biologen, dass nur Tiere mit einer höheren Intelligenz zu einer derart cleveren Selbstmedikation fähig sind. Doch diese Einschätzung müssen die Forscher revidieren.

    "Wir stellen fest, dass die Selbstmedikation viel weiter verbreitet ist. Alle möglichen Organismen behandeln sich selbst. Wir Menschen haben unsere Parasiten, und genauso haben auch alle anderen Tiere der Welt ihre Plagegeister. Und so wie wir Menschen eine Apotheke aufsuchen, um uns ein Medikament zu holen, nehmen viele Tiere Wirkstoffe aus der Natur gegen Darm- oder Blutparasiten."

    Mark Hunter ist Ökologe an der Universität von Massachusetts. Seit Jahren erforscht er den Einfluss von Parasiten auf Insekten. Mit der Zeit fand er immer mehr Beispiele dafür, wie auch Raupen, Fliegen, Falter oder Ameisen bei Bedarf gewissermaßen Therapien gegen die Krankheitserreger einsetzen. Und das sogar nicht nur zu ihrem eigenen Wohl.

    "Eine der größten Überraschungen für uns war, als wir herausfanden, dass Elterntiere auch ihre Nachkommen therapieren können. Monarchfalter zum Beispiel werden von bestimmten Parasiten befallen. Wenn Weibchen mit diesen Parasiten infiziert sind, legen sie ihre Eier auf giftigen Pflanzen ab. Die Toxine der Pflanzen sind aber für die Parasiten giftiger als für die Monarchlarven. Sie nutzen das also als eine Art Medizin."

    Die Monarchfalterlarven wachsen auf den Giftpflanzen erst einmal frei von Parasiten auf. Das verschafft ihnen einen Überlebensvorteil. Stellt man sich das nun über viele Generationen hinweg vor, wird die Fähigkeit zur Selbstmedikation der Tiere zu einem einflussreichen Faktor in der Evolution. Mark Hunter und einige Fachkollegen sehen es an der Zeit, solche Zusammenhänge stärker zu beachten. Bis heute gibt es zum Beispiel kaum Studien, die zeigen, wie sich die Selbstmedikation der Tiere mit der Zeit auf die Parasiten auswirkt.

    "Der große Effekt, den wir bei den Parasiten erwarten sollten, ist, dass ihre Virulenz mit der Zeit zunimmt. So wie der Tuberkulose-Erreger beim Menschen Resistenzen gegen die Medikamente entwickelt, die wir gegen Tuberkulose einsetzen, dürften sich auch die Parasiten, die Tiere angreifen, an deren Medizin anpassen."

    In einem solchen Fall werden die Tiere wieder anfälliger für die Parasiten. Ein ähnlicher Effekt tritt ein, wenn die Tiere einen Teil ihrer Fähigkeiten zur Selbstmedikation verlieren.

    "Belege dafür haben wir von Honigbienen. In Europa gibt es ja große Sorgen wegen des Bienensterbens. Das hat zum einen etwas mit dem Einsatz von Pestiziden zu tun. Aber ein anderer Teil hängt mit Parasiten zusammen, welche die Bienen angreifen. Honigbienen nutzen in ihren Nestern antimikrobiell wirkende Pflanzenharze, um Parasiten abzuwehren. Aber wenn wir sie davon abhalten, kann das die Empfindlichkeit der Bienen gegenüber diesen Schädlingen deutlich erhöhen."

    Viele Imker haben in der Vergangenheit ihre Honigbienen dahingehend gezüchtet, dass sie tendenziell weniger Harz in die Stöcke tragen und stattdessen mehr Honig produzieren. Nach Ansicht von Mark Hunter könnte die gezielte Stärkung des Harzsammelverhaltens helfen, den Rückgang der Bienenvölker aufzuhalten. Überhaupt käme ein größeres Verständnis der Selbstmedikation der Tiere auch den Menschen zugute, so der Forscher. Denn vieles von dem, was den Tieren hilft, könnte vielleicht auch als Therapie in der Humanmedizin von Nutzen sein.