Wenn sie singen, schweigen selbst Bischöfe und Kardinäle. An jedem Samstagabend singen die Ordensfrauen, die das römische Restaurant "l'Eau vive" betreiben, fromme Gesänge für ihre Gäste. Das französische Restaurant in der Nähe der Piazza Navona ist besonders bei katholischen Geistlichen beliebt. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils war es für Laien schwierig, wenn nicht so gut wie unmöglich, im "l'Eau vive" einen freien Tisch zu ergattern, erinnert sich Schwester Analisa. Sie gehört zu den älteren unter den Nonnen des Lokals.
"Viele blieben draußen. Es gab einfach keinen Platz. Die Bischöfe kamen zuhauf. An manchen Abenden hatten wir nur kirchliche Würdenträger hier bei uns. Da ging es nicht traurig zu. Die aßen und tranken von Herzen! Wir sangen und beteten zusammen und wurden Freunde"
Das fünf Jahre dauernde Konzil war ein Segen für die kochenden Nonnen, die mit ihrem Überschuss verschiedene Sozialprojekte in armen Ländern finanzieren. Und nicht nur für sie. Noch heute schwärmen die älteren unter den römischen Gastwirten und Hoteliers von den Konzilsjahren. Aldo Romano leitete Anfang der 60er Jahre das Traditionshaus "Albergo del Sole".
"Wir mussten der Kirche damals helfen. Denn immerhin mussten ja massenweise Konzilsteilnehmer untergebracht werden. Sicherlich, es gab Klöster, aber nicht für so viele Teilnehmer. Wir Hoteliers lehnten normale Touristen ab, denn die Geistlichen garantierten uns eine dauerhafte Belegung der Zimmer. An solchen Kunden waren wir natürlich sehr interessiert."
Mehr als 3000 Teilnehmer kamen zum Konzil angereist. Rund 2500 von ihnen waren sogenannte Konzilsväter und damit stimmberechtigte Mitglieder der großen Kirchenversammlung. Sämtliche Unterkünfte in- und außerhalb des Vatikans, in Klöstern und kircheneigenen Unterkünften waren auf Jahre im Voraus belegt. Für Touristen, die damals preiswert in Ordenshäusern logieren wollten, ein Problem. Doch die Zimmer, oder besser: Zellen, in denen viele Bischöfe leben mussten, waren recht bescheiden und im Winter noch dazu kalt.
Die Vorbereitung des Konzils stellte für den Zwergstaat Vatikan eine Herkulesaufgabe dar. Nicht nur bei Unterbringung, Verpflegung und Transport.
Loris Capovilla hat selbst am Konzil teilgenommen. Der Erzbischof war einer der engsten Mitarbeiter von Papst Johannes XXIII.
"Audienzen, Kardinäle und so weiter und er, der Papst, teilte am zweiten Tag des Konzils allen mit, dass sie doch ihre Sorgen und Probleme ihm kundtun sollten. Für Johannes XXIII. war alles so einfach. Er wollte erneuern, aber in seiner grenzenlosen Güte sah er nicht immer, wie schwierig das alles war. Er wollte alles wissen über die einzelnen Diözesen, über alltägliche und religiöse Probleme."
Der Papst, ohne den es kein Konzil gegeben hätte, wollte mit allen über alles sprechen. Vorbereitet wurden die Erörterungen in den sogenannten Commissiones praeparatoriae - Vorbereitungskommissionen, zehn an der Zahl. Sie waren gegründet worden, um eine Massenveranstaltung, wie es das Zweite Vaticanum war, zu organisieren. Die Kommissionen waren zur Hälfte mit Bischöfen und Ordensoberen besetzt, die in engem Kontakt zur römischen Kurie standen und somit enormen Einfluss auf den Konzilsverlauf hatten. Die Kommissionen entschieden sich für Latein als Sitzungssprache - ohne Rücksicht auf die schon damals grassierende Lateinschwäche des Episkopats. Die Patriarchen der Ostkirche weigerten sich, Latein zu reden: Sie sprachen ausschließlich Französisch.
In den Pausen der Konzilssitzungen drängelten sich die Teilnehmer an den beiden Bars, die eigens im Petersdom dafür eingerichtet worden waren. Bars mit Namen: Abba, Vater, hieß die eine, Jonas die andere.
Loris Capovilla amüsiert sich noch heute über den Umstand, dass vor allem die italienischen Konzilsteilnehmer nie Schlange stehen wollten. Immer wieder drängelten sie sich vor. Vor allem die deutschen Bischöfe schimpften über solch ungezogenes Verhalten - auf Latein natürlich.
