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Die Boten des Schreckens

Kein Krippenspiel, keine besinnliche Weihnachtsgeschichte, sondern ein eher schwer verdauliches Stück hat am Hamburger St. Pauli Theater seine deutsche Uraufführung: In : "Zeitstillstand" von Donald Margulies geht es um Krieg und um die Art, wie wir uns ein Bild vom vermeintlich fernen Leid machen

Von Udo Taubitz |
    Sarah ist Kriegsreporterin. In Afghanistan ging neben ihr eine Bombe hoch. Mit entstelltem Gesicht und kaputtem Bein sitzt sie nun in ihrem Loft in New York - und zeigt der blutjungen Freundin ihres Fotoredakteurs ein paar Bilder. Von einem sterbenden Kind.

    Der arme Junge, Sie hätten ihn vielleicht ins Krankenhaus bringen können, anstatt das Foto zu machen. - Dafür waren die Sanitäter da. - Aber wie konnten Sie nur so dabeistehen? - Der Junge wäre sowieso gestorben, egal, was ich getan hätte. Und ich hätte das Bild nicht bekommen. - Sie hätten ihm helfen können. - Ich habe ihm geholfen. Ich habe sein Bild gemacht. - Wie soll ihm das helfen? - Ich sammle Beweise für die Welt. Ohne mich, ohne Leute wie mich, denen mit denen Kameras, wer würde je von ihm erfahren? Wen würde es kümmern?

    Das Drama "Zeitstillstand" widmet sich den Menschen, die unser Bild von Kriegen und Hungersnöten prägen. Diese Boten des Schreckens sind für Regisseur Ulrich Waller moderne Antihelden.

    "Wenn man in solche Krisengebiete geht - man muss sich diese Menschen, glaube ich, ein bisschen vorstellen wie Junkies. Das ist eine kleine Gruppe, die immer miteinander rumzieht, die jeden Tag lebensgefährliche Situationen erlebt. Und wenn man das alles an sich ranlassen würde, dann könnten die das nicht mehr machen. Man muss, glaube ich, eine bestimmte Gefühlskälte entwickeln, um dann überhaupt noch diesen Job zu machen."

    Ziemlich erkaltet ist auch die Beziehung zwischen Sarah und ihrem Freund James, ebenfalls Kriegsreporter. Seit acht Jahren sind sie ein Paar. Für Heiraten und Kinderkriegen waren sie immer viel zu beschäftigt. Doch nun hockt Sarah kriegsversehrt auf dem Sofa, James leidet an einer posttraumatischen Schreibblockade, und der Kühlschrank ist leer. Am heimischen Krisenherd zerfleischt sich das Paar mit zynischen Wortgefechten.

    "Ich hab auf dich gezählt. - Du hast auf mich gezählt? - Dass du für mich da bist, das war die Abmachung. - Ach ja, und wo bist du für mich gewesen?- Ich konnte nicht mit dir weg. - Warum? Wegen diesem Scheiß-Tarik?- Nein, ich hatte einen Job zu erledigen. Du hast mir doch gesagt, du kommst ohne mich klar."

    "Das ist ja der Trick von allen gut gemachten amerikanischen, englischen oder französischen Well-made-plays, dass sie nicht nur ein Thema behandeln, sondern dass sie natürlich auch immer Gesellschaftsstücke sind. Und natürlich geht's auch um den Krieg in den Beziehungen. Aber es geht auch um die Frage: Wie will man leben? Oder was will man vom Leben sehen? Und die Fotografin sieht halt immer nur das Elend und den Krieg, hat aber kein Bild von ihrem eigenen Leben."

    Krieg im Kleinen wie im Großen - zwei Facetten von Gewalt stellt dieses Stück auf feinsinnige Weise nebeneinander. Wobei die Hamburger Theatermacher den politischen Aspekt stärker betonen als ihre Kollegen am Broadway, wo "Zeitstillstand" vergangenes Jahr Premiere feierte. Kein einziger Toter ist zu sehen in diesem Kriegsstück - trotzdem ist es schwere Kost. Denn was für Kriegsreporter gilt, gilt auch für Theaterzuschauer: Es ist ein schmaler Grad zwischen Zuschauen, Anteilnahme und Voyeurismus. Die Inszenierung am St. Pauli Theater meistert die Gratwanderung mit Nonchalance: Auf der Bühne nur ein paar schlichte Möbel, zwischen denen die prominenten Schauspieler eher zurückhaltend agieren: Leslie Malton, Thomas Heinze, Rudolf Kowalski und die erst 24-jährige, aber schon vielfach prämierte Rosalie Thomass.

    Termine:

    Die Premiere des Stücks im St. Pauli Theater war am 6. Dezember, weiter Aufführungen am 7., 9., 10., 12. sowie 14. bis 19. Dezember