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Die Berliner Band Portmonee
Coming of age-Indie

Die Berliner Band Portmonee meistert die Gratwanderung zwischen Indie und Mainstream: In melodisch-verspielten, Gitarren-betonten Songs singen die sechs Musiker über Liebe, das Anderssein oder auch Fantasien von Gewalt. "404" heißt ihr Debütalbum, nach der Fehlermeldung im Internet: insgesamt ganz sicher kein Fehler!

Von Anja Buchmann |
    Fünf Männer stehen auf einem Balkon. Ein Mann sitzt auf dem Balkongeländer.
    Im Bandraum treffen sich Portmonee und dann wird gejammt. (Kerem Bakir)
    Musik: "Wild wild east"
    "Dies ist ein Song, der auf einer wahren Geschichte beruht."
    Tom Faberge über "Wild wild east".
    Der wilde Osten
    "Da war ich nicht selbst dabei, aber ich wäre es gerne gewesen. Da ging es darum, einen Freund von mir bei einem anderen Freund, den ich auch kenne, war in Brandenburg auf einer Geburtstagsparty und da gab es dann Kokain in einem kleinen Gartenhaus. Das sind Freunde, die dann im Kern von Brandenburg manchmal geblieben sind. Das will ich gar nicht so abschätzig sagen, aber das ist so. Da bleibt man dann dort und dann fühlt man sich darin wohl und die Perspektive ist nicht unendlich groß. Dann feiert man seinen Geburtstag und da wurde mal dann Kokain besorgt und das gab's in einem Gartenhaus dort. Und das fand ich ziemlich verrückt. Als ich das dann gehört hab, aus irgendeiner merkwürdigen Perspektive heraus, wäre ich auch gern da gewesen, hätte mir das mal angeguckt. Aber ich finde das ziemlich skurril. Und um diese Geschichte dann ein bisschen nachzuerzählen, ist dieser Song entstanden."
    Sie schimmert hin und wieder durch, die gemeinsame Kindheit von Paul, Ludwig, Leon, Vincent, Martin und Tom in Brandenburg. Fast alle sind kurz nach der Wende geboren und haben zumindest noch Teile des alten DDR-Überbaus durch die älteren Generationen erlebt.
    "Nehmen wir die Schule, nehmen wir unsere Lehrer beispielsweise, wir sind 97/98 in die Schule gekommen und da sind Strukturen, wo man merkte, das ist aus einem anderen Land. Das sind teilweise die Leute, die Älteren, die Erwachsenen, die haben so eine Sozialisation erlebt, die in einem anderen Land stattgefunden hat. Und wenn man das dann vergleicht mit anderen Leuten, die man sonst so kennt, da merkt man auch schon so einen Unterschied. Also das ist alles doch Post-DDR, da hat man das schon auch gut erlebt oder allein die Gebäude teilweise. Das war ja in Mitte der 90er oder Ende der 90er, da auch nicht alles großartig renoviert, wie das heute ist. Das sind teilweise Gebäude, in den wir da so in der Schule waren oder auch in der Freizeit, die einfach total sozialistischen Charme hatten."
    Die Anfänge: The Peters
    Die Geschichte der Band Portmonee begann schon vor etwa zehn Jahren – damals noch unter dem Namen The Peters. Die Musik: Gitarrenrock, manchmal liebäugelnd mit melodischem Punk.
    Musik: "Gang"
    2016 erschien die EP "Füchse der Pandora" von The Peters. Ein Tonträger, auf dem sie schon ihre Wandlung zu deutschsprachiger Musik präsentierten, denn vorher haben sie englisch gesungen. Und die Sprache ihrer Texte hat auch damit zu tun, dass sie sich 2018 dann in Portmonee umbenannt haben.
    "Da wir englischsprachige Musik gemacht haben, mit möglichst verwaschenen englischen Texten, Schulenglisch, und da haben wir uns dann diesen Namen The Peters gegeben, diesen englischsprachigen Namen. Und irgendwann haben wir deutsche Musik gemacht und dort kam dann immer wieder die Frage: Bei dem Namen hätte ich das nicht gedacht und das da hab ich euch ja gleich in eine andere Ecke geschoben, mir das gar nicht erst angehört, weil ich dachte, das wäre englischsprachig. Und naja, das haben wir irgendwann so oft gehört, dass wir dachten, vielleicht sollten wir da mal Ordnung schaffen und uns einen Namen geben, mit dem man dann auch so ein bisschen die deutsche Sprache assoziieren kann."
