Dina Netz: "Manche der Strukturen heute atmen noch den Geist des Kalten Krieges. Da muss sich etwas ändern." Das hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg über die Bundeswehr gesagt und damit einen der Hauptgründe benannt, warum er jetzt eine Diskussion über die Wehrpflicht angestoßen hat. Denn sparen kann man mit seinen Plänen offenbar nicht viel. Das vom Verteidigungsministerium favorisierte Modell sieht vor, die Bundeswehr um ein Drittel zu verkleinern und die Wehrpflicht auszusetzen, sie aber im Grundgesetz zu behalten. Jedenfalls soll niemand mehr gegen seinen Willen eingezogen werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich zu den Überlegungen erst im Herbst äußern, nach den Parteitagen von CDU und CSU.
Ich habe den Historiker Michael Stürmer gefragt: Das Ende der Wehrpflicht ist zwar noch nicht beschlossen, aber es zeichnet sich ja doch ab, dass es irgendwann so kommen wird. Was meinen Sie? Welche gesellschaftliche Stimmung begünstigt diese Diskussion gerade?
Michael Stürmer: Die Bundeswehr erfreut sich ja eines wohlwollenden Desinteresses in der Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass das die Leute furchtbar bewegt, außer diejenigen, die nun entweder für Wehrdienst, oder für Wehrersatzdienst anstehen und sich überlegen, wie sie dem am besten entgehen können. Die Debatte ist eine Fachdebatte und sie ist eine Debatte der Sozialpolitiker und der Finanzpolitiker. Und das zeigt schon die ganze Schieflage dieser Debatte. Wenn ich über Wehrpflicht rede, wenn ich über Armee rede, dann muss ich davon ausgehen, was sind die Bedrohungen, was ist die Bündnislage, was ist die Sicherheitslage, und von daher muss ich das alles entwickeln. Der arme Guttenberg ist in diese Dinge hineingedrängt worden, nachdem 20 Jahre lang seine Vorgänger im Grunde die Lage in ihrer radikalen Veränderung sahen und herzlich wenig getan haben.
Netz: Das hat ja auch historische Gründe, dass die Deutschen so lange an der Wehrpflicht festgehalten haben, weil wir irgendwie mit unserer gewalttätigen 20. Jahrhundertsgeschichte Angst hatten, dass eine Berufsarmee vielleicht die falsche Entscheidung für ein Land sein könnte, das so viel Krieg über die Welt gebracht hat, oder? Hat es nicht auch historische Gründe, dass wir so lange mit der Wehrpflicht verhandelt haben?
Stürmer: Ja, das hat sicherlich gefühlte historische Gründe. Ob das auch richtige historische Gründe waren, das möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Die Reichswehr war das Instrument einer politischen Führung und auch die Wehrmacht war Instrument einer politischen Führung, aber sie war nicht sozusagen die Hand, die dieses Instrument geführt hat. Das war im Fall des Zweiten Weltkriegs schon Hitler. Und man darf die Dinge nicht völlig schief legen. Nein, das sind Komplexe aus der frühen Zeit der Bundesrepublik. Da hat man hinter jeden Soldaten einen Berufsbeamten gestellt, da hat man allen Ernstes die Idee gehabt, Obristen wollen putschen, haben nichts anderes im Kopf als zu putschen, Generälen kann man nicht trauen. Das war schon eine ziemliche Schieflage und damit hat man sich ja auch in gewisser Weise entlastet. Die Leute in Uniform waren schuld, nicht wir waren schuld. Das halte ich für sozusagen eine fable convenue, eine konvenable Fabel, aus der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik war doch niemals auch nur entfernt in der Lage, ihr Offizierkorps niemals entfernt in der Lage, eine eigenständige Politik durchzusetzen. Wir lebten im Atomzeitalter. Das entscheidende, strukturbildende Element waren Atomwaffen. Und davon war die Bundeswehr zu jedem Zeitpunkt unendlich weit weg. Das war ein vollkommen anderes Spiel. Also wir müssen sehen: Es gab die Realität, und die war unerbittlich. Wir brauchten Massenarmeen und wir brauchten Einbindung ins Bündnis wegen der nuklearen Abschreckung.
Das alles hatte aber dann mit den Erzählungen, sozusagen der deutschen Geschichtserzählung, herzlich wenig zu tun. Auch wenn die Deutschen Musterdemokraten gewesen wären, hätten wir immer noch eine Massenarmee und immer noch eine Wehrpflicht gehabt.
Netz: Wenn es jetzt diese Diskussion über die Wehrpflicht endlich gibt, heißt das auch, dass wir mit dieser deutschen Geschichtserzählung abgeschlossen haben, dass das Vertrauen in unsere Demokratie, in unsere Bundesrepublik endlich gefestigt ist?
Stürmer: Wir werden neue haben, ohne jede Frage. Jede Phase in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat sich in der Geschichtsdiskussion widergespiegelt: ob Notstand, ob Wiederbewaffnung, was auch immer, auch selbst bis in die Geld- und Währungspolitik hinein. Wir haben doch deshalb eine so fantastische Währungspolitik gehabt, weil man die Inflation von 1923 nicht noch mal haben wollte. Jedes Mal schauen die Deutschen in diesen seltsamen dunklen Spiegel der Vergangenheit. Und das werden wir weiterhin tun, aber wir werden andere Themen finden.
Also ich sehe sozusagen die Geschichtserzählungen der 50er-Jahre nicht jetzt in einer direkten Fortsetzung, oder auch in einer Abwandlung, sondern da die Leute sich immer fragen, wo kommen wir her, wo gehen wir hin, werden wir neue Geschichtserzählungen brauchen. Und das ist ja auch durchaus richtig und produziert ja auch vielerlei sinnvolle Reflexion. Nur nicht mehr im Kern das Militär.
