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Die Bürde des Amtes

Die Bürde des neuen Amtes kam für Christian Wulff überraschend - nun fast 100 Tage im Amt und kurz vor dem großen Auftritt zu den Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit eine erste Betrachtung.

Von Susanne Schrammar und Jacqueline Boysen | 01.10.2010
    "Meine Damen und Herren, am 30. Juni dieses Jahres hat die Bundesversammlung Herrn Christian Wulff zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Herr Wulff hat vor der Bundesversammlung die Wahl angenommen und damit das Amt des Bundespräsidenten angetreten."

    Formal schien alles wie immer: Bundestagspräsident Norbert Lammert bittet den frisch gewählten Bundespräsidenten, den Amtseid zu leisten:

    "Herr Bundespräsident, ich halte in meinen Händen die Urschrift unseres Grundgesetzes und darf Sie nun bitten, den in Artikel 56 vorgesehenen Eid zu leisten."

    "Ich schwöre, dass meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes –Entschuldigung. Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe."

    Nervosität beim Eid ist menschlich und verzeihlich. Und doch drückt der kleine sprachliche Holperer aus, dass die Bürde des neuen Amtes für Christian Wulff überraschend kam. Und nicht nur für ihn. Der Rücktritt von Horst Köhler wirbelte das politische Berlin gehörig durcheinander. Schließlich bricht ein vorzeitiger Rückzug aus dem Amt mit der bundespräsidentiellen Routine. Am Ende einer nervenaufreibenden Bundesversammlung stand dann fest: Nach dem Finanzfachmann steht wieder ein Polit-Profi an der Staatsspitze. So wie es der Tradition des Amtes entspricht, sagt der Historiker Tobias Kies, der über die Geschichte der Bundespräsidenten forscht:

    "Gerade der Umstand, dass wieder jemand zum Bundespräsidenten wurde, der aus dem politischen Tagesgeschäft kommt, der das politische Geschäft kennt, zeigt, dass man jemanden suchte, der vertraut ist mit dem Umgang mit Konflikten, der pragmatischen Zugang zu dem Amt hat, der sich nicht verkrampfen muss, um den Anforderungen an das Amt gerecht zu werden."

    Köhlers spontaner und bis heute letztlich ungeklärter Rücktritt forderte die Regierungspartner von Union und Liberalen heraus. Und er bot der Opposition Gelegenheit, auf einem besonders herausgehobenen Feld der Politik mit den Muskeln zu spielen – all dies war nicht vergessen, an jenem
    2. Juli, am Tag der Vereidigung, schon gar nicht auf der Pressetribüne des Reichtags.

    "Das wirkt nach und das Verfahren, Wulff als Präsidentschaftskandidaten auszurufen, hatte manche Eigenarten, nachdem zwischendurch war ja Ursula von der Leyen so gut wie Bundespräsidentin, aber es musste ein Nachfolger gefunden werden, innerhalb von 30 Tagen, es musste schnell gehen, also passieren da natürlich Pannen",

    und diese haften dem neuen Herren auf Schloss Bellevue bis heute an – so Günter Bannas, seit 1979 politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

    "Und dann gab es noch die drei Wahlgänge, nicht gleich im ersten Wahlgang ist er gewählt, es gab einen sehr respektablen Gegenkandidaten mit Joachim Gauck und all das führt natürlich dazu, dass vieles an Wulff zurzeit hängt, wofür er gar nichts kann. Und das schlägt sich eben auch nieder in Kommentaren. Und wenn dann eben noch – im Eishockey sagt man – Stockfehler dazukommen, dass ein erfahrener Partei- und Regierungspolitiker manche handwerklichen Fähigkeiten, die man in der Gabe von Interviews haben muss, vergessen hat, ist es natürlich peinlich und wird einem alles auf´s Butterbrot geschmiert."
    Völlig zu Unrecht: Eine Lehrstunde der Demokratie sei seine überraschend langwierige Wahl gewesen, hatte Wulff selbst erklärt und das Bundespräsidialamt nahm diese Formulierung gern auf – schließlich will der neue Amtsinhaber nicht zuletzt zur Verständigung zwischen politischer Klasse und den Bürgern beitragen, die Demokratie stärken. Eine Aufgabe, die zeigt, welche Anforderungen an den Bundespräsidenten heute gestellt werden: Längst ist er nicht mehr nur der Staatsnotar, der Gesetze ausfertigt oder Minister ernennt, und repräsentative Aufgaben erfüllen muss. In den 60 Jahren Bundesrepublik hat sich die Funktion gewandelt, beobachtet der Historiker Tobias Kies:

