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Die blutige Sinnlosigkeit des Krieges

Das Jahr 1930 markierte einen politischen Wendepunkt in der Weimarer Republik. Die NSDAP wurde zweitstärkste Partei hinter der SPD. Rechtsruck und veränderte politische Stimmung machten sich auch in kulturellen Bereichen bemerkbar. Der oscargekrönte amerikanische Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" wurde verboten, weil er "das deutsche Ansehen im Ausland gefährde".

Von Hartmut Goege |
    "Die Oberprüfstelle ist der Auffassung, dass der vorliegende Bildstreifen nicht der Film des Krieges, sondern der Film der deutschen Niederlage ist. Mit der Würde eines Volkes wäre es nicht vereinbar, wenn es seine eigene Niederlage, noch dazu verfilmt durch eine ausländische Herstellungsfirma, sich vorspielen ließe. Eine so ausgesprochen einseitige Darstellung wird von weitesten Volkskreisen als Verhöhnung empfunden."

    Mit dieser Begründung verbannte am 11. Dezember 1930, nur eine Woche nach der deutschen Premiere, die Oberprüfstelle in Berlin den Lewis Milestone-Film "Im Westen nichts Neues" aus den Kinos. Die Zensoren reagierten damit vor allem auf den Druck der nationalistischen und nationalkonservativen Kräfte. Sie liefen Sturm gegen die Darstellung der blutigen Sinnlosigkeit des Krieges, der den blinden vaterländischen Hurra-Patriotismus zwischen 1914 und 1918 entlarvte.

    "...Und wenn es sein muss in vorderster Linie gegen den Feind zu stürmen für Kaiser, Gott und Vaterland. Dafür bereit zu sein, das ist die wahre Tugend."

    Mit diesen Parolen wird in dem Film eine ganze Schulklasse in den Tod geschickt. Der letzte Überlebende der Klasse stirbt im Schützengraben während einer Kampfpause. Bei dem Versuch, einen Schmetterling zu berühren, nimmt ihn ein Heckenschütze ins Visier. Doch der Heeresbericht meldet nur lakonisch: Keine nennenswerten Kampfhandlungen an der Westfront. Der triumphale internationale Erfolg des oscargekrönten Antikriegsfilms aus Hollywood war lange vor seiner deutschen Aufführung im Reich aufmerksam und kontrovers verfolgt worden. Schließlich hatte es nur ein Jahr zuvor, 1929, auch um die Roman-Vorlage, den gleichnamigen Weltbestseller, heftige Diskussionen gegeben. Erich Maria Remarque hatte darin seine persönlichen Erlebnisse im 1. Weltkrieg verarbeitet.

    "Ich war außerordentlich überrascht über die politische Wirkung. Mein eigentliches Thema war ein rein menschliches Thema. Dass man junge Menschen von 18 Jahren, die eigentlich dem Leben gegenübergestellt werden sollten, plötzlich dem Tode gegenüberstellte. Und was würde mit ihnen geschehen? Aus dem Grunde habe ich auch "Im Westen nichts Neues" eher als ein Nachkriegsbuch angesehen, als ein Kriegsbuch. Weil ich mir dachte, wie werden wir nachher leben können, nachdem wir alles dieses mitgemacht haben. Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen."

    Neben der Ablehnung des Films gab es aber mindestens ebenso viel Zuspruch. Am Tag der Kino-Premiere im Mozartsaal schrieb beispielsweise die Berliner Morgenpost:

    "Spät, beinahe zu spät kommt dieser Film zu uns. Wenn man dem Film durchaus eine Tendenz geben will, dann die: er zeigt den Krieg wie er ist."


    Und genau das wollte die inzwischen hinter der SPD zweitstärkste Partei im Reichstag, die NSDAP, verhindern. Am Wahltag noch, am 14. September 1930, hatte Carl von Ossieztky in der Weltbühne sarkastisch prophezeit:

    "Ist es nicht ein Jahrhundert her, dass uns der Triumph des Kriegsbuches von Remarque als eine spontane Wandlung zum Friedensgeist gedeutet wurde? Die Friedensgesinnung ist dahin wie der Schnee vom vorigen Jahre. Gegen eine Million Remarques recken sich sechs Millionen Kriegsbeile."

    Joseph Goebbels notierte einen Tag später euphorisch in seinem Tagebuch:

    "Die bürgerlichen Parteien sind zerschmettert. Eine Begeisterung wie 1914. In den kommenden Monaten wird es heiß hergehen."

    Damit waren gezielte Krawallaktionen und Einschüchterungen der Braunhemden gegen jede Art von missliebiger Veranstaltung gemeint. Und Goebbels war der große Initiator. Einen Tag nach der Berliner Premiere von "Im Westen nichts Neues" dirigierte er von einem Logenplatz aus den "spontanen Aufruhr" seiner Parteigenossen. Zuvor hatte er ein "Rollkommando" aus NSDAP-Abgeordneten ausgewählt, die vor Straftaten durch Immunität geschützt waren. Mit lautstarken Zwischenrufen, bewaffnet mit Stinkbomben und weißen Mäusen, provozierten sie den Filmabbruch. Vorstellungen an den folgenden Tagen waren nur mit Polizeischutz möglich. Goebbels Rechnung ging auf. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet ein Zensurgesetz, das die SPD zehn Jahre zuvor mit verabschiedet hatte, bot die Grundlage für das Verbot. Goebbels in seinem Tagebuch:

    "Alles ist begeistert von unserem schneidigen Drangehen. Das ist ein Triumph. Die Republik tobt vor Wut über unseren Filmsieg. Aber es nützt nichts mehr. Wir sind in den Augen der Öffentlichkeit die starken Männer."

    Es war der Beginn einer generalstabsmäßigen Machtübernahme durch die NSDAP. Nach der Wahl Hitlers gehörte "Im Westen nichts Neues" mit zu den ersten Werken, die auf dem NS- Scheiterhaufen landeten.

    "Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges! Für Erziehung des Volkes im Geiste der Wehrhaftigkeit. Ich übergebe dem Feuer die Schriften des Erich Maria Remarque."