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Weltbiodiversitätsrat IPBES
"Die Ausbeutung der Natur hat ein kritisches Maß überschritten"

Viele Menschen weltweit sind auf Wildtiere und frei wachsende Pflanzen angewiesen: Sei es als Lebensmittel, Heilpflanzen oder schlicht und einfach für Brennholz. Doch zunehmend gerät diese Ressource unter Druck - durch eine Übernutzung der Bestände, warnt der Weltbiodiversitätsrat.

Von Volker Mrasek |
Ein Junge steht vor einer zerstörter Regenwaldfläche. Laut dem Artenschutz-Bericht der UN wurden zwischen 1980 und 2000 in den Tropen 100 Millionen Hektar Regenwald zerstört. Dieser wird eigentlich als Kohlenstoffspeicher der Erde gebraucht.
Auch der tropische Regenwald gehört zu den bedrohten Lebensräumen (dpa / picture-alliance / I.R.Lloyd/ Wildlife )
Sie werden gejagt oder gefischt und landen im Kochtopf oder Futtertrog; sie werden gesammelt und zu Arzneien oder Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet: Der Mensch bedient sich reichlich in der Natur! Rund 50.000 wilde Tier-, Pflanzen- und Pilzarten nutzt er für seine Zwecke. Dabei hat die Ausbeutung in vielen Fällen ein kritisches Maß überschritten, wie der Welt-Biodiversitätsrat IPBES in seinem neuen Bericht darlegt. Mit dem Report will er zu einer nachhaltigeren Nutzung wildlebender Arten aufrufen.
Der französische Meeresökologe Jean-Marc-Fromentin ist einer der drei Koordinatoren des Berichts: “Die direkte Nutzung und Übernutzung der Natur durch den Menschen ist ein entscheidender Grund für den Rückgang der Biodiversität weltweit.“ 

Illegaler Handel mit Tieren und Pflanzen

Um einige markante Beispiele aus dem Bericht zu nennen: Die Hälfte aller Bäume weltweit wird abgeholzt, um Brennholz zu gewinnen – auch heute sind noch immer 2,4 Milliarden Menschen auf diese Form von Energie darauf angewiesen, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung. 34 Prozent aller Fischbestände sind überfischt. Mehr als 1.300 Säugetierarten werden zu stark bejagt – darunter sind 670, die als bedroht gelten.
Ein gravierendes Problem ist auch der illegale Handel mit Tieren und Pflanzen. Laut IPBES hat er einen finanziellen Umfang von 70 bis 200 Milliarden US-Dollar jährlich. Immer mehr geschützte Arten seien betroffen, beklagt John Donaldson, südafrikanischer Zoologe und ebenfalls Berichtskoordinator: “Fisch und Holz dominieren den illegalen Handel vom Volumen und Umsatz her. Für seltene Arten kann aber auch schon der Handel im kleinen Umfang kritisch sein. Betrachten wir zum Beispiel bestimmte Kakteen oder Orchideen. Sie haben einen hohen Wert, weil sie selten sind. Und schon geringe Entnahmen aus den Beständen können spürbare Folgen für die Art haben.“   

Indigene Völker als Vorbild

Der Mensch müsse wildlebende Arten unbedingt nachhaltiger nutzen, mahnt der Biodiversitätsrat. Auch deshalb, weil er selbst so stark auf sie angewiesen sei. Als Vorbild könnten hier indigene Völker dienen. Sie begegneten ihrer Umwelt mit Respekt und achteten darauf, die natürlichen Ressourcen zu schonen: “Wenn man aus den Naturwissenschaften kommt, neigt man dazu, nur auf harte Daten und Statistiken zu vertrauen. Indigene Völker haben einen ganz anderen, nicht so rationalen Zugang zu ihrer Umwelt, aber dennoch fundierte Kenntnisse darüber, wie man natürliche Ressourcen nutzt und gleichzeitig bewahrt. Sie liefern uns also wertvolles Wissen über nachhaltiges Handeln. Ihr Beitrag zum Bericht war deshalb sehr wichtig.“                 
Vor drei Jahren hatte der Welt-Biodiversitätsrat seinen ersten großen Hauptbericht veröffentlicht. Er machte weltweit Schlagzeilen. Denn darin hieß es, der Mensch gefährde durch die fortschreitende Ausbeutung der Natur rund eine Million Arten in ihrem Bestand. 

Kein verbindlicher Zeitplan

Jetzt liefert der Welt-Biodiversitätsrat zwar genauere Zahlen zur Übernutzung und zum illegalen Handel mit Pflanzen und Tieren nach. Doch mancher Beobachter hätte sich schärfere Appelle an die Politik in dem Report gewünscht – wie etwa der Meeresbiologe Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Seine Kritik: „Die Kernaussagen des Berichts sind leider sehr allgemein gehalten. Es gibt keinen Aufruf zu dringend benötigten Aktionen wie der Beendigung von Übernutzung mit verbindlichem Zeitplan. Es gibt aber einen Grund, warum die Lage fast überall nicht besser, sondern schlechter geworden ist: Es wurde nicht gehandelt.“ 
Im Dezember findet der nächste große Biodiversitätsgipfel der Vereinten Nationen in Kanada statt. Dort müssten die Regierungen verbindlich beschließen, 30 Prozent der Land- und Meeresoberfläche in einem naturnahen Zustand zu erhalten, fordert Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg. Damit wäre auch eine nachhaltigere Nutzung wildlebender Arten verbunden.
Bisher ist das 30-Prozent-Ziel aber nur eine Absichtserklärung. Es sei überfällig, das zu ändern, so der Biologe: „Eine weiter wachsende Menschheit plündert nach wie vor den Planeten Erde, als ob wir noch einen zweiten hätten. Der Bericht des IPBES zeigt die Gefahren und Verluste unserer übermäßigen Nutzung von Tieren und Pflanzen auf und wie eine nachhaltige Nutzung aussehen könnte - und muss, wenn wir überleben wollen!“