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Die ausländischen Helfer der Wehrmacht

Anders als viele idealisierende Erinnerungsbücher über die Zusammenarbeit der Wehrmacht mit ausländischen Hilfstruppen will der Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller aufräumen mit Mythen auf der einen und Verleumdungen auf der anderen Seite. Er hat sich vorgenommen, in seinem Buch "An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim Kreuzzug gegen den Bolschewismus 1941-1945" überblicksartig die Bedingungen zu untersuchen, unter denen sich Staaten, Völker und Volksgruppen gegen Stalins Sowjetunion auf die Seite der deutschen Aggressoren schlugen. Henry Bernhard hat das Buch gelesen.

    Es mag befremdlich erscheinen, wenn Österreicher und Russen in Tirol gemeinsam vor einem Gedenkstein für einen deutschen Wehrmachtsgeneral stehen und seiner gedenken. Ein junger Historiker ruft von hinten "Kriegsverbrecher" dazwischen. Der General Helmuth von Pannwitz befehligte im Zweiten Weltkrieg das XV. Kosaken-Kavallerie-Korps, eine Reitertruppe aus dem Kaukasus und vom Don, die im Zweiten Weltkrieg nicht etwa das Land verteidigten, dessen Staatsbürger sie waren, die Sowjetunion, sondern die auf deutscher Seite gegen die Sowjetarmee kämpften. Waren es nun Vaterlandsverräter, Kollaborateure, Söldner, Faschisten oder glühende Antikommunisten, die da im Wehrmachtsfeldgrau und mit Kosaken-Fellmützen und Säbel in den Krieg zogen? Dieser umstrittenen Frage stellt sich das Buch "An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim Kreuzzug gegen den Bolschewismus 1941-1945". Anders als viele idealisierende Erinnerungsbücher über die Zusammenarbeit der Wehrmacht mit ausländischen Hilfstruppen will der Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller aufräumen mit Mythen auf der einen und Verleumdungen auf der anderen Seite. Er hat sich vorgenommen, überblicksartig die Bedingungen zu untersuchen, unter denen sich Staaten, Völker und Volksgruppen gegen Stalins Sowjetunion auf die Seite der deutschen Aggressoren schlugen. Dabei macht er deutlich, dass der Anteil von Ausländern, die auf deutscher Seite gegen die Sowjetunion kämpften, deutlich höher war als gemeinhin vermutet.

    "Zu Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion konnte die Wehrmacht rund 600.000 Mann verbündeter Truppen einsetzen, später kamen zahlreiche ausländische Freiwillige und 'Hilfswillige' hinzu. Auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges war an der Ostfront schließlich jeder dritte Uniformträger auf deutscher Seite ein Ausländer."

    Zu Beginn des Unternehmens "Barbarossa" standen zunächst die verbündeten Staaten Deutschland bei: Finnland, Ungarn, Rumänien, Italien, die Slowakei und Kroatien. Dabei darf diese Front keinesfalls als monolithischer Block verstanden werden. Einerseits hatte Hitler keinen der militärischen Partner in die Planung des Russlandfeldzuges eingeweiht. Ein "Blitzkrieg" brauchte seiner Meinung nach keine Verbündeten, so dass man später auch die "Beute" nicht teilen musste. Andererseits waren aber auch die Motive der Verbündeten äußerst unterschiedlich. Der Autor arbeitet sie präzise heraus: Mit der Demokratie Finnland gab es kein formales Bündnis. Finnland führte eher einen Parallelkrieg in Eigenverantwortung mit dem Ziel, das 1939 von der Sowjetunion geraubte Karelien zurückzuerobern. Ungarn als großer Verlierer des Ersten Weltkrieges wollte Teile der 1918 verlorenen Gebiete von der Ukraine und Jugoslawien wiedererlangen. Rumänien verfolgte strategische Interessen auf dem Balkan, verlangte von Deutschland dafür massive Aufrüstung seiner altertümlichen Armee und drängte sich geradezu auf, mit gegen die Sowjetunion ins Feld ziehen zu dürfen. Mussolinis Italien verfolgte seine Eigeninteressen im Mittelmeerraum und führte eher Parallelkriege. Für die Kroaten bedeutete das Bündnis mit Deutschland die Chance zur Selbstständigkeit gegenüber Italien und Serbien. Um die Verbündeten trotzdem für sein Kriegsziel, die "Germanisierung des Lebensraums" im Osten, einzuspannen, kaschierte Hitler dieses mit dem Topos des "Kreuzzugs gegen den Bolschewismus", dem sich viele hoffnungsvoll anschlossen.

