Angela Merkels Einstieg in die Politik begann spät, mit 35, mit einem Fehlstart und einer Enttäuschung. Einen Monat, nachdem in Berlin die Mauer gefallen war, wechselte die promovierte Quantenphysikerin von ihrem Arbeitsplatz in der Akademie der Wissenschaften in ein Wohnzimmer am Prenzlauer Berg, in das Parteibüro des Demokratischen Aufbruchs. Wenige Wochen später erlebte sie aus nächster Nähe, wie ihr Parteivorsitzender Wolfgang Schnur vier Tage vor der ersten und letzten freien Volkskammerwahl 1990 als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi aufflog und das damalige Wahlbündnis Allianz für Deutschland damit sang- und klanglos durchfiel.
Doch weder die Pleite, noch der Verrat, warfen die Pressesprecherin, die Angela Merkel inzwischen für den Demokratischen Aufbruch war, um. Kühl forderte sie aufzudecken, welche Bundestagsabgeordneten die Stasi in ihren Dienst gestellt hatte. Der Tageszeitung "Die Welt" sagte sie damals:
Ich habe erleben müssen, dass mein Chef vom Demokratischen Aufbruch bei der Stasi war, dass der Chef der Ost-SPD Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. Ich bin da sehr ernüchtert. Wenn es so etwas auch im Westen gab, muss es auf den Tisch. So bitter die Wahrheit sein mag. Die Bundesrepublik ist stark genug. Das werden wir alles überleben.
Während andere einen solch enttäuschenden ersten Schritt in die Politik womöglich sofort bereut hätten, zeigte Angela Merkel, dass ihr der Schneid nicht so schnell abzukaufen war. Einmal in der Politik, schien ihr keine Aufgabe zu schwierig, kein Karriereschritt zu groß. DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière ernannte die Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs zu seiner stellvertretenden Regierungssprecherin. So kurz das Amt währte, kein Jahr, so sehr gelang es ihr zu reüssieren, schrieb die "Welt".
Als Regierungssprecherin war sie die beste und hilfreichste offizielle Quelle in Ostberlin, stets ein gegebenes Wort haltend, eher leise, mit Präzision und Blick fürs Wesentliche die Kabinettsitzungen referierend.
"Ich habe, als ich Angela kennenlernte und wir zusammengearbeitet haben, das war ja immerhin nur eine relativ begrenzte Zeit, ihre rationalen auch ihre organisatorischen Fähigkeiten gesehen und erkannt. Ich habe ihr allerdings nicht das Durchsetzungsvermögen zugetraut. Das ist für mich eine Überraschung gewesen in den folgenden Jahren. Ich habe ihr auch nicht zugetraut, dass sie taktisch so stark ist. Dass sie strategisch denken kann, das war mir klar. Aber dass sie auch sehr stark taktisch denken kann..."
Seit dem 2. Dezember 1990, als der Demokratische Aufbruch der CDU-West beitrat, ist Angela Merkel Mitglied der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. 20 Jahre also. Doch die Ochsentour durch die Partei hat sie sich erspart, sie stieg gleich auf die oberen Sprossen und kürzte so den Weg ganz an die Spitze erheblich ab. Mithilfe Helmut Kohls, der "sein Mädchen" zur Frauen- und später zur Umweltministerin machte.
Acht Jahre, die Hälfte von Kohls Amtszeit, verbrachte die Newcomerin in seinem Kabinett. Und sie stand sieben Jahre lang der CDU in Mecklenburg-Vorpommern vor; erlebte die Jahre der Stagnation, des Scheiterns und Kohls Rücktritt nach der Wahlniederlage 1998.