    "Ursprünglich nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wollte man an der Spitze des neu geschaffenen Staates eine Person sehen, die herausgehoben ist aus dem politischen Alltagsgeschäft und die sich allenfalls als Moderator in Krisensituationen zu bewähren hat. Und heute wird die Erwartung formuliert, dass ein Präsident geradezu so etwas wie geistige Führung anbietet. Da kann man darüber streiten, inwieweit das gut ist, inwieweit sich das deckt mit den Vorstellungen der Väter und Mütter des Grundgesetzes, jedenfalls wird man nicht umhin kommen, festzustellen, dass bestimmte Präsidenten wie zuletzt Horst Köhler, an dieser Erwartung gescheitert sind."

    Im Bundespräsidialamt jedenfalls zeigt man sich erst einmal erfreut darüber, dass der vergleichsweise junge Amtsinhaber und seine strahlende Frau sich so offen geben, lockerer als man es gewohnt war. Positiv wird registriert, dass Wulff in der Kantine auftaucht, nahbar und professionell gleichermaßen – und das, obgleich er ein Mammut-Programm hat. In seinen ersten Wochen reiste das Staatsoberhaupt nach Brüssel, Warschau, Paris, Rom und Wien. Keine Fehler seien dem vormaligen Landespolitiker Wulff auf seinen diplomatisch nicht einfachen Expeditionen unterlaufen, melden seine Getreuen aus dem Schloss Bellevue.

    "Ich musste mich häufig im Amt bewähren, ich hatte nie so wahnsinnig viele Vorschusslorbeeren.""#

    So bescheiden Wulff antrat – seine Rolle habe er noch nicht gefunden, sagt nicht nur der Bonner Politikwissenschaftler und Köhler-Biograph Gerd Langguth:

    ""Bisher ist das Präsidiale, das seine Vorgänger ausgezeichnet hat, noch nicht so sehr zum Vorschein gekommen, da wird er noch etwas tun müssen, aber da gebe ich die Hoffnung nicht auf."

    Dass es dem Politiker Wulff, der stets auf den vorderen Plätzen auf den Politiker-Beliebtheits-Skalen rangierte, an staatsmännischer Aura mangelt, ist umso erstaunlicher, da ihm doch als Landesvater in Niedersachsen immer vorgehalten wurde, er schwebe zu sehr über den Dingen – ganz anders als sein junger Nachfolger, dem die Rolle des Machers auf den Leib geschrieben scheint.

    "352 Ja-Stimmen, 11 Nein-Stimmen – das ist ein Ergebnis von 97,25 Prozent. Ein Topp-Ergebnis! (Beifall)"

    Parteitag der niedersächsischen CDU vor knapp einem Monat in Lingen. 398 Delegierte diskutieren über Fragen der Schulpolitik und wie das Land aus der Finanzkrise kommt. Es ist der erste Parteitag seit fast 20 Jahren ohne Christian Wulff. Doch so richtig fällt das den Parteigenossen gar nicht auf. An der Parteispitze, in der Staatskanzlei und auf dem Podium in Lingen hat nämlich längst David McAllister Wulffs Platz eingenommen:

    "Und das waren natürlich bewegte Wochen im Frühsommer. Aber wir haben als Christdemokraten in Niedersachsen alle anstehenden Personalien zügig und in großer Geschlossenheit geklärt, und deshalb erfüllt es mich mit besonderer Freude, und ich weiß auch, welche Ehre das ist, das Land Niedersachsen regieren zu dürfen."

    "Warum sollte man Herrn Wulff hier jetzt vermissen? Wir haben doch einen Ministerpräsidenten",

    fragt eine der Delegierten und guckt ein bisschen erstaunt. Als Landesparteivorsitzender hatte Christian Wulff sein Amt bereits 2008 an David McAllister abgegeben. Dass Wulff den smarten Deutsch-Schotten auch zu seinem Nachfolger als Ministerpräsidenten machen würde, war zwischen den beiden längst beschlossene Sache.