    Und so reiht sich Portmonee – was wie die eingedeutschte Version der Geldbörse geschrieben wird – in eine Reihe von Namen sehr unterschiedlicher deutscher Indie-Bands ein, die von die Sauna über die Kerzen bis zu Messer führt. Eine neue Sachlichkeit? Zumindest Namen, die man sich einprägen kann.
    Musikalische Öffnung
    Portmonee öffnet sich außerdem weiteren musikalischen Einflüssen außer Indie-Rock, auch auf ihrem Debüt-Album "404" klingt das schon bei einigen Songs an.
    "Wenn man sich ernsthaft für Musik interessiert, kommt man natürlich schnell auch auf Hip Hop oder auf Of Soul und so was. Und unsere Musik versucht zumindest das mehr und mehr da irgendwelche Anleihen reinzubringen. Das ist jetzt mit unserem Erstling... genau, das ist schon ziemlich auch noch in der Indie Rock-Szene verortet. Wenn ich das selbst einschätzen würde, bei allem was noch kommt, was wir noch vorhaben, denke ich, dann wird das noch mehr zur Geltung kommen, diese anderen Einflüsse. Man tastet sich natürlich ran und wenn man sich dann auf einem Feld wohlfühlt, dann denkt man jetzt könnten wir aber auch mal auf ein anderes Feld nochmal übergehen und schauen, was wir da so abgrasen können und ein paar andere Einflüsse heranziehen."
    So hört man auf "404" zuweilen Jazz-Akkordfolgen, ein paar Glamrockanleihen, funky Bass-Linien und glitzernd poppige Synthie-Sounds. Wie beim Song "Rio".
    "Da gab es ganz klar zuerst das Instrumental und ich fand, dass das Instrumental ist ziemlich shiny und so. Naja, da gibt's diese Synthesizer hat uns auch alle ein bisschen an Bilderbuch erinnert, die wir alle sehr gut finden. Dann hat es für mich etwas ein bisschen ein Sehnsuchtsort. Und ich fand Rio und Rio und Rio, dass das natürlich lautmalerisch funktioniert. Ich war noch nie in Rio. Aber habe ich trotzdem mal drübergeschrieben, so als Sehnsuchtsort. Vielleicht ist ja auch der beste Sehnsuchtsort der Ort, den man gar nicht kennt. Und dann kann es so schön sein, wie es ja vielleicht in Wirklichkeit gar nicht ist. Und das ist für mich Rio."
    Musik: "Rio / Karma"
    Sie sind melodisch und schnell im Ohr, die Songs der Band Portmonee, Musik von jungen Menschen, die ihre Wünsche, Träume und Lebenswegsuche in Musik verarbeiten. Vergleiche mit der ebenfalls in Berlin ansässigen Gruppe Von wegen Lisbeth lehnt Sänger Tom nicht grundsätzlich ab, immerhin seien sie auch von anderen Bands dieser Zeit beeinflusst, die deutschsprachige Indie-Musik machen. Vielleicht passt als Referenzpunkt aber noch eher die Hamburger Band Kettcar rund um Sänger Marcus Wiebusch mit ihren melodischen Rock-Pop-Songs. Große Einigkeit in punkto Vorbilder gibt es bei allen Portmonee-Musikern jedenfalls bei einer Formation:
    "Es gibt einfach Bands, wo wir uns alle einigen können wir auch alle bewundern und Rio, Rio Reiser und Ton Steine Scherben, das ist so eine Band. Das ist ja so stilprägend. Die haben ja solche Musik gemacht, die so, so anklagend ist, so schroff. Zu einer Zeit, wo das auf Deutsch gesungen gar nicht so gegenwärtig war, ebenso die Vorreiter in der Geschichte. Und deswegen, man fällt auch einfach schnell darauf zurück, weil Rio Reiser eigentlich schon ganz viele Dinge gesagt hat und vielleicht sogar besser gesagt hat als man selbst, weil er das einfach unglaublich gut konnte. Und Rio und Ton Steine Scherben, das ist für uns alle ein großer Typ, der beschreibt so, wie wir eigentlich zur Musik gekommen sind und wie wir uns da dabei gefühlt haben."
