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Natasha Brown: "Zusammenkunft"
Die Bruchlinien der britischen Gegenwart

Sie hat alles erreicht – gegen die Widerstände einer von Alltagsrassismus geprägten Klassengesellschaft. Am Ende jedoch ist der Heldin von Natasha Browns Debütroman "Zusammenkunft" der Preis für diesen Aufstieg zu hoch.

Von Julia Schröder |
Die britische Schriftstellerin Natasha Brown und ihr Roman "Zusammenkunft"
Natasha Brown setzt sich in ihrem Debütroman "Zusammenkunft" auch mit den Thesen intersektionaler Kulturkritik auseinander. (Foto und Buchcover: © Suhrkamp Verlag)
Dieses schmale Buch hat es in sich. In ihrem Debütroman „Zusammenkunft“ wirft Natasha Brown scharfe Schlaglichter auf Bruchlinien der britischen Gegenwart: andauernden Rassismus und Alltagsdiskriminierung als Nachwirkung des Kolonialismus, geschichtsvergessene Verklärung des Empire, schließlich die gar nicht so feinen Unterschiede der Klassengesellschaft, in der die Oberschicht ihre ererbten Privilegien als verdient betrachtet. All das auf locker bedruckten 128 Seiten. Damit nicht genug – auf diesen 128 Seiten hat zudem eine explizite Auseinandersetzung mit zentralen Thesen intersektionaler Kulturkritik Platz. Und schließlich Krankheit als Metapher.
Eine solche Verdichtung vieler Zutaten klingt nach dem Brühwürfel-Rezept, das schon so manches Romandebüt ungenießbar gemacht hat. Aber damit würde man dem Buch nicht gerecht. Natasha Brown erzählt von Dingen, die sie kennt. Wie ihre Ich-Erzählerin hat die Autorin erfahren, wie es ist, als Schwarze junge Frau im Finanzsektor zu arbeiten. Ihre namenlose Heldin hat eigentlich alles erreicht: einen gutbezahlten Job in der Londoner City mit Aufstiegsaussichten, die Eigentumswohnung in einem kernsanierten georgianischen Townhouse und einen Freund aus einflussreicher Familie mit altem Geld.
„Mein eigenes soziales Kapital war seit meiner Studienzeit – minimal, kaum messbar – angestiegen. Das Geld, selbst der relativ bescheidene Betrag, den ich angehäuft hatte, hatte mich verändert. Mein Stil, mein Auftreten, mein leicht affektierter City-Akzent, all das hat ihn angezogen. Er konnte die Person sehen, die ich da erschuf.“

Nicht alles Gold im Finanzdistrikt

Wer hinter der Fassade steckt, kann der ebenfalls namenlose Freund aber nicht sehen. Er erfährt auch nichts von der Brustkrebs-Diagnose der Erzählerin, die sie ihm verschweigt. Ihr jedoch wird die Erkrankung und die Frage, wie sie damit umgehen soll, zum Lackmustest all ihrer Aufstiegsanstrengung – und er geht nicht gut aus.
Dass nicht alles Gold ist, was glänzt, muss Natasha Brown nicht nach und nach offenbaren. Von Anfang an spricht ihre Erzählerin aus, dass ihre Rolle von den Ansprüchen anderer definiert wird. Von Männern, die ihr lästige soziale Pflichten überlassen. Von weißen Kollegen und Kolleginnen, die ihr vorhalten, welche Vorteile „eine wie sie“ doch jetzt hat. Von denen, die Busse mit dem Slogan „Go home!“ durch die Wohngebiete von Leuten fahren lassen, die hart arbeiten und Steuern zahlen und dennoch als Fremde gelten. Von den Eltern ihres Freundes, die bei ihrem Sohn eine Freundin wie sie als Jugendtorheit tolerieren.

Die Antwort lautet: Anpassung

Der deutsche Titel „Zusammenkunft“ bezieht sich auf die Familienfeier zum Hochzeitstag dieser Eltern auf deren Landsitz. Im Original trägt Browns Roman den Titel „Assembly“, worin noch die Kunstform der Assemblage anklingt, eventuell die „assemblage theory“, mit der die Philosophen Deleuze und Guattari die Selbstorganisation sozialer und sprachlicher Gefüge zu fassen versuchten. Auch Brown organisiert ihre Erzählung aus Bruchstücken, fügt scheinbar weit auseinanderliegendes Material zusammen – von drei kurzen, krassen Skizzen, die dem Roman vorangestellt sind, über bezeichnende Szenen und Wortwechsel bis zum vielfach gebrochenen Bewusstseinsstrom der Erzählerin während eines Spaziergangs auf dem Landsitz. In Überblendung mit Vignetten der Park- und Gebäudeanlagen kulminiert in ihr eine Mischung aus Überdruss, Erschöpfung und diffusem Schuldgefühl:
„Die Antwort lautet: Anpassung. Der Druck ist immer da. Pass dich an, pass dich an … Lös dich auf im Schmelztiegel. Und dann fließ raus, gieß dich in Form. Verbieg deine Knochen, bis sie splittern und knacken und du hineinpasst. Press dich in ihre Schablone.“
So schonungslos der Roman die Verhältnisse in Merry old England und die schmerzhaften Widersprüche innerhalb der Hauptfigur benennt, so begeistert reagierte die englischsprachige Kritik. Ganz möchte man die Begeisterung nicht teilen. Zumal gegen Ende bringt die Last des Aussprechen-Wollens das Buch in Unwucht. Da legt die Autorin ihrer Bankerin einen kleinen, zornigen Essay über Dekolonisierung, die feministisch-antirassistische Theoretikerin bell hooks und die staatliche Manipulation des kollektiven Gedächtnisses in den Mund, parallelisiert dies mit dem falschen Bewusstsein ihres Upperclass-Freundes, und es fallen Sätze, die – jedenfalls in der Übersetzung von Jackie Thomae – allzu schwerfällig daherkommen:
„Das einzige Mittel, mich auszudrücken, ist die Sprache dieses Ortes. Ihre Voreingenommenheiten und Annahmen durchziehen jedwede Rationalität, die ich aus ihr konstruiere.“  
Am Schluss entscheidet sich die Erzählerin gegen alle Widerstandsoptionen und wählt als Ausweg die Krankheit zum Tode. Zur kalten Wut des Vorangegangenen passt das schlecht.
Natasha Brown: „Zusammenkunft“
Aus dem Englischen von Jackie Thomae
Suhrkamp Verlag, Berlin. 128 Seiten, 20 Euro.