    Wulff:
    "David McAllister, den ich sehr lange kenne, hat jetzt über sieben Jahre als Fraktionsvorsitzender meine Arbeit unterstützt, begleitet, gestaltet. Er ist Jahre schon Parteivorsitzender, er wird das wunderbar machen. Er hat vor allem die tolle Voraussetzung bester charakterlicher Eignung, Verlässlichkeit, Handschlagqualität. Er fragt, er hört zu – wenn man sich diese Eigenschaft bewahrt, dann kann man ein sehr, sehr guter Ministerpräsident sein."

    Jetzt muss Christian Wulff jedoch zusehen, wie ihm der eigene Kronprinz innerhalb kürzester Zeit den Rang abläuft. Bei den Niedersachsen war der freundlich-souveräne Wulff beliebt. Doch mit der eigenen Partei fremdelte er. Anders als der hemdsärmelig-herzliche Mäc, wie Parteifreunde ihn nennen, gab Wulff zwar gern den Ministerpräsidenten zum Anfassen. Doch wagte es dann tatsächlich mal jemand, merkte man ihm das Unbehagen schnell an. Mit dem Neuen fühlt die Partei sich jetzt wesentlich wohler.

    Zwei CDU-Delegierte:
    "Wulff war immer etwas anders, diese Vaterfigur. Man konnte auch hingehen, aber es war anders. Es ist etwas weniger Distanz, als es zu Herrn Wulff manches Mal leicht war, weil man den Menschen mehr als staatstragend gesehen hat."

    "Man hat einfach so das Gefühl, es ist alles ein bisschen erfrischender, nicht mehr so – heute kann man ja sagen – präsidial wie unter Christian Wulff. Ich denke, die Stimmung ist sehr gelöst, und man kann sagen, dass doch eine gewisse Aufbruchstimmung eingetreten ist in persona David McAllister."

    Kommunikativer und persönlicher sei der Stil McAllisters, berichten auch Mitarbeiter der niedersächsischen Staatskanzlei und es gibt Minister, die scheinen richtig erleichtert darüber zu sein, dass Wulff jetzt weit weg im Schloss Bellevue residiert. Unverholen wird geschwärmt, dass man jetzt "auch mal diskutieren" dürfe und so mancher erinnert sich mit Schaudern an Kabinettssitzungen, bei denen der Regierungschef seine Minister wie Schuljungen abkanzelte.

    ""Ich bin dort, wo die Entscheidungen getroffen werden. Da, wo entschieden wird, bin ich",

    als Ministerpräsident präsentierte sich Wulff gern als Visionär, als Macher. Dass er als CDU-Politiker die erste türkischstämmige Ministerin Deutschlands ernannte, war ein gezielter politischer Coup, der zeigen sollte: Hier agiert einer mit Weitsicht! Dass er dafür schon im April 2010, lange vor dem Köhler-Eklat, von der Bildzeitung als nächster Bundespräsident gehandelt wurde, habe ihm geschmeichelt, gab er später zu.

    In der Regierungsarbeit suchte sich Wulff oft nur die Themen aus, bei denen er glänzen konnte, kritisiert die Opposition im niedersächsischen Landtag. Beispiel Energiepolitik. Über Gorleben oder die Skandale der Asse etwa – beide Atomstandorte liegen in Niedersachsen – habe Wulff nie gerne gesprochen, sagt Petra Emmerich-Kopatsch, langjährige umweltpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag:

    "Alle Problemfelder hat er selbst niemals bearbeitet, also, er hat schon gesehen, dass er mit Plattitüden über Land zog. Alles, was aus seiner Sicht gut gelaufen ist, Volkswagen, wurde nach vorne gestellt und alles, was problembehaftet sein konnte oder auch Unmut der Bevölkerung auf sich ziehen konnte, das hat er einfach links liegen lassen. Das war nicht sein Ding."

    Wulffs Ding aber war: An einem Tisch mit den Wirtschafts-Mächtigen zu sitzen. Als Verwalter der Landesanteile an Volkswagen gehörte Wulff sieben Jahre lang dem Aufsichtsrat an und erlebte als Akteur den VW-Porsche-Krimi hautnah mit: Er zog Strippen, vermittelte und genoss seine Rolle als wichtiger Verhandlungspartner aufseiten der Sieger. Als Wulff vor einem guten Jahr in Hannover etwas amtsmüde wirkte, sahen ihn Beobachter bereits vor einem Wechsel in die Wirtschaft.