Netz: Der Historiker Michael Stürmer über Geschichtserzählungen rund um die Wehrpflicht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich zu den Überlegungen erst im Herbst äußern, nach den Parteitagen von CDU und CSU.
Ich habe den Historiker Michael Stürmer gefragt: Das Ende der Wehrpflicht ist zwar noch nicht beschlossen, aber es zeichnet sich ja doch ab, dass es irgendwann so kommen wird. Was meinen Sie? Welche gesellschaftliche Stimmung begünstigt diese Diskussion gerade?
Michael Stürmer: Die Bundeswehr erfreut sich ja eines wohlwollenden Desinteresses in der Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass das die Leute furchtbar bewegt, außer diejenigen, die nun entweder für Wehrdienst, oder für Wehrersatzdienst anstehen und sich überlegen, wie sie dem am besten entgehen können. Die Debatte ist eine Fachdebatte und sie ist eine Debatte der Sozialpolitiker und der Finanzpolitiker. Und das zeigt schon die ganze Schieflage dieser Debatte. Wenn ich über Wehrpflicht rede, wenn ich über Armee rede, dann muss ich davon ausgehen, was sind die Bedrohungen, was ist die Bündnislage, was ist die Sicherheitslage, und von daher muss ich das alles entwickeln. Der arme Guttenberg ist in diese Dinge hineingedrängt worden, nachdem 20 Jahre lang seine Vorgänger im Grunde die Lage in ihrer radikalen Veränderung sahen und herzlich wenig getan haben.
Netz: Das hat ja auch historische Gründe, dass die Deutschen so lange an der Wehrpflicht festgehalten haben, weil wir irgendwie mit unserer gewalttätigen 20. Jahrhundertsgeschichte Angst hatten, dass eine Berufsarmee vielleicht die falsche Entscheidung für ein Land sein könnte, das so viel Krieg über die Welt gebracht hat, oder? Hat es nicht auch historische Gründe, dass wir so lange mit der Wehrpflicht verhandelt haben?
Stürmer: Ja, das hat sicherlich gefühlte historische Gründe. Ob das auch richtige historische Gründe waren, das möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Die Reichswehr war das Instrument einer politischen Führung und auch die Wehrmacht war Instrument einer politischen Führung, aber sie war nicht sozusagen die Hand, die dieses Instrument geführt hat. Das war im Fall des Zweiten Weltkriegs schon Hitler. Und man darf die Dinge nicht völlig schief legen. Nein, das sind Komplexe aus der frühen Zeit der Bundesrepublik. Da hat man hinter jeden Soldaten einen Berufsbeamten gestellt, da hat man allen Ernstes die Idee gehabt, Obristen wollen putschen, haben nichts anderes im Kopf als zu putschen, Generälen kann man nicht trauen. Das war schon eine ziemliche Schieflage und damit hat man sich ja auch in gewisser Weise entlastet. Die Leute in Uniform waren schuld, nicht wir waren schuld. Das halte ich für sozusagen eine fable convenue, eine konvenable Fabel, aus der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesrepublik war doch niemals auch nur entfernt in der Lage, ihr Offizierkorps niemals entfernt in der Lage, eine eigenständige Politik durchzusetzen. Wir lebten im Atomzeitalter. Das entscheidende, strukturbildende Element waren Atomwaffen. Und davon war die Bundeswehr zu jedem Zeitpunkt unendlich weit weg. Das war ein vollkommen anderes Spiel. Also wir müssen sehen: Es gab die Realität, und die war unerbittlich. Wir brauchten Massenarmeen und wir brauchten Einbindung ins Bündnis wegen der nuklearen Abschreckung.
Das alles hatte aber dann mit den Erzählungen, sozusagen der deutschen Geschichtserzählung, herzlich wenig zu tun. Auch wenn die Deutschen Musterdemokraten gewesen wären, hätten wir immer noch eine Massenarmee und immer noch eine Wehrpflicht gehabt.
Netz: Wenn es jetzt diese Diskussion über die Wehrpflicht endlich gibt, heißt das auch, dass wir mit dieser deutschen Geschichtserzählung abgeschlossen haben, dass das Vertrauen in unsere Demokratie, in unsere Bundesrepublik endlich gefestigt ist?
Stürmer: Wir werden neue haben, ohne jede Frage. Jede Phase in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat sich in der Geschichtsdiskussion widergespiegelt: ob Notstand, ob Wiederbewaffnung, was auch immer, auch selbst bis in die Geld- und Währungspolitik hinein. Wir haben doch deshalb eine so fantastische Währungspolitik gehabt, weil man die Inflation von 1923 nicht noch mal haben wollte. Jedes Mal schauen die Deutschen in diesen seltsamen dunklen Spiegel der Vergangenheit. Und das werden wir weiterhin tun, aber wir werden andere Themen finden.
Also ich sehe sozusagen die Geschichtserzählungen der 50er-Jahre nicht jetzt in einer direkten Fortsetzung, oder auch in einer Abwandlung, sondern da die Leute sich immer fragen, wo kommen wir her, wo gehen wir hin, werden wir neue Geschichtserzählungen brauchen. Und das ist ja auch durchaus richtig und produziert ja auch vielerlei sinnvolle Reflexion. Nur nicht mehr im Kern das Militär.
Netz: Der Historiker Michael Stürmer über Geschichtserzählungen rund um die Wehrpflicht.