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"Die Bundesrepublik hat sogar an den Stabilisierungsmaßnahmen verdient"

Bis zur Behandlung des Euro-Rettungsschirms im Bundestag im September werde die Regierung präzise Zahlen hinsichtlich der Risiken für den Bundeshaushalt vorlegen, sagt Volker Wissing, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Volker Wissing im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Und mitgehört hat Volker Wissing, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Schönen guten Tag, Herr Wissing!

    Volker Wissing: Ich grüße Sie, guten Tag!

    Armbrüster: Herr Wissing, wäre es nicht tatsächlich an der Zeit, dass es in punkto Leerverkäufe mal eine einheitliche europäische Linie gibt.

    Wissing: Na ja, das haben wir ja versucht. Wir haben in Deutschland ja unter Schwarz-Gelb die strengste Leerverkaufsregulierung eingeführt. Als wir das damals gemacht haben, wurden wir heftig kritisiert, insbesondere auch von französischer Seite. Wir haben uns trotzdem durchgesetzt und haben ungedeckte Leerverkäufe in Deutschland verboten und gleichzeitig der Aufsicht die Möglichkeit gegeben, kurzfristig auch bei gedeckten Leerverkäufen Verbote auszusprechen.

    Armbrüster: Aber eben nur in Deutschland, warum kann man das nicht europaweit durchbringen?

    Wissing: Das hat die Bundesregierung versucht. Wir wollten das europaweit haben. Aber in manchen Fällen ist es so, dass man keine Einigung erzielt. Damit muss man leben, trotzdem haben wir damals gesagt, wir sind bereit, dann einen Alleingang in Deutschland zu gehen, weil wir die Frage der Leerverkaufsregulierung für so wichtig erachten, dass wir nicht darauf Rücksicht nehmen können, wenn andere da nicht mitziehen. An dieser Stelle waren wir bereit, auch einen Alleingang hinzulegen. Und dass wir richtig lagen, sieht man jetzt.

    Armbrüster: Aber es sind ja jetzt tatsächlich nur die ungedeckten Leerverkäufe, wie wir ja gerade gehört haben, die in Deutschland verboten sind. Wäre es nicht an der Zeit, das auszudehnen?

    Wissing: Nun, die ungedeckten Leerverkäufe sind dauerhaft und permanent verboten und die gedeckten Leerverkäufe kann die Aufsicht zeitweilig aussetzen.

    Armbrüster: Das wollen Sie auch so behalten, das reicht Ihnen?

    Wissing: Die gedeckten Leerverkäufe dauerhaft zu verbieten, diesen Vorschlag habe ich noch bisher von niemandem gehört. Ich glaube, das würde auch zu weit gehen.

    Armbrüster: Na ja, ich meine, die Staaten, die vier Staaten, die wir jetzt angesprochen haben, die haben ja diese Leerverkäufe verboten - zumindest im Finanzsektor.

    Wissing: Ja, für eine bestimmte Zeitspanne. Und genau diese Möglichkeit besteht in Deutschland auch.

    Armbrüster: Herr Wissing, ein anderes Thema, das heute im Gespräch ist, ist erneut der Euro-Rettungsschirm. Wir haben auch das in dieser Sendung schon gehört. Die Opposition im Bundestag befürchtet, dass die Neuregelung nicht bis Ende September durchs Parlament kommt. Was sagen Sie dazu?

    Wissing: Ich sehe keinen Grund, warum das nicht gehen sollte. Wir haben bisher gezeigt, dass wir innerhalb kürzester Zeit handlungsfähig sind, wir haben eben einen europäischen Gipfel mit klaren Ergebnissen, wir haben jetzt die Zeit, in der der Bundesfinanzminister den Gesetzentwurf vorbereitet. Und sobald das Parlament Anfang September wieder in die Beratung eintritt, können wir innerhalb kurzer Zeit, dafür reicht eine Woche, einen solchen Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung verabschieden.

    Armbrüster: Aber die SPD bemängelt jetzt, dass die Koalition noch immer keine Zahlen genannt hat über die genauen Belastungen, die im Zuge dieser Rettungsschirmreform auf die öffentlichen Haushalte zukommen.

    Wissing: Die Opposition sucht ständig Angriffsfläche. Fest steht, dass diese gegenwärtige Krise nicht von der Regierung verursacht ist, sondern wir kämpfen gegen die Krise. Den Ausgangspunkt für diese Krise hat Rot-Grün gelegt mit der Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Oktober 2004, und um von der eigenen Verantwortung abzulenken, sucht man ständig Angriffsflächen. Die Regierung macht hier saubere Arbeit, wir haben eine ganz beherzigte und couragierte Handlung gesehen. Deutschland ist führend auf europäischer Ebene. Wir sind die größte Volkswirtschaft, auf uns kommt es an. Und die Bundeskanzlerin nimmt ihre Führungsrolle wahr. Der Bundeswirtschaftsminister hat genau die richtigen Vorschläge gemacht, um der Krise jetzt zu begegnen, und der Aktionismus, den die Opposition gerne sehen würde, bleibt aus, weil die Regierung geschlossen und entschieden handelt.

    Armbrüster: Aber ist es nicht merkwürdig, dass die Koalition dazu keine genauen Zahlen nennen kann?