    Adolf Hitler: "Wenn wir all unsere Verbündeten und diejenigen, die an unserer Seite kämpfen, Rumänen und Ungarn und Kroaten und Slowaken, und vor allem im Norden die Finnen, dann Spanien und so weiter, wenn wir alle die zusammenfassen, dann können wir wirklich sagen: Es ist heute bereits ein Kreuzzug Europas. Und dazu kommen dann noch die germanischen Freiwilligen unserer Waffen-SS und eigene Legionen einzelner europäischer Staaten. Es ist wirklich Europa, das sich hier zusammengefunden hat, genauso wie in alten Zeiten einst gegenüber den Hunnen oder den Mongolen-Stürmen."

    So Hitler Ende 1942, kurz vor der entscheidenden Niederlage in Stalingrad. Dem vorausgegangen waren der Hitler-Stalin-Pakt 1939, die Teilung Polens und der enorm schnelle Vormarsch der deutschen Wehrmacht auf Moskau 1941, die die politische Landkarte radikal veränderten. Unter diesen Vorzeichen müssen die Allianzen des Zweiten Weltkrieges verstanden werden, so der Autor.

    "Der Schock des Hitler-Stalin-Paktes veränderte das Koordinatensystem. Polen wurde zerrissen, und die Stalinisierung Ostpolens war zunächst brutaler als die deutsche Herrschaft im Westen des Landes. Sie bestätigte die tiefsitzenden Ängste in den baltischen Staaten. Dann wurden auch sie vom Stalinismus überrollt. Erst von Deutschland, dann von den Westmächten im Stich gelassen, waren die Völker im ersten Jahr der sowjetischen Okkupation von politischer Repression und der Deportation ihrer Führungselite betroffen. Als kurz darauf die Wehrmacht in die neu formierten Grenzprovinzen des Sowjetimperiums einfiel, wurde sie von der Mehrheit der Bevölkerung als Befreier begrüßt. Einheimische Soldaten und Offiziere waren bereit, die Fahne zu wechseln und sich wieder in jene gemeinsame Front mit den Deutschen einzureihen, mit der ihre Heimat 1919 und 1920 gegen den Bolschewismus verteidigt worden war - im Glauben, dies würde erneut gelingen können. Patriotismus und Antikommunismus verbanden und trennten sie zugleich von den neuen Herren, die nur vordergründig an die Traditionen des Ersten Weltkriegs anknüpften."

    In Estland, Lettland, Litauen, Polen, Weißrussland, in der Ukraine und im Kaukasus, aber auch in Russland selbst fanden sich Hunderttausende junger Männer, die bereit waren, gegen die Sowjetherrschaft zu kämpfen. Zu schlimm waren ihre Erfahrungen mit stalinistischem Terror, Hungersnöten und Besatzungswillkür. In differenzierten landesspezifischen Darstellungen erläutert der Autor die unterschiedlichsten Arten der Kollaboration mit den Deutschen. Es gab Panjewagenfahrer, die unter russischen Kriegsgefangenen rekrutiert wurden. Es gab lokale Polizeieinheiten, die für die Deutschen auf Partisanen- oder Judenjagd gingen, es gab Moslems mit verwegenen Mützen und deutschen Uniformen, die an vorderster Front kämpften, und es gab estnische und ukrainische Legionen, die mit eigener Uniform hofften, für die Freiheit ihres Landes zu kämpfen. Auch die SS rekrutierte überall in Osteuropa Freiwillige. Dabei wird eines deutlich: Mit ihrem gnadenlosen Regime in Osteuropa verspielten die deutschen Besatzer oft die Sympathie derer, die ihre natürlichen Verbündeten gegen Stalin gewesen wären. Vor allem aber Hitlers Rassenwahn verhinderte die Rekrutierung weiterer Freiwilliger und degradierte andere zu Hilfstruppen oder zu Kanonenfutter an der Front. Den immer drängenderen Forderungen aus dem Oberkommando des Heeres etwa nach einer eigenen russischen Legion unter General Wlassow, treibende Kraft war dort Claus Graf Schenk von Stauffenberg, widersetzte sich Hitler bis zum Schluss.

