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"Die Bildungssysteme in Deutschland sind besser geworden"

PISA und die innerdeutsche PISA-E-Studie habe mehr bewegt als die 40 Jahre ideologiebelastete Diskussion zuvor, meint Jörg Dräger. Der Bildungsvorstand der Bertelsmann Stiftung fordert grundsätzlich mehr Faktentransparenz im Bildungssystem und eine neutrale Instanz bei der Messung der Bildungsqualität der Länder.

Jörg Dräger im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Als die Ergebnisse der ersten internationalen PISA-Studie veröffentlicht wurden, war Bildungsdeutschland schockiert, denn ganz anders als erwartet waren die Schüler im Land der Dichter und Denker nicht mal Mittelmaß im internationalen Vergleich. Ganz aussagekräftig war der Test in Deutschland allerdings nicht, denn PISA soll ja letztlich die Leistung eines Schulsystems messen, und Deutschland hat ja nicht eines, sondern 16 Schulsysteme. Fast noch wichtiger als PISA waren deshalb die Ergebnisse der ersten innerdeutschen PISA-Studie und die sorgte heute vor genau zehn Jahren für den zweiten PISA-Schock. Der Test hat nämlich empirisch belegt, dass zum Beispiel bayerische Migrantenkinder besser abschneiden als gebürtige Bremer. Einigen Bundesländern waren die Ergebnisse offenbar so peinlich, dass sie die Details nach der ersten Studie unter Verschluss gehalten haben, 2009 wurde der Test dann auch erst mal ganz abgeschafft. Einer, der immer wieder versucht hat, die genauen PISA-Ergebnisse zu bekommen, ist Jörg Dräger, Bildungsvorstand der Bertelsmann Stiftung. Herr Dräger, haben Ihnen die Länder irgendwann mal plausibel erklären können, warum die Ergebnisse der Ländertests Geheimsache sind?

    Jörg Dräger: Das haben die Länder leider nicht. Vorweg vielleicht erst mal: PISA insgesamt hat wirklich mehr in diesen zehn Jahren bewegt, auch PISA-E, als die 40 Jahre ideologiebelastete Diskussion zuvor. Deswegen ist es so wichtig eben, die Transparenz und die Daten und die Fakten zu haben. Die Länder haben argumentiert, Ländervergleiche seien Aufgabe der Kultusministerkonferenz, die nimmt sie aber nicht wahr. Und insofern versucht Wissenschaft, versuchen Stiftungen, Faktentransparenz in unser Bildungswesen zu bringen. Das gelingt uns leider nicht immer, da wir eben an die Daten nicht rankommen.

    Götzke: Sie haben es ja schon angesprochen: 40 Jahre lang Bildungspolitik mehr oder weniger intransparent, ideologiebelastet. Gibt es jetzt einen Rollback, wenn die Ergebnisse nicht publik gemacht werden?

    Dräger: Ich befürchte da einen Rückschritt. Natürlich ist Transparenz mühsam, das ist auch mühsam für die Länder. Das Problem ist allerdings, die Länder kontrollieren sich da selbst. Sie entscheiden über die Fakten, aber sind auch die, die die Bildung eben verantworten. Und da fehlt ein Stück die neutrale Instanz. Und solange die es nicht gibt – zum Beispiel könnte ja der Bund die Qualität der Bildung in allen 16 Ländern messen –, solange es diese neutrale Distanz nicht gibt, werden immer wieder Versuche der systematischen Intransparenz erfolgen. Also, man wird immer versuchen, die Dinge, die wirklich problematisch sind, nicht zu messen. Das gilt übrigens auch für PISA, also, über die Hauptschulen, über die Förderschulen, da wissen wir so gut wie nichts oder gar nichts. Das liegt daran, dass da die Probleme am größten sind. Und am einfachsten fällt es uns, das Abitur zu vergleichen, weil, da, wissen wir, stehen wir im Prinzip ganz vernünftig da.

    Götzke: Ist das Bildungssystem in Deutschland oder sind die Bildungssysteme nach zehn Jahren PISA-Tests, PISA-E-Tests tatsächlich besser geworden, oder sind die Schüler auf diese Tests einfach nur besser vorbereitet?

