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Die "Bassariden" am Nationaltheater Mannheim
Eros und Ratio

Das Nationaltheater Mannheim hat Hans Werner Henzes "Bassariden" ins Programm genommen. Das Werk ist ein halbes Jahrhundert alt und beruht auf einem Stoff von Euripides. Es geht um den Konflikt zwischen (individuell wie kollektiv freigesetztem) Lustprinzip und (staatlicher) Ordnung – man hätte darin eine gewisse Aktualität vermuten können.

Von Frieder Reininghaus |
    Das Nationaltheater Mannheim, aufgenommen 2004
    Das Nationaltheater Mannheim (picture-alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Worum geht es, wenn man sich in die Lineatur dieser sprachgewandten und geschickt instrumentierten Musik der Wirtschaftswunderjahre eingehört hat? Es ist der Ruf des Dionysos, das Leben zur Party zu machen. Der als "Fremder" verkleidete Halbgott legt sich mit Pentheus an, dem neuen jungen König von Theben. In Frank Hilbrichs Mannheimer Inszenierung tut er dies in der Stadtbibliothek, in der die Bevölkerung herumsteht und die Leute aussehen, als wären sie kurz zuvor aus der Straßenbahn gestiegen. Die wenigstens freilich lesen – und Euripides wohl schon gar nicht. Der abgedankte König Kadmos, der blinde Seher Teiresias und ein Terzett des weiblichen Hofstaats lenken die Aufmerksamkeit auf die Religionsfragen, die das Stück durchziehen.
    Die verkleinbürgerlichten Royals gerieren sich dabei allerdings so, als wollten sie die Auswirkungen des TTIP-Abkommens für ihre Familien-Holding erörtern. Chiffren des Ringens um religiöse Überzeugungen, um alte und neue Glaubensformen – wie zuletzt bei Romeo Castelluccis "Moses"-Inszenierung am Dienstag in Paris – deuten sich jedenfalls nicht an. Nur am Ende glotzt die Menge verzückt. Gegenüber der fulminanten Schönberg-Oper ist Henzes Tonsatz freilich deutlich leichtere Gewichtsklasse. Der Sound wirkt mitunter eilig zusammengeschrieben und fast rührselig. Der bulgarische Kapellmeister Rossen Gergov nimmt’s wie’s kommt und wird der archaisierenden Nachdrücklichkeit der Chöre ebenso gerecht wie der neutönenden kunstgewerblichen Geschmeidigkeit.
    Mehr Orgie ist nicht
    Soweit der sich erfolgreich mühende Tenor Roy Cornelius Smith als halbgöttlicher Dionysos. Die Bürger Thebens lassen sich vom Sachwalter des Rauschs im weißen Gehrock (ver)führen. Sie strömen zur nächtlichen Ausschweifung am Berg Kytharon zusammen, nachdem ein Erdbeben die Bücher von den Regalbrettern fegte. Dem aufgeklärt vernünftigen und asketischen Herrscher entgleitet die Kontrolle – trotz Foltereinsätzen. Pentheus, als Widerpart zu Dionysos im schwarzen Gehrock, spioniert seinem Volk nach. In dessen Vergnügungen sollte sich seine Mutter mit einer Rokoko-Theatereinlage einbringen. Tut sie in Mannheim aber nicht. Es zeigt sich lediglich am und im Obergeschoss (und dann auch Parterre) ein Gewimmel in Unterwäsche – per Video. Ziemlich grau und matt. Mehr Orgie ist nicht. Der als Frau verkleidete Voyeur Pentheus wird aufgespürt und gelyncht – vornan von der außer Rand und Band geratenen eigenen Mutter. Darüber ist diese am nächsten Morgen, in der ramponierten Bibliothek wieder zur Besinnung gebracht, nicht erbaut.
    So richtig erkenntnisgewinnlerisch wird auch das nicht in Hilbrichs Inszenierung. Und das verwundert nicht: Die Konflikte zwischen den Welten der Pflicht und der Neigung hätten ehrlicherweise schon vor fünfzig Jahren anders verhandelt werden müssen. Und heute erst recht. So bleibt schließlich die recht klangschöne Erinnerung an Pentheus, der für seine Bemühung um vollständige Einhaltung des staatlichen Rechtsprinzips und der Grenzen des Ordentlichen sein Leben lassen muss. Karsten Mewes verleiht mit seinem distinguierten Bariton dieser vermutlich zu allen Zeiten ungeliebten und letzten Endes vergeblichen Bemühung erheblichen Nachdruck.