„Gud Mornin Salone"– oder „Guten Morgen Sierra Leone“ – heißt das Programm, mit dem ein Großteil des westafrikanischen Landes seinen Tag beginnt. Es diskutiert die Arbeit des Präsidenten Julius Maada Bio, die Schritte der Ex-Schauspielerin und First Lady Fatima und aktuelle Probleme wie Armut und Korruption.
„Gud Mornin Salone“ ist das Flaggschiffprogramm des unabhängigen Senders „Radio Democracy 98.1.“ Das Konkurrenzprogramm der öffentlich-rechtlichen Sierra Leone Broadcasting Corporation – oder SLBC – heißt „Morning Coffee“.
„Radio ist hier das wichtigste Medium, um sich zu informieren“
Die Bedeutung dieser Sendungen sei im westafrikanischen Entwicklungsland kaum zu überschätzen, sagt Ahmed Nasralla, Vorsitzender des sierra-leonischen Journalistenverbands:
„Radio ist hier das wichtigste Medium, um sich zu informieren. Im ganzen Land werden Programme auch in verschiedenen lokalen Sprachen ausgestrahlt, damit möglichst jeder folgen kann.“
In kaum einem Land der Welt ist Radio im Vergleich zu anderen Medien so wichtig wie in Sierra Leone. Laut dem Human Development Index gehört das westafrikanische Land mit seinen acht Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu den ärmsten der Welt.
Wenig Zeitungslesende durch geringe Alphabetisierung und Logistikprobleme
Der Alphabetisierungsanteil liegt bei 43 Prozent, wird von kaum zehn anderen Ländern untertroffen. Nur rund die Hälfte der Bevölkerung hat einen Fernseher, kaum ein Fünftel Internetanschluss. Dafür aber haben rund 80 Prozent der Bevölkerung Zugang zu einem Radiogerät.
Zeitungen werden fast nur in der Hauptstadt Freetown vertrieben
Und es gibt weitere Gründe für die hohe Bedeutung des Radios. Andere Medienarten haben es nämlich besonders schwer, Menschen zu erreichen, so Ahmed Nasralla:
„Das Problem, dass kaum Menschen Zeitung lesen, liegt nicht nur an der geringen Alphabetisierung. Es ist auch ein Problem der Logistik. Die Zeitungen werden fast nur in der Hauptstadt Freetown vertrieben, in den Provinzen kann man sie eigentlich nicht kaufen. Deshalb lasen auch in den Kriegsjahren, als die Alphabetisierung noch etwas höher war, schon kaum mehr Menschen Zeitung als heute.“
Bedeutung des Radios historisch gewachsen
Vor knapp 20 Jahren endete in Sierra Leone ein elfjähriger Bürgerkrieg. 70.000 Menschen starben, 2,6 Millionen verloren ihr Zuhause. Und statt zur Schule zu gehen, kämpften auch viele Kinder als Soldaten. Über die Geschehnisse in diesem Krieg informierten sich die Menschen am schnellsten über Radio. Staatsstreiche wurden damals regelmäßig als erstes über den öffentlichen Sender SLBC verkündet.
Seine Bedeutung von damals hat das Radio nicht eingebüßt. So empfinden viele Journalisten heute besondere Verantwortung und bemühen sich, alte Ressentiments nicht wieder aufflammen zu lassen. Das betont etwa Ransford Wright, Vorsitzender des Independent Radio Networks und Chef des christlichen Senders BBN:
„Unser Programm ist nicht nur für Christen, Muslime oder was auch immer. Es ist für die Leute. Auf BBN verbreiten wir natürlich die Botschaft von Jesus Christus. Aber wir haben auch muslimische Hörer, die in unseren Sendungen anrufen. Andersrum ist es mit muslimischen Sendern ähnlich. Wir müssen die Menschen über Radio erreichen, auch weil der Strom so oft ausfällt. Selbst Social Media konsumiert bis jetzt höchstens eine Million im Land.“
Bildungsprogramme mit hoher Popularität
Dabei ist Radio in Sierra Leone längst nicht nur für Nachrichten, Unterhaltung und Religion zuständig. In der Ebola-Epidemie ab 2014 etablierte sich das Radio auch als wichtiges Medium für die Lehre. Als im Namen des Social Distancing die Schulen geschlossen werden mussten, konnte der Nachwuchs rund neun Monate lang keinen Klassenraum betreten. Und da es keine Möglichkeiten für Videokonferenzen gab, zumal es ohnehin nicht besonders viele Haushalte mit Internetanschluss gibt, rief die Regierung das „Radio Teaching Programme“ ins Leben. Auch in der Coronapandemie ist das Programm wieder On Air gegangen.
Das Bildungsprogramm erreicht bis heute nur rund zwei Drittel aller Kinder im Schulalter. Um alle zu erreichen, so das Bildungsministerium, bräuchte es landesweit mindestens 17 weitere Sendeanlagen. Derzeit bemüht sich die Regierung, gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen, die Infrastruktur entsprechend aufzurüsten.
Denn das würde nicht nur bei der Bildung des Nachwuchses helfen. Es ist auch der vielversprechendste Weg, um der gesamten Bevölkerung besseren Zugang zu Informationen über die Lage im Land zu verschaffen. Denn das Radio ist nicht nur oft der schnellste Weg der Information, sondern auch der verständlichste.