Wolfgang Schäuble wurde CDU-Vorsitzender und Fraktionschef, Angela Merkel seine Generalsekretärin. Die, wiederum erst kurz im Amt, Zeugin erschütternder Ereignisse wurde: Das lebende Denkmal Kohl geriet im November 1999 nicht nur ins Wanken, sondern stürzte wenig später. Über die CDU-Spendenaffäre mit schwarzen Konten und illegalen Geldtransfers. In einem ZDF-Interview gestand der damalige CDU-Ehrenvorsitzende:
"Ich habe Spenden angenommen in einem Umfang zwischen 1993 und 1998 zwischen anderthalb bis zwei Millionen Mark. Die Spender haben mir ausdrücklich erklärt, dass sich diese Spende, die ich dringend brauchte angesichts der Finanzlage der CDU in den neuen Ländern: Sie geben dieses Geld nur, wenn es nicht in die Spendenliste kommt."
Am 22. Dezember 1999 holte die damalige CDU-Generalsekretärin zum Befreiungsschlag aus. Sie verlangte in einem Beitrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und später noch mehrfach schonungslose Aufklärung sowie die Distanzierung der Partei von den Machenschaften des Pfälzers.
"Jetzt kommt es darauf, ob Helmut Kohl mehr wusste, mehr Details kannte. Und dann kann man nur sagen, dann wäre es gut, er sagt es, weil für uns eine Menge auf dem Spiel steht. Und ich kann nur sagen: Wer der CDU helfen will, wer ihr dienen will, der muss jetzt dazu übergehen, alles, was er weiß, zu sagen."
Der Parteispendenskandal hinterließ im Historiengemälde vom Kanzler der Einheit tiefe Kratzer. Lothar de Maizière war fassungslos, dass sich ausgerechnet ein Ex-Bundeskanzler derart undemokratisch über Recht und Gesetz stellte.
"Hier haben wir uns um Demokratie bemüht und gerungen und da sagt einer plötzlich so was Feudalistisches und Vordemokratisches."
Norbert Blüm, der den Altkanzler noch heute auffordert, die Spendernamen zu nennen, den Kohl auch deshalb als Gegner betrachtet, den er bei jeder sich bietenden Gelegenheit anfeindet, Blüm bewundert den frühen Mut der Generalsekretärin.
"Sie hat ja eigentlich ein Tabu als Erstes aufgehoben, in dem sie in der 'FAZ' den großen Artikel geschrieben hat, dass die CDU sich von Kohl trennen müsse. Da muss ich ehrlich sein: So weit war ich nie."
Mit der Aberkennung von Kohls CDU-Ehrenvorsitz war die Parteispendenaffäre nicht beigelegt. Wenige Wochen später riss sie Wolfgang Schäuble mit sich. Zwei Monate nach Kohls Geständnis trat der CDU-Partei- und Fraktionschef Schäuble zurück.
"In der Konsequenz dieser Entscheidung werde ich auch auf dem Parteitag im April zur Wiederwahl als Parteivorsitzender nicht zur Verfügung stehen."
Damit musste die CDU nicht nur den Verlust jeglicher Glaubwürdigkeit verwinden, sondern auch noch eine neue Führung benennen.
Blüm, heute einer ihrer großen innerparteilichen Kritiker, hat und hatte eine Menge an ihr zu beanstanden. Doch nach der Parteispendenaffäre vermochte er schon damals ihrer kühlen Art, Macht auszuüben, durchaus Positives abzugewinnen. Mit Angela Merkel zog ein neuer Ton ein.
"Jetzt kommt jemand, der eine Rede vorträgt, wie man ein wissenschaftliches Referat anfertigt. Das ist schon neu. Und sie hat nicht in dem Sinne Seilschaften gebildet, wie das bisher üblich war. Die hat ihren vertrauten Kreis, mit dem sie enger zusammenarbeitet als viele, die jemals zu vertrauten Kreisen fähig waren, aber sie hat keine Kumpanei."
Blüm, 16 Jahre lang Minister für Arbeit und Soziales im Kabinett Kohl, wusste: Nach diesem Skandal brauchte die Partei einen radikalen Neuanfang.
