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"Die Babyklappe hat in Hamburg nachweislich Leben gerettet"

Leila Moysich vom Projekt Findelbaby in Hamburg kritisiert das Plädoyer des Ethikrats für ein Ende von Babyklappen und anonymen Geburten. Der Ethikrat habe sich nicht objektiv genug mit der Situation der betroffenen Mütter auseinandergesetzt.

Leila Moysich im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Der Ethikrat hatte gestern erklärt, die anonyme Kindesabgabe in Babyklappen sei ethisch und rechtlich sehr problematisch. Insbesondere werde das Recht der Kinder auf Kenntnis ihrer Herkunft und auf eine Beziehung zu ihren Eltern verletzt.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Leila Moysich. Sie ist von der Organisation Findelbaby in Hamburg. Dort entstand die erste Babyklappe hierzulande. Guten Tag, Frau Moysich.

    Leila Moysich: Guten Tag!

    Breker: Frau Moysich, Sie sind vom Projekt Findelbaby in Hamburg, dem Träger, wie gerade gesagt, der ersten Babyklappe in Deutschland. Was war eigentlich der Grund dafür, diese Klappe für sie einzuführen?

    Moysich: Im Jahr 1999 sind in Hamburg fünf Kinder ausgesetzt worden und zwei davon sind leider tot aufgefunden worden. Und das war für den Verein SterniPark, der in Hamburg Kindergärten betreibt, Grund genug zu sagen, wir müssen diesen Frauen die Hand reichen. Es darf nicht angehen in unserer Gesellschaft, dass Frauen ihre Kinder alleine auf die Welt bringen und dann nicht wissen, wohin sie mit den Kindern sollen und die womöglich sterben. Deswegen haben wir im Dezember 1999 unser Projekt Findelbaby ins Leben gerufen.

    Breker: Das ist nun zehn Jahre her, Frau Moysich. Was haben Sie bewirken können? Wie wurde die Klappe angenommen?

    Moysich: Zu dem Projekt Findelbaby gehören zum einen die beiden Babyklappen in Hamburg, zum anderen aber auch ein Notruftelefon, was bundesweit rund um die Uhr kostenlos für Frauen in Not zur Verfügung steht. In unseren Babyklappen in Hamburg sind 36 Kinder uns übergeben worden und 13 Mütter haben sich zurückgemeldet und haben ihr Kind wieder angenommen in den acht Wochen nach der Abgabe.

    Wir haben es erreicht, dass seitdem es die Babyklappen in Hamburg gibt, dort kein einziges Kind mehr ausgesetzt worden ist. Die Babyklappe hat in Hamburg nachweislich Leben gerettet. Und über dieses Notruftelefon haben wir über 400 Frauen aus ganz Deutschland betreut, die ihre Schwangerschaft versteckt und verheimlicht haben, und die sich dann eben unter guten medizinischen Umständen helfen lassen haben, indem sie anonym entbunden haben. Von diesen Frauen haben 60 Prozent sich dazu entschieden, ihr Kind wieder anzunehmen, und das ist der Erfolg des Projektes Findelbaby.

    Breker: Frau Moysich, erzählen Sie doch unseren Zuhörern, wie gehen Sie damit um. Sie machen die Klappe auf, finden ein Baby. Was machen Sie dann?

    Moysich: Wenn eine Mutter ihr Kind in unsere Babyklappe legt, dann legt sie es erst mal in ein Wärmebett, sodass es diesem Kind gut geht. Und innerhalb von fünf bis zehn Minuten ist eine Kollegin vor Ort und nimmt das Baby erst mal in Empfang. Dann wird es medizinisch versorgt. Das heißt, es kommt zumindest 24 Stunden in ein Krankenhaus. Dann kommt das Kind zu Pflegeeltern, die auch ehrenamtlich für das Projekt arbeiten und den Müttern Zeit lassen wollen, sich zurückzumelden. Und erst wenn die Frau sich in den acht Wochen nach der Abgabe nicht meldet, kommt das Kind dann in eine Adoptivfamilie.

    Breker: Sie haben gesagt, bislang haben sich 15 der anonymen Mütter später gemeldet. Was sind die Beweggründe gewesen, sich dann doch zu melden? Die Erkenntnis, einen Fehler gemacht zu haben?

    Moysich: Die Frauen, die ihre Kinder in die Babyklappe gelegt haben, haben ihre Kinder alleine auf die Welt gebracht. Die haben vorher ihre Schwangerschaft versteckt und verheimlicht und wussten keinen anderen Ausweg, weil sie dachten, dass sie nicht gut genug sind.