Morgens und vormittags wurde gearbeitet. Pünktlich um halb eins wurde gegessen, worüber sogar die Nachrichten, wie hier im Jahr 1963, informierten:
"Das Mittagessen wurden wie in einem Kolleg eingenommen, von bischöflichem Prunk keine Spur, alle saßen an einfachen Tischen zusammen. Kardinäle und Bischöfe saßen eng nebeneinander."
Für große Heiterkeit unter den Italienern sorgten Fernsehaufnahmen, die die Bischöfe in vollem Ornat in ihrer Klosterzelle zeigten, während sie Gitarre spielten und sangen. Die Weltöffentlichkeit sollte sehen, dass die Konzilsväter nicht nur debattierten, sondern ihre Zeit in Rom offensichtlich auch genossen.
Nach der Mittagspause wurde die Arbeit fortgesetzt: in verschiedenen Sitzungssälen und Konferenzräumen. Es wurde gelesen und studiert. Die deutschen Bischöfe und Konzilstheologen, darunter Karl Rahner und Joseph Ratzinger, lebten im Campo Santo Teutonico, einem kleinen Territorium im Kirchenstaat, direkt beim Petersdom, dort, wo sich auch der deutsche Friedhof befindet.
Erzbischof Loris Capovilla beschreibt die Jahre des Konzils als "ungemein stimulierend, innerhalb des Vatikans und auch außerhalb".
"Damals begann ein neuer Weg für die Kirche in dieser Welt. Uns war klar: Alles ändert sich in dieser neuen Welt, die Institutionen, moralische Einstellungen et cetera."
Und was für eine neue Welt! Schon 1960 war der von der katholischen Kirche wegen diverser Szenen als skandalös verurteilte Film "La dolce Vita" in die Kinos gekommen, in dem unter anderem ein ausgelassener Adriano Celentano als Italo-Rock-Sänger auftrat. Fellinis Filme zeigten ein Rom, in dem es recht dekadent zuging. Die Jugend begehrte auf und begann mit gesellschaftlichen und religiösen Tabus zu brechen.
Italiens Medien berichteten in jenen Jahren nicht nur über die kontroversen Debatten in der Konzilsaula, sondern veröffentlichten auch pikante Interna. So wagten es einige linke Tageszeitungen über die abendlichen Ausflüge einiger Konzilsväter zu berichten, die Luxus-Restaurants und Partys bei römischen Adelsdamen aufsuchten und erst tief in der Nacht in ihre Unterkünfte zurückkehrten. Paparazzi-Fotos tanzender Bischöfe gelangten allerdings nicht in die Zeitungen. Soweit wie in Zeiten von Vatileaks waren Italiens Medien damals dann doch noch nicht.
"Viele blieben draußen. Es gab einfach keinen Platz. Die Bischöfe kamen zuhauf. An manchen Abenden hatten wir nur kirchliche Würdenträger hier bei uns. Da ging es nicht traurig zu. Die aßen und tranken von Herzen! Wir sangen und beteten zusammen und wurden Freunde"
Das fünf Jahre dauernde Konzil war ein Segen für die kochenden Nonnen, die mit ihrem Überschuss verschiedene Sozialprojekte in armen Ländern finanzieren. Und nicht nur für sie. Noch heute schwärmen die älteren unter den römischen Gastwirten und Hoteliers von den Konzilsjahren. Aldo Romano leitete Anfang der 60er Jahre das Traditionshaus "Albergo del Sole".
"Wir mussten der Kirche damals helfen. Denn immerhin mussten ja massenweise Konzilsteilnehmer untergebracht werden. Sicherlich, es gab Klöster, aber nicht für so viele Teilnehmer. Wir Hoteliers lehnten normale Touristen ab, denn die Geistlichen garantierten uns eine dauerhafte Belegung der Zimmer. An solchen Kunden waren wir natürlich sehr interessiert."
Mehr als 3000 Teilnehmer kamen zum Konzil angereist. Rund 2500 von ihnen waren sogenannte Konzilsväter und damit stimmberechtigte Mitglieder der großen Kirchenversammlung. Sämtliche Unterkünfte in- und außerhalb des Vatikans, in Klöstern und kircheneigenen Unterkünften waren auf Jahre im Voraus belegt. Für Touristen, die damals preiswert in Ordenshäusern logieren wollten, ein Problem. Doch die Zimmer, oder besser: Zellen, in denen viele Bischöfe leben mussten, waren recht bescheiden und im Winter noch dazu kalt.
Die Vorbereitung des Konzils stellte für den Zwergstaat Vatikan eine Herkulesaufgabe dar. Nicht nur bei Unterbringung, Verpflegung und Transport.