    Sechs Männer stehen auf einer Strasse.
    Portmonee hatten eine gemeinsame Kindheit in Brandenburg (Kerem Bakir)
    Musikalisch führt keine klare, direkte Linie von Rio Reiser und Ton Steine Scherben zu den Portmonee-Songs. Die Anarchie-Pioniere sind in der gemeinsamen Leidenschaft eher Vorbilder, Rollenmodelle für die jungen Berliner, die ihren Weg in der Branche erst noch gehen müssen, was sie auch im Titelsong des Albums "404" besingen:
    "Error 404. Da heißt es in dem Song "Wir sind jung, wir sind schön, wir sind nicht richtig hier." Und das ist so im Kern das Gefühl, was ich und ich glaube auch die anderen, oft hatten. Wir haben angefangen, Musik zu machen, konnten das nicht wirklich gut, haben es trotzdem immer weitergemacht. Und das wird dann natürlich kritisch beäugt von manchen Menschen, die sagen: macht doch was Richtiges mit eurer Zeit. Aber habe es trotzdem gemacht und wir wissen auch alle, warum wir das machen. Also wir machen das, weil uns das unglaublich viel Spaß macht. Weil wir uns da vielleicht auch selbst therapieren, weil wir da ein großes Gemeinschaftsgefühl haben, das wir anders so gar nicht bekommen können. Also ich kenne das nicht auf eine andere Weise. Und darum geht's in dem Song, dass viele Leute einen belächeln dafür. Aber man macht es trotzdem. Man weiß selbst genau, warum."
    Musik: "Error/404"
    Am Anfang war das Jammen
    "Meistens ist es doch so, dass wir uns in unserem Bandraum treffen, da zu sechst. Und dann wird ganz klassisch gejammt."
    Tom Fabergé zur Entstehung der Songs bei Portmonee. "Also meistens gibt es irgendwie ein Schlagzeug, Beat oder ein Gitarrenriff oder der Bass spielt was. Und dann setzt der andere dazu ein und dann spielt sich irgendwas. Dann spielt sich das Thema immer wieder. Und dann beginne ich auch schon in so einer Fantasie-Sprache, wie das einige Menschen vor mir auch schon gemacht haben, mir irgendwelche Phrasen zu singen. Und manchmal entsteht daraus irgendetwas, was allen gefällt. Und das ist dann der erste Anhalt. Das wird dann aufgenommen, strukturiert und dann wird der Text nochmal dazu geschrieben im Verlauf."
    Musik: "Sonnenallee / Chili"
    Die Liebe, das Nicht-Dazugehören, das Anderssein, Instagram-Scheinwelten, Zweifel, Selbstüberschätzung, Sehnsuchtsorte… all diese Themen verhandeln die sechs Bandmitglieder in ihren Texten. Geschrieben von Sänger Tom, der auch schon mal schöne Sätze herauslässt, wie "Wo ist Gott, wenn man sie braucht, sie ist eine wie ich, steht vor nem Krankenhaus und raucht, mag die Zukunft nicht...". Dabei muss sich der Sänger mit seinen Texten immer wieder der Kritik seiner Kollegen stellen, überhaupt wird viel diskutiert in der Band:
    "Kritik ist total wichtig und die Kritik ist auch gut. Die Kritik, die ich da bekomme, die finde ich auch sehr sinnvoll. Aber auch musikalisch funktioniert es genauso. Man streitet sich schon insgesamt.
    Das Album hat auch ein bisschen Pop Charakter bekommen, ganz klar. Und das war oft Streitthema. Am Anfang wollten wir es doch rougher haben. Dann hätten wir das Album vielleicht nochmal verschoben, wär vielleicht nochmal rougher geworden. Aber man weiß es nicht. Man muss es irgendwann abgeben."