    Das ist die junge Abiturientin gewesen, wo die Eltern gesagt haben, komm mir bloß nicht mit einem Kind nach Hause. Das ist aber auch die Frau in der Ausbildung gewesen, die Angst hatte, ihren Ausbildungsplatz zu verlieren. Das war aber auch die Frau, die schon zwei Kinder hatte und Angst hatte, mit dem dritten Kind überfordert zu sein, und auch Angst hatte, zum Jugendamt zu gehen, weil man dann ihr vielleicht die anderen Kinder wegnimmt.

    Diese Frauen haben eigentlich ganz viele Gefühle für ihr Kind gehabt und aus diesen Gefühlen heraus haben sie sich dann gemeldet, um zu fragen, ob es ihrem Kind gut geht, und haben sich dann eben durch die Beratung und die Hilfsangebote dazu entschieden, ihr Kind anzunehmen.

    Wenn eine Frau ihr Kind in die Babyklappe legt, dann sind wir natürlich darauf angewiesen, dass sie sich meldet, weil wir haben ja gar keine Kontaktdaten. Es ist ein Stück leichter, mit der Frau ins Gespräch zu kommen, wenn sie sich über unser Notruftelefon meldet und wir sie zu einer Geburt begleiten, weil dann sehen wir sie schon und dann können wir mit ihr darüber sprechen, was für Hilfe sie bekommen kann. Oft ist es das erste Mal für diese Mütter, dass sie darüber sprechen, dass sie schwanger sind und dass sie auch Gefühle haben und gar nicht wissen, was sie nun tun sollen. Nach der Geburt, wenn dieses Kind erst mal auf der Welt ist, haben sie ganz andere Möglichkeiten, darüber nachzudenken. Deswegen haben eben auch 60 Prozent der Mütter sich dazu entschieden, ihre Anonymität aufzugeben und dieses Kind wieder anzunehmen.

    Breker: Frau Moysich, nun gestern der Beschluss des Ethikrates. Wie haben Sie ihn empfunden?

    Moysich: Erst mal habe ich zur Kenntnis genommen, dass das Votum des Ethikrates nicht einstimmig ist. Das hat mich schon mal gefreut, dass es auch Menschen im Ethikrat gegeben hat, die gesagt haben, nein, dem stimmen wir nicht zu.

    Wir teilen die Auffassung selbstverständlich nicht. Das heißt, unsere Babyklappen, das Projekt Findelbaby mit der Notrufnummer und der Möglichkeit der anonymen Geburt bleibt bestehen. Was ich ganz schade finde, ist, dass der Ethikrat sich meiner Meinung nach nicht objektiv genug damit auseinandergesetzt hat. Die haben mit keiner einzigen Mutter gesprochen, die hier in diese Situation gekommen ist. Sie haben auch nicht Träger von Babyklappen wie zum Beispiel das Projekt Findelbaby angehört und nach ihren Erfahrungen gefragt.

    Das wäre meiner Meinung nach sinnvoll, dass man sich wirklich mit allen Beteiligten hinsetzt und danach eine Meinung sich bildet. Wenn man die Frauen nicht kennengelernt hat, die neun Monate die Schwangerschaft versteckt und verheimlicht haben, und die nicht gefragt hat, warum hast du damals die Babyklappe genutzt, ich glaube, dann kann man auch nicht wirklich objektiv fordern, die Babyklappe zu schließen.

    Breker: Der Ethikrat hat die Kenntnis der Herkunft als Recht der Kinder in den Vordergrund geschoben. Sie würden sagen, dieses Recht auf Herkunft, das sollte man erst dann in Anspruch nehmen, wenn das Leben überhaupt gesichert ist? Verstehe ich Sie da richtig?

    Moysich: Also, ich schließe mich dem Europäischen Gerichtshof an. Die haben 2003 gesagt, natürlich hat das Kind ein Recht auf Kenntnis seiner Herkunft. Das sagen wir auch vom Projekt Findelbaby. Aber zunächst einmal - und da haben Sie Recht - muss das Kind gesund auf die Welt kommen, damit es überhaupt fragen kann, wer ist meine leibliche Mutter oder wer ist mein leiblicher Vater.

    Wir haben die Erfahrung gemacht, dass - nachdem das Kind auf die Welt gekommen ist - man mit den Frauen auch sprechen kann. Die wollen eigentlich gar nicht ihrem Kind gegenüber anonym sein. Die haben Angst vor der Verurteilung in der Gesellschaft. Und wenn man ihnen dann erklärt, dass es Hilfestellungen gibt, dass man auch Sperrvermerke machen kann, sodass es in ihrer Kleinstadt nicht bekannt wird, dass sie ein Kind auf die Welt gebracht haben, dann geben ganz viele der Frauen, die eigentlich anonym sein wollen, ihre Daten im Interesse des Kindes an, damit es später erfährt, wer seine leibliche Mutter ist.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Leila Moysich vom Projekt Findelbaby. Frau Moysich, vielen Dank für dieses Gespräch.

    Moysich: Vielen Dank an Sie.