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Die Causa Relotius
Ein Pharao unter den Fälschern

Fast schon Satire: Der überführte Fälscher Relotius ist auf Wikipedia womöglich selbst zum Fälschungsopfer geworden. Arno Orzessek fühlt sich in seiner Glosse ans alte Ägypten erinnert.

Von Arno Orzessek |
Ein Besucher macht ein Foto von einer Statue der Pharaonin Hatschepsut im Nationalmuseum Alexandria
Statue der ägyptischen Pharaonin Hatschepsut im Nationalmuseum in Alexandria (imago stock&people)
Falls Sie sich für's alte Ägypten interessieren, wissen Sie sicher: Wikipedia war damals noch nicht am Start, aber Fakten wurde auch schon manipuliert. Wozu man anstelle von Tastaturen umständehalber Hammer und Meißel gebrauchte. Ein Beispiel: Die Pharaonin Hatschepsut – sie lebte rund 3500 Jahre vor Claas Relotius – hat viele tolle Bauten errichten lassen, in deren Kartuschen ihr Name eingemeißelt wurde.
Doch irgendwelchen Thronfolgern und chauvinistischen Tunichtguts waren Frauen in der Erbfolge ein Graus. Deshalb ließen sie Hatschepsuts Namen kaltherzig ausmeißeln und/oder mit gefälligen Männernamen, etwa ihren eigenen, übermeißeln. Womit wir sagen wollen: Das Herummachen an fremden und eigenen Lebensläufen ist so alt wie die Pyramiden, aber erst dank Wikipedia funktioniert es wirklich flott.
Die Reinwaschung des Relotius
Das sieht man an der unterhaltsamen Folge von Fälschungen und Korrekturen der Fälschungen im Wikipedia-Eintrag zu dem Fälscher Claas Relotius - laut Schweizer "Tages-Anzeiger" "eine der größten Manipulationsoperationen in der Geschichte der deutschsprachigen Wikipedia".
Klar, Relotius ist kein Wiedergänger von Hatschepsuts, im Gegenteil. Während Hatschepsuts Neider eine damnation memoriae, eine Verfluchung des Angedenkens, an ihr verübten, haben sich Relotius' Unterstützer umgekehrt an dessen Reinwaschung versucht.
Ein gefälschter Screenshot als Beweis
So ließ ein Autor namens "klussmann" satte 15.000 Zeichen über die ausgepichten Fälschungs-Techniken von Relotius schwupps im digitalen Orkus verschwinden – Wikipedia-Kontrolleure holten sie wieder zurück. Woraufhin "klussmann" abtauchte. Dafür engagierten sich nun "PreRap" und "Snapperl" in der Reinwaschungs-Kampagne.
"Snapperl" postete den Screenshot einer Seite der Tageszeitung "Die Welt", aus der hervorging: Die krebskranke, versorgungsbedürftige Schwester von Relotius, der in Wahrheit nur einen Bruder hat, existiert womöglich doch. Allein: Der Screenshot war ein Fake. In der echten "Welt" gab's nie eine solche Seite.
Eine Spur führt nach Norddeutschland
Falls Sie sich angesichts der Dreistigkeit der Kampagne an Claas Relotius persönlich erinnert fühlen – der "Tages-Anzeiger" fühlte sich auch. Denn fünf Wikipedia-Konten, darunter die von "PreRap" und "Snapperl", wurden vom selben Rechner gesteuert. Und weil "PreRap" schusseligerweise seine IP-Adresse durchsickern ließ, ließ sich der Standort des Rechners einkreisen. O-Ton "Tages-Anzeiger": "Indizien deuten auf den Umkreis der norddeutschen Gemeinde Seevetal hin, wo auch die kleine Ortschaft Tötensen liegt. Von dort stammt Claas Relotius."
Nun sind Indizien keine Beweise, sondern Anzeichen. Aber das ist ja gerade das Schöne! Denn so befeuert die Geschichte die Phantasie erst recht. "Snapperl" hat zwar treuherzig versichert: "Ich bin nicht Claas Relotius." Aber das erinnert stark an das Pfeifenbild von René Magritte, unter dem steht: "Ceci n’est pas une pipe".
Flucht ins Reich des Fiktionalen
Wäre Relotius nicht doch eine Pfeife, wenn er seine Fälscher-Biographie derart zu fälschen versuchte? Oder arbeitet er per Wikipedia akribisch an einer Satire auf der Meta-Ebene? Immerhin hat ein User, der Relotius selbst sein könnte, Relotius als den "Karl May unserer Tage" abgefeiert.
Mit Blick auf die gefakten "Spiegel"-Reportagen ist das frech, klar. Zugleich würde die Karl-May-isierung seiner selbst Relotius einen Notausgang öffnen, durch den er sich samt seinem Blendwerk ins Reich des Fiktionalen flüchten kann. Das wäre bei einer gedemütigten Fälscher-Seele allemal verständlich, oder?
Geschickt eingefädelt!
Nun, was die Fälschungen der alten Pharaonen angeht, fetzen sich die Archäologen Jahrtausende später immer noch darüber, wer was wann genau manipuliert hat. Das Hick-Hack um den Wikipedia-Eintrag von Claas Relotius mag schneller beendet sein.
Nichtsdestotrotz, Herr Relotius, falls Sie es denn sein sollten, der da herumdoktert: Noch besser als "Karl May unserer Tage" klänge ja wohl der Titel "Pharao unter den Fälschern", nicht wahr? Und unter uns: Sollte diese schöne Formulierung nachher bei Wikipedia auftauchen, wäre damit noch rein gar nichts bewiesen. Insofern sagen wir, wem auch immer: Geschickt eingefädelt!