    Wissing: Die genauen Zahlen kann man nicht nennen, da wir nicht wissen, in welchem Umfang Garantien gebraucht werden. Das sind ja zum Teil Bürgschaften, die dort gegeben werden, Garantien, die ausgesprochen werden, es sind Kredite, die gegeben werden - natürlich teilweise ohne entsprechende Sicherheiten -, und man weiß nicht, wie viel davon am Ende ausfallen wird. Bisher war das ganze über die Bürgschaften hinaus keine teure Angelegenheit. Die Bundesrepublik hat sogar an den Stabilisierungsmaßnahmen verdient. Da wird zum Teil ein wirklich falsches Bild gezeichnet. Natürlich gehen wir Risiken ein, aber jetzt Zahlen auf den Tisch zu legen, was es am Ende kosten wird, kann niemand. Prognosen kann man gegenwärtig dann nicht anstellen, die Krise hat eine zu starke Dynamik.

    Armbrüster: Das heißt, Sie können der SPD eigentlich gar keine Zahlen nennen, sie soll einfach so zustimmen bis Ende September?

    Wissing: Nein, fest steht natürlich am Ende, wie groß die Haushaltsrisiken sind. Und diese Zahlen werden wir natürlich auch als FDP-Bundestagsfraktion einfordern. Wir geben keine Blankoschecks, wir wollen natürlich genau wissen, wie hoch ist das Risiko für den Bundeshaushalt? Und es steht doch völlig außer Frage, dass sie dem Gesetzgebungsverfahren im September auch präzise Zahlen hinsichtlich der Risiken für den Bundeshaushalt vorgelegt werden.

    Armbrüster: Manche Leute haben, glaube ich, eher den Eindruck, dass die FDP kein allzu großes Interesse mehr an dieser Euro-Rettungsschirmreform hat.

    Wissing: Eine Begeisterung für die Stabilisierungsmaßnahmen kann man wirklich nicht entwickeln, und das, was wir tun müssen gegenwärtig, widerstrebt einem durchaus. Denn wir haben hier nicht die Möglichkeit, ordnungspolitisch so zu handeln, wie wir es gerne würden, weil wir uns in einer Notsituation befinden. Man hätte früher verhindern müssen, dass es so weit kommt, man hätte die disziplinierenden Kräfte des Marktes wirken lassen müssen, und man hätte nicht den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufweichen dürfen. Und dass man das getan hat - wir haben das übrigens damals heftig kritisiert, als Gerhard Schröder das mit Joschka Fischer beschlossen hat. Aber dass man es damals getan hat, war der entscheidende Fehler. Jetzt muss man mit Notmaßnahmen eine Stabilisierung erreichen, um dann so schnell wie möglich wieder zur disziplinierenden Kraft des Marktes zurückzukommen und zu ordnungspolitisch sauberen Zuständen.

    Armbrüster: Sie schieben die Schuld jetzt vor allem auf ihre Vorgängerregierung. Trifft nicht auch eine gewisse Verantwortung die jetzige Regierung, die einfach bei der Bewältigung der Griechenlandkrise etwas zu zögerlich war?

    Wissing: Schauen Sie, auch Griechenland ist eine volle Verantwortung der Sozialdemokraten mit den Grünen. Damals wurde Griechenland aufgenommen, das wurde bejubelt von Hans Eichel, die Regierung Schröder/Fischer hat Griechenland in diesem Zustand mit falschen Zahlen in die Eurozone aufgenommen und war geradezu begeistert und euphorisch. Das waren alles Fehleinschätzungen, wir müssen heute die Scherben zusammenkehren, die Rot-Grün hinterlassen hat. Und es ist schon ein starkes Stück, dass die Sozialdemokraten bei der Eurostabilisierung sich am Anfang in die Büsche geschlagen haben, sich enthalten haben. So kann man sich nicht verhalten in einer Situation, in der man selber so viel Verantwortung trägt. Wir sind nicht begeistert von dem, was wir gegenwärtig tun müssen, aber wir stellen uns der Verantwortung. Wir wollen nur den Weg richtig gehen und so schnell wie möglich wieder zu marktwirtschaftlich sauberen Verhältnissen, das heißt, Schuldenselbstverantwortung - derjenige, der seinen Haushalt selbst verantwortet, muss auch seine Schulden selbst verantworten. Und erstaunlicherweise sind diejenigen, die der Bundesrepublik Deutschland das eingebrockt haben, Rot und Grün, heute diejenigen, die fordern auch noch eine Transferunion, fordern Euro-Bons - es ist schon unerträglich, was man sich von sozialdemokratischer und grüner Seite in dieser schweren Krise anhören muss.

    Armbrüster: Herr Wissing, dann würde ich gerne zum Schluss nur noch von Ihnen wissen: Sind Sie sicher, dass wir bis Ende September die Reform des Euro-Rettungsschirms zumindest durch den Bundestag haben?

    Wissing: Ich gehe davon aus, dass das ein sehr geordnetes und geschlossenes Gesetzgebungsverfahren sein wird. Die Koalition hat ja durch ihre Spitzen schon klar gesagt, dass sie die Beschlüsse des Gipfels mitträgt, und deswegen wird eine Regierungsmehrheit stehen.

    Armbrüster: Sagt Volker Wissing, der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Besten Dank, Herr Wissing, für dieses Gespräch.

    Wissing: Ich danke Ihnen!


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