Wie eine Königin thront die "Dama de Elche" im archäologischen Museum in Madrid. Die Kalksteinbüste in der Glasvitrine ist auf Augenhöhe und entlockt Besuchern andächtiges Tuscheln: ein klassisch schönes Antlitz mit schmaler Nase und feinen Lippen. Das Gesicht umrahmt von einem aufwändig gearbeiteten Kopfschmuck: An den Seiten, über den Ohren trägt die „Dame von Elche“ zwei große, radförmige Verzierungen. Die Skulptur aus dem vierten oder fünften Jahrhundert vor Christus gilt als Meisterwerk der iberischen Kunst und fasziniert Konservatorin Alicia Rodero noch heute jeden Tag aufs Neue.
„Für mich ist es einfach das wunderbarste Kunstwerk der Welt. Nach so vielen Jahren kann ich immer noch stundenlang vor der Vitrine stehen. Natürlich trägt auch die Geschichte dieser Skulptur, der Fund, der Verkauf nach Paris, die Rückkehr nach Spanien zu ihrer Faszination bei.“
Experten rätseln lange über die Herkunft
Entdeckt wurde die Büste durch Zufall: Am 4. August 1897 beackert eine Gruppe Landarbeiter ein kleines Stück Land in Alcúdia, in der Region Valencia. Als sie einen Hügel abtragen, um ein Terrain zu begradigen, stößt der 18-jährige Manuel Campillo mit seiner Hacke auf einen großen Brocken. Der mutmaßliche Stein entpuppt sich als kunstvoll gearbeitete Frauenbüste.
Der Besitzer des Grundstücks, dem der Fund nach der damaligen Gesetzeslage gehört, lässt sie zu sich nach Hause bringen. Experten grübeln über die Herkunft: Römisch? Oder vielleicht phönizisch? Im Auftrag des Louvre kauft der Archäologe Pierre Paris die Statue für 4.000 Francs. Erst danach beginnt man, Schritt für Schritt das Rätsel zu lösen.
Knapp 30 Jahre zuvor hatten Archäologen auf dem Cerro de los Santos, in der Provinz Albacete, hunderte Figuren von Menschen und Tieren gefunden - auch sie unbekannten Ursprungs - aber ähnlich in der Anmutung. Und, so Alicia Rodero: „Aus all diesen Entdeckungen schälte sich langsam das Profil einer eigenen Kultur heraus, die es so zu keinem anderen Zeitpunkt, an keinem anderen Ort der Welt gab. Eine Kultur, die in Andalusien, in Südspanien, und im Levante entlang der spanischen Mittelmeerküste zuhause war und vom sechsten Jahrhundert bis zur Eroberung durch die Römer andauerte.
Der Kult um die unbekannte Schöne
Immer neue Funde vervollständigen das Bild der Iberer: ein Volk, das von Land- und Viehwirtschaft lebte, Silberschmuck und mit Töpferscheiben herausragende Keramik fertigte und seine Toten in Urnengräbern bestattete.
Während die Büste in Frankreich weilt, entspinnt sich in Spanien ein Kult um die unbekannte Schöne. Der Komponist Vicente Asencio widmet ihr ein preisgekröntes Klavierstück. Die „Dama de Elche“ findet sich auf den 100-Peseten-Scheinen der Zweiten Republik und die Franco-Diktatur macht aus ihr gar das Idealbild der spanischen Frau.
Politisches Gezerre um die "Dama"
Franco setzt alle Hebel in Bewegung, um die „Dama“ zurück nach Spanien zu bringen. Mit Frankreichs Niederlage gegen das nationalsozialistische Deutschland eröffnet sich eine Chance. Weil das Vichy-Regime den Schulterschluss mit Spanien sucht, lässt es sich 1941 auf einen ungleichen Tauschhandel ein: Im Gegenzug für drei Gemälde gibt Frankreich Kunstschätze von unschätzbarem Wert zurück – darunter die begehrte Büste. Ein Triumph für die Franco-Diktatur.
Die Urne einer adeligen Frau?
Doch über die Frage, wer die Dame war, welchem Zweck die Skulptur diente, streiten sich die Wissenschaftler weiter. Bis Archäologen 1971 im andalusischen Baza eine Grabkammer mit einer ähnlich prächtig gekleideten Frauenskulptur entdecken. In ihrem Innern finden sie Asche und Überreste einer etwa 30-jährigen Frau. Die Parallelen zur "Dama de Elche" liegen auf der Hand, sagt Alicia Rodero:
„Die 'Dama de Elche' war eine Büste, die über eine Öffnung im Rücken als Urne genutzt wurde und mit großer Wahrscheinlichkeit barg sie die Überreste einer adeligen Frau. Ich bin mir fast zu hundert Prozent sicher, dass die Büste – ebenso wie die "Dama de Baza" – jemanden zeigt, der wirklich existiert hat und eben in dieser Urne bestattet wurde: wegen des hohen sozialen Rangs natürlich in sehr idealisierter Weise.“
Doch trotz der gefundenen Antworten: Verstummt ist das Raunen nicht. Valencias Regionalregierung fordert die „Dama de Elche“ seit Jahren zurück. Madrid schließt das aus: Ein Transport würde die wertvolle Skulptur unnötig in Gefahr bringen.