    Musik: "Hin und her"
    Hin und wieder spielt Portmonee mit kleinen Zitaten – so etwa bei "Mick Jagger", im Refrain des Songs klingen im Hintergrund-Gesang "Huuhuus‘"aus dem Stones-Klassiker "Sympathy for the devil" an. Ansonsten hat der Text einen traurigen Hintergrund, trifft aber in seiner Mischung aus Melancholie und Heiterkeit die beabsichtigte Stimmung.
    "Es gab einen Todesfall in unserem ganz nahen Umfeld, der uns alle ziemlich bewegt hat. Es war irgendwie für mich war persönlich klar, dass irgendetwas daraus entstehen muss, dass wir da irgendwie einen Song drüber machen sollten. Und dann bin ich hat sich dieser Song besonders gut angeboten, weil er eben nicht per se ein ganz trauriger Song ist immerzu, sondern auch andere Tendenzen hat. Das ist die Trauer verpackt in vielleicht auch ein bisschen Hoffnung am Ende. Und deswegen dachte ich, das ist vielleicht der richtige Song, um diese Message zu transportieren."
    Musik: "Mick Jagger"
    Musik in Zeiten der Pandemie
    Im Juli ist "404" von Portmonee erschienen: Ein ungünstiger Zeitpunkt natürlich, da es eine Zeit war, in der die Jungs bis auf kleine Akustik-Sessions keine richtigen Konzerte spielen konnten. Aber das Album sollte nun endlich veröffentlicht werden, zumal die Kompositionen schon zum Teil aus dem Jahr 2016 stammten. Sie haben das Beste draus gemacht und versucht, über die sozialen Medien möglichst präsent bei ihren Fans zu bleiben: Einmal gab es regelmäßige kleine Videos, in denen je ein Musiker etwas über die Hintergründe eines Songs erzählte. Und zum anderen ein Online Release Konzert.
    "Das kann man sich auf YouTube angucken, ich finde das ist lustig geworden, aber es ist natürlich auch eine kleine Show drumherum gemacht. Ist natürlich nicht dasselbe. Man kriegt kein Feedback vom Publikum, man singt in die Kamera oder spielt irgendwann in die Kamera. Und es macht auch Spaß. Aber am Ende geht man einen Weg und man weiß überhaupt nicht ... - man hätte auch für sich selbst spielen können. Dieses Feedback fehlt und das ist ja dieser Moment, in den alle so lieben. Den hat man dann natürlich nicht. Also das vielleicht so eine so eine Behelfstechnik, die man einsetzen kann, um überhaupt was zu machen, aber nicht das gleiche."
    Angesichts steigender Infektionszahlen bleibt die Hoffnung auf Live-Auftritte in kleineren Klubs derzeit eher gering. Denn gerade für die kleineren Spielstätten lohnt es sich oft nicht wieder zu öffnen, weil sie durch die Abstandsregelungen in der Corona-Pandemie nur sehr wenige Zuschauer einlassen dürfen und gleichzeitig durch mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Theke und Technik höhere Kosten hätten. Deswegen bleiben viele Läden noch geschlossen. Die sechs Musiker von Portmonee haben zum Glück andere Jobs oder studieren noch und sind jedenfalls derzeit nicht allein vom Musikmachen abhängig. Dennoch: Sie wollen natürlich weitermachen, haben wieder neue Songs komponiert und sogar bereits das zweite Album im Hinterkopf:
    "Wir wollen das wenn möglich gerne schon 2021 rausbringen, in der Hoffnung, dass man dann auch touren kann. Weil das ist das Erlebnis für jede Künstlerin, jeden Künstler und vielleicht auch die Leute drumherum. Ich bin auch gern Konzertgänger und es ist natürlich großartig. Und wenn das 2021 wieder passiert und Portmonee dabei sein dürfen, dann wäre ich sehr glücklich."
    Musik: "Nightrider"
    Coming of age-Indie
    "Das Album hat auch ein bisschen Pop-Charakter bekommen, ganz klar. Und das war oft Streitthema."
    "Das ist auch etwas eine Idee für das nächste Album, für die nächsten Projekte..."
    "...dass wir das Ganze vielleicht noch ein bisschen mehr in den Live-Charakter rein drehen und ein bisschen mehr Live Charakter in das Album geben."