    Dennoch musste sein 1941 vorgetragenes Credo "Nie darf erlaubt werden, dass ein anderer Waffen trägt als der Deutsche!" angesichts der deutschen Niederlagen ab 1942 einer pragmatischeren Sicht weichen. Auch die SS weichte ihren Rassismus auf. Dies galt umso mehr für West- und Nordeuropa, wo vor allem die SS auf Freiwillige zählen konnte. Sie repräsentierten nationale rechtsradikale bzw. faschistische Strömungen und kämpften zumeist in geschlossenen Einheiten innerhalb deutscher Formationen. Ihre angesichts der geringeren Zahl vor allem politisch-propagandistischen Bedeutung erläutert der Autor in einem eigenen Abschnitt. Die gesamten Länderstudien fasst er dann knapp in drei Thesen zusammen:

    "Ohne den Einbau der verbündeten Armeen hätte die Wehrmacht 1941 nie bis vor die Tore Moskaus marschieren können. Ohne die Mobilisierung zusätzlicher Kräfte der Verbündeten hätte Hitler 1942 seine neue Sommeroffensive Richtung Wolga und Kaukasus nicht durchführen können. Spätestens nach der Katastrophe von Stalingrad konnte die Wehrmacht einen Zusammenbruch der Ostfront nur mit Hilfe der ausländischen Helfer verhindern. Ihre größte Bedeutung hatten sie bei der Sicherung des Hinterlandes und bei der Bekämpfung der Partisanen."

    Schließlich, so der Autor, sei der wohlfeile Begriff der Kollaboration untauglich, das Phänomen der ausländischen Helfer für Wehrmacht und SS in seiner Vielfalt zu erfassen. Zum Verständnis dieser Thematik trägt dieses präzis gegliederte Buch in hohem Maße bei. Der Autor versteht es, militärische Zusammenhänge auch dem Laien verständlich zu erklären und reduziert dabei die militärischen Erwägungen auf den Umfang, der zum Verständnis der historischen Zusammenhänge nötig ist. In der kühlen, mitunter kalten Sprache des Militärhistorikers verdeutlicht er das ganze Dilemma vor allem der Osteuropäer und Asiaten auf dem "Schlachtfeld der Diktaturen". Dabei wird aber auch klar, wie unterschiedlich die Bereitschaft war, Hitlers Rassenideologie zu folgen: Ungarn weigerte sich, seine Juden auch nur zu enteignen. Rumäniens Holocaust kostete 300.000 Juden das Leben, Litauen meldete sich schon kurz nach dem deutschen Einmarsch "judenfrei".

    Doch so prägnant sein Fazit auch ist, hier verschenkt der Autor einiges, wenn er die Erkenntnisse der Detailstudien nicht weiter zusammenfassend vertieft. Auch die Fußnoten bieten leider kaum mehr als Quellenangaben, wo man sich mehr Details erhoffte. Insgesamt aber liegt hier ein äußerst lesenswertes Buch vor, dass dem Leser viele Überraschungen bringen wird. Selten wird so viel historisches Wissen auf so knappem Raum vermittelt.


    Rolf Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim "Kampf gegen den Bolschewismus" 1941-1945
    Ch. Links Verlag, Berlin 2007
    280 Seiten, 24,90 Euro