    Dräger: Aus meiner Sicht, die Bildungssysteme in Deutschland sind besser geworden, in den zehn Jahren ist sehr viel geschehen zum Thema Sprachförderung, nationale Bildungsstandards. Also, da hat Politik sich durchaus bewegt und wir sehen Verbesserungen. Wir sehen zum Beispiel im Bereich der Naturwissenschaften, dass Deutschland genau wie im Bereich Mathematik inzwischen überdurchschnittlich im internationalen Vergleich ist, da waren wir unterdurchschnittlich. Wir sehen aber auch, dass es gerade die schwächsten Länder sind, die aufgeholt haben. Also, die Spitze, die Bayerns und Sachsens und Baden-Württembergs, die verharren in der Position, die war aber schon sehr gut vorher, und die Bremens und Berlins und Hamburgs, die sind diejenigen, die aufholen, die von unten nachrücken. Das heißt, die Spreizung der Länder ist geringer geworden, was ja auch im Sinne durchaus der Bürgerinnen und Bürger ist, die eben vergleichbare Bildungspolitik und -ergebnisse in den einzelnen Ländern erwarten. Fortschritte sind da, nur, da sollten wir nicht stehen bleiben, der Rest der Welt bewegt sich auch! Und ideologiebehaftete Bildungspolitik aus dem Bauch heraus, das haben wir in den 40 Jahren vor PISA probiert, da sind wir nicht sehr weit mit gekommen. Und wir haben wirklich durch die Empirie, durch die Fakten eine bessere Bildungspolitik gemacht in den letzten zehn Jahren.

    Götzke: Das Problem, dass Schüler auf Tests, auf bestimmte Testsystematiken in bestimmter Weise vorbereitet werden und Ergebnisse verfälscht sein könnten, sehen Sie also nicht?

    Dräger: Nein, das sehe ich nur in sehr geringem Umfang, und zwar, weil es PISA gelingt, tatsächlich die Kompetenzen der Kinder zu testen. Also, hier wird überprüft nicht Faktenwissen, sondern wie gut Kinder in der Lage sind, bestimmte Methoden anzuwenden. Und es gibt sogar sehr schöne Untersuchungen aus Kanada, die zeigen, dass das PISA-Test-Resultat eines Kindes um ein Vielfaches aussagekräftiger ist für die zukünftige Entwicklung des Kindes, ob es also auch die Uni schafft und Ähnliches, als die Schulnoten, die gewählt werden.

    Götzke: Die innerdeutsche PISA-Studie, die wurde wie gesagt 2009 eingestellt, und stattdessen überprüfen die Länder jetzt mit Tests sogenannte Bildungsstandards. Sind diese Standards genau so aussagekräftig oder für die schwächeren Bundesländer einfach nur etwas schmeichelhafter?

    Dräger: Das IQB, das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, was damit beauftragt wurde, ist ohne Frage ein renommiertes Institut. Das Problem ist, dass man die internationalen Standards jetzt verlässt, und man hat dann eben nicht mehr auch die internationale Vergleichbarkeit, sondern macht zwei getrennte Tests. Und das Problem ist auch, dass die Abstände der Ländervergleiche untereinander der Bundesländer so groß sind und man wechselhaft mal Englisch, mal Mathematik, mal Naturwissenschaften testet, dass man eigentlich dann gar nicht mehr vergleichen kann. Bei dem neuen Format können die Länder direkt mitbestimmen, was getestet wird. Ich glaube, sinnvoller wäre, man nimmt das, was eben international erprobt ist, als zu versuchen, wieder ein bisschen Politik dort einfließen zu lassen und vielleicht gerade nicht dort zu testen, wo die Probleme am größten sind.

    Götzke: Oder wäre es nicht ehrlicher, ganz radikal vorzugehen und zentrale Abschlussprüfungen einzuführen im Abitur, in der Realschule oder in der Haupt-, Gemeinschafts- oder Gesamtschule?

    Dräger: Das kann man gemeinsam machen, das muss man nicht gemeinsam machen. Nur wir sollten nicht dabei stehen bleiben, nur ein ländergemeinsames Abitur zu haben. Denn wie gesagt, dort stehen wir noch ganz vernünftig da, das ist auch gut, dort besser zu werden, aber die wirklich relevanten, großen Probleme unseres Bildungswesens sind in den Förderschulen, die in der Regel gar keine Abschlüsse kennen, sind in den Hauptschulen. Und dort brauchen wir eben Vergleichbarkeit und möglichst nicht erst im Alter von 15, sondern es ist durchaus sinnvoll, auch im Alter von zehn schon mal den Leistungsstand zu erheben, um zu gucken, wie gut die Grundschulen waren, um auch hier Verbesserung herbeizuführen.

    Götzke: Heute vor zehn Jahren wurde der erste innerdeutsche PISA-Test publik gemacht, der PISA-Schock, den dieser ausgelöst hat, der war letztlich heilsam, sagt Jörg Dräger von der Bertelsmann Stiftung. Besten Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.