Loris Capovilla hat selbst am Konzil teilgenommen. Der Erzbischof war einer der engsten Mitarbeiter von Papst Johannes XXIII.
"Audienzen, Kardinäle und so weiter und er, der Papst, teilte am zweiten Tag des Konzils allen mit, dass sie doch ihre Sorgen und Probleme ihm kundtun sollten. Für Johannes XXIII. war alles so einfach. Er wollte erneuern, aber in seiner grenzenlosen Güte sah er nicht immer, wie schwierig das alles war. Er wollte alles wissen über die einzelnen Diözesen, über alltägliche und religiöse Probleme."
Der Papst, ohne den es kein Konzil gegeben hätte, wollte mit allen über alles sprechen. Vorbereitet wurden die Erörterungen in den sogenannten Commissiones praeparatoriae - Vorbereitungskommissionen, zehn an der Zahl. Sie waren gegründet worden, um eine Massenveranstaltung, wie es das Zweite Vaticanum war, zu organisieren. Die Kommissionen waren zur Hälfte mit Bischöfen und Ordensoberen besetzt, die in engem Kontakt zur römischen Kurie standen und somit enormen Einfluss auf den Konzilsverlauf hatten. Die Kommissionen entschieden sich für Latein als Sitzungssprache - ohne Rücksicht auf die schon damals grassierende Lateinschwäche des Episkopats. Die Patriarchen der Ostkirche weigerten sich, Latein zu reden: Sie sprachen ausschließlich Französisch.
In den Pausen der Konzilssitzungen drängelten sich die Teilnehmer an den beiden Bars, die eigens im Petersdom dafür eingerichtet worden waren. Bars mit Namen: Abba, Vater, hieß die eine, Jonas die andere.
Loris Capovilla amüsiert sich noch heute über den Umstand, dass vor allem die italienischen Konzilsteilnehmer nie Schlange stehen wollten. Immer wieder drängelten sie sich vor. Vor allem die deutschen Bischöfe schimpften über solch ungezogenes Verhalten - auf Latein natürlich.
Morgens und vormittags wurde gearbeitet. Pünktlich um halb eins wurde gegessen, worüber sogar die Nachrichten, wie hier im Jahr 1963, informierten:
"Das Mittagessen wurden wie in einem Kolleg eingenommen, von bischöflichem Prunk keine Spur, alle saßen an einfachen Tischen zusammen. Kardinäle und Bischöfe saßen eng nebeneinander."
Für große Heiterkeit unter den Italienern sorgten Fernsehaufnahmen, die die Bischöfe in vollem Ornat in ihrer Klosterzelle zeigten, während sie Gitarre spielten und sangen. Die Weltöffentlichkeit sollte sehen, dass die Konzilsväter nicht nur debattierten, sondern ihre Zeit in Rom offensichtlich auch genossen.
Nach der Mittagspause wurde die Arbeit fortgesetzt: in verschiedenen Sitzungssälen und Konferenzräumen. Es wurde gelesen und studiert. Die deutschen Bischöfe und Konzilstheologen, darunter Karl Rahner und Joseph Ratzinger, lebten im Campo Santo Teutonico, einem kleinen Territorium im Kirchenstaat, direkt beim Petersdom, dort, wo sich auch der deutsche Friedhof befindet.
Erzbischof Loris Capovilla beschreibt die Jahre des Konzils als "ungemein stimulierend, innerhalb des Vatikans und auch außerhalb".
"Damals begann ein neuer Weg für die Kirche in dieser Welt. Uns war klar: Alles ändert sich in dieser neuen Welt, die Institutionen, moralische Einstellungen et cetera."
Und was für eine neue Welt! Schon 1960 war der von der katholischen Kirche wegen diverser Szenen als skandalös verurteilte Film "La dolce Vita" in die Kinos gekommen, in dem unter anderem ein ausgelassener Adriano Celentano als Italo-Rock-Sänger auftrat. Fellinis Filme zeigten ein Rom, in dem es recht dekadent zuging. Die Jugend begehrte auf und begann mit gesellschaftlichen und religiösen Tabus zu brechen.
Italiens Medien berichteten in jenen Jahren nicht nur über die kontroversen Debatten in der Konzilsaula, sondern veröffentlichten auch pikante Interna. So wagten es einige linke Tageszeitungen über die abendlichen Ausflüge einiger Konzilsväter zu berichten, die Luxus-Restaurants und Partys bei römischen Adelsdamen aufsuchten und erst tief in der Nacht in ihre Unterkünfte zurückkehrten. Paparazzi-Fotos tanzender Bischöfe gelangten allerdings nicht in die Zeitungen. Soweit wie in Zeiten von Vatileaks waren Italiens Medien damals dann doch noch nicht.