    Wulff:
    "Ich könnte mir schon vorstellen, etwas in der Wirtschaft zu machen, in einer bestimmten Branche, in einem Unternehmen, auch mal Erfahrungen zu sammeln auf der anderen Seite, wie ich sie jetzt bei Volkswagen nur teilweise in schwierigen Zeiten erlebe."

    Als Landesvater in Niedersachsen hat Christian Wulff stets das Image des Soliden, des Braven, des Bescheidenen gepflegt. Die Trennung von seiner ersten Frau hat der bekennende Katholik dank geschickter Medienpolitik ohne üble Schlagzeilen überstanden.

    Einen ersten Kratzer bekam das Hochglanzbild Ende 2009, als Wulff zugeben musste, von seinem Freund, dem Air-Berlin-Chef, für einen Privat-Flug in die USA ein kostenloses Upgrade bekommen zu haben. Und in diesen Tagen belasten Vorwürfe aus der Vergangenheit den guten Ruf des heutigen Bundespräsidenten. Die Wolfsburger Stadtwerke sollen einen Mitarbeiter dafür bezahlt haben, jahrelang für die niedersächsische CDU Wahlkampf betrieben zu haben. Angeblich auch im Jahr 2003, als Wulff erstmals Ministerpräsident wurde. Seit Wochen kocht die Affäre, doch vom damaligen CDU-Vorsitzenden in Niedersachsen ist kein Laut zu hören. Was wusste Wulff? Hier schweigt der Bundespräsident.

    In zwei anderen Fällen, die ihn freilich nicht selbst betreffen, hat Wulff das Gegenteil getan. Er hat sich eingemischt. Er hat sich zu Wort gemeldet – in einer Art, die eher Politiker der Exekutive, denn den obersten Repräsentanten des Staates ausweist: "Rückhaltlose Aufklärung" des Unglücks auf der Duisburger Love-Parade zu fordern, war nur der Anfang. Hier irritierte allenfalls der Ton. Es folgte eine Mahnung an den Duisburger Oberbürgermeister, dass es – so wörtlich – "unabhängig von persönlicher Schuld auch politische Verantwortung" gäbe. Diese Einlassung gefolgt von dem Hinweis, dass Adolf Sauerland hier abwägen müsse, wurde als Aufforderung zum Rücktritt interpretiert und kritisiert.

    Richtig heikel wurde es für Christian Wulff allerdings erst mit der Causa Sarrazin. Wie der Bundespräsident wider Willen in die Debatte um die Thesen des berüchtigten SPD-Politikers und Bundesbankvorstands geriet, schildert FAZ-Korrespondent Günter Bannas:

    "Zunächst war es so, dass der Bundespräsident selbst auch in einer Erklärung gesagt hat, ich sage nichts zum Fall Sarrazin, weil ich wahrscheinlich mit der Angelegenheit noch befasst werde. Was nach meiner Auffassung schon ziemlich weit ging, denn er hat ja doch etwas gesagt: Nämlich dass er damit befasst wird, und das heißt, er würde befasst werden, wenn es um eine Entlassung geht."

    Christian Wulff war zum Antrittsbesuch in Sachsen – statt schöner Bilder vor barocker Kulisse immer wieder die Frage von Journalisten zu Sarrazin. Wieder und wieder wehrte Wulff ab, schließlich sagte er einem hartnäckig bohrenden Fernsehreporter:

    "Ich glaube, dass jetzt der Vorstand der Deutschen Bundesbank schon einiges tun kann, damit die Diskussion Deutschland nicht schadet, vor allem auch international und im Ausland."

    Mit dieser Einlassung hat Christian Wulff sich klar, zu klar positioniert, so die Interpretation von Günter Bannas:

    "Damit hat er natürlich seine Auffassung deutlich gemacht, Sarrazin gehört nicht mehr in den Vorstand der Bundesbank. Und das war nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten, das vorab zu sagen, er sollte ja später einmal prüfen – jedenfalls damals stand seine Prüfung noch bevor -, und dass er sich da vorab so festgelegt hat, hat zumindest mich sehr gewundert."

    Wulffs Vertrauter, der Staatssekretär im Bundespräsidialamt trat dann hinter den Kulissen als Mediator auf. Er vermittelte zwischen den zerstrittenen Parteien, Sarrazin und Bundesbank einigten sich schließlich auf eine Abfindungsregelung, auf Datum und Begründung für den Rückzug des meinungsfreudigen Vorstands. Gut war das Ergebnis dieser Vermittlung nicht nur für den scheidenden Bundesbanker, sondern auch für den Bundespräsidenten selbst – ihm blieb die Entscheidung über das Schicksal Sarrazins erspart – ebenso wie die Frage, ob er durch seine Bemerkung voreingenommen sein könnte. Wulff, angetreten als erfahrener Politiker, hat sich als nicht ganz trittsicher erwiesen. Der langjährige Christdemokrat tut sich mit dem Sprung von Hannover nach Berlin schwer, resümiert Hermann Kues, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. CDU-Mann Kues kennt Wulff seit Langem, das Redetalent des jungen, ambitionierten Mannes aus Osnabrück hatte ihn einst beeindruckt, jetzt sei Wulff noch nicht ganz in seinem Element:
    "Er tastet ein wenig, tastet sich vor, das ging ja alles sehr hopplahopp, weil die Wahl kurzfristig notwendig war. Ein Bundespräsident kann sich ansonsten gedanklich lange darauf vorbereiten. Das ging jetzt ja fast über Nacht. Und insofern ist, glaube ich, das ganz Logische, dass er sich vorsichtig vortastet. Das entspricht auch etwas dem Typ Christian Wulff. Insofern überrascht mich das nicht. Und vielleicht ist er vom Typus auch jemand, der eine gewisse Anlaufzeit braucht. Bei der Ministerpräsidenten-Geschichte hatte er hinterher eine hohe Anerkennung im Lande – also über alle Parteigrenzen hinweg, und ich bin eigentlich auch ziemlich sicher, dass ihm das als Bundespräsident gelingt."

    Noch nicht in ihrer Rolle angekommen ist auch die First Lady: In die Berichterstattung über Wulffs nicht mehr ganz privates Leben fest eingestochen ist das Tattoo seiner zweiten Frau. Vor allem aber hegt Bettina Wulff einen Hang zum Glamour. Die Boulevardpresse kann kaum entscheiden, ob die Gattin von Verteidigungsminister zu Guttenberg oder die Patchworkfamilie Wulff die Auflage stärker in die Höhe treibt. Mag der einstige Kanzler aus Niedersachsen, Gerhard Schröder, Selbststilisierung und Inszenierung genossen haben – zu Amt und Person Wulffs passe beides nicht, findet Hermann Kues:

    "Ich glaube, dass ihm das nicht sehr recht ist, wenn das so wahrgenommen wird. Ich glaube auch nicht, dass es klug ist, wenn er das gezielt machen sollte, weil ich denke, das passt gar nicht zu ihm. Das ist auch nicht Christian Wulff, wie ich ihn kenne."
    Selbstverständlich kann Bettina Wulff mit Veronika Ferres befreundet sein. Aber bei der Wahl des Urlaubsortes hat es ein Geschmäckle, wenn sich die Familie des Bundespräsidenten in der luxuriösen mallorquinischen Villa des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer, dem millionenschweren Lebensgefährten der Schauspielerin einquartiert – selbst wenn das Domizil regelmäßig an prominente Gäste vermietet wird, die Wulffs selbst zahlen und in der Holzklasse des Charterfliegers anreisen. Der Urlaub gab Kritikern Anlass, Christian Wulff Instinktlosigkeit vorzuwerfen:

    "Er macht jetzt die Erfahrung, was einige seiner Parteifreunde still genießen, dass er noch lernen muss, plötzlich",

    urteilt der Journalist Günter Bannas:

    "Ich glaube, die Persönlichkeit von Christian Wulff ist noch gar nicht richtig in Erscheinung getreten."

    Und Wulff selbst? Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft gab er sich optimistisch, wie es seiner Natur entspricht:

    "Wir, wir sollten die Ereignisse jetzt auf uns zukommen lassen, was sozusagen da möglich ist."

    Weitere Informationen zum Thema:
    20 Jahre Deutsche Einheit: Erwartungen an die Rede des Bundespräsidenten - Kommentar vom 2.10.2010

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