"Da war so Hausputzstimmung. Die alten Säcke, die müssen weg, Blüm und so. Deswegen hat keiner von den Alten eine wirkliche Chance gehabt. Die Merkel, die hatte den Vorteil, den zweifachen Vorteil - das klingt banal: Sie war Frau und sie kam aus dem Osten. Sie war eher unauffällig, vielleicht hat ihr das sogar geholfen, weil sie auf diese Weise unterschätzt wurde. Und die Neuen haben so schnell nicht reagieren können auf die Situation und waren auch noch nicht gesattelt genug, Wulff, Koch, wer wäre da sonst noch? Müller? Rüttgers? Rüttgers vielleicht damals noch nicht, heute schon."
Merkel nutzte ihre Chance, zog durch die Republik von Ortsverein zu Kreisverband, um das Parteivolk mitzunehmen bei diesem Neuanfang.
"Ich habe mich gefreut, mit Ihnen hier heute auf dem Marktplatz zu diskutieren, das war ein guter Start. Und nun geht es morgen weiter zu IBM nach Stuttgart. Dann, das werden manche von Ihnen kennen, wenn Sie Gartenschläuche haben, zu Gardena nach Ulm. Morgen Abend mache ich einen Abstecher nach Bayern, nach Fürstenfeldbruck ins Bierzelt. Ja, und dann fahre ich noch abends nach Lindau am Bodensee."
Dass es Angela Merkel an die Spitze schaffte, morgen vor zehn Jahren, exakt am 10. April 2000 vom CDU-Parteitag zur Parteivorsitzenden gewählt wurde, war für Rita Süssmuth keine Selbstverständlichkeit. Hatte die ehemalige Bundestagspräsidentin und Kohl-Kritikerin doch erhebliche Zweifel an Merkels Entschlossenheit.
"Weil ich sie erlebt habe als durchaus sehr vorsichtige Person, den Konflikten ausweichend. Im Rückblick sage ich allerdings hinzu, wenn man sie jetzt eine Reihe von Jahren verfolgt hat, ist sie auch eine Person, die zielstrebig einen Weg verfolgt."
Die gleichen Leute, die Angela Merkel heute eher abschätzig denn liebevoll Mutti nennen, sprachen damals von Kohls Mädchen. Um kleinzureden, dass sie den Erwartungen, die ihre Förderer in sie setzten, gerecht geworden ist. Um deutlich zu machen, dass die CDU-Chefin bestenfalls eine Frau des Übergangs sein würde. Bis heute hat sich so mancher mit einer Frau, der Frau an der Spitze nicht abgefunden. Denn es war damals sehr wohl diskutiert worden, ob in einer solchen Krise nicht besser ein Mann die Sache in die Hand nehmen sollte.
"Gegenargument war, wir sind in einer so schwierigen, hässlichen, abschüssigen Situation, da sagten sie, das lassen wir lieber erst einmal eine Frau machen."
Angela Merkel, alles andere als eine Feministin, nutzte die Gunst der Stunde. Auch weil die Männer das Risiko scheuten, sich die Finger zu verbrennen. Norbert Blüm nennt einen anderen Grund:
"Da sich niemand aufgedrängt hat, hat sie sich selber vorgeschlagen, was ein gewisses Machtbewusstsein war, auch eine kühle Berechnung auch mit einem hohen Risikoeinsatz. Denn so gut hat sie die Truppe ja gar nicht gekannt."
Blüm, der Mann aus dem System Kohl, ist noch immer hin- und hergerissen, fühlte sich, als die Bonner Republik noch klar zwischen Freund und Feind, Schwarzen und Roten eingeteilt war, aufgehoben und geborgen. Die Stallwärme von früher vermisst er heute. Kohl hat die Partei mit Zuteilung oder Entzug von Gunst zusammengehalten. Bestens vernetzt, mit sämtlichen CDU-Kreisvorsitzenden bekannt. Davon sei Angela Merkel, trotz ihrer inzwischen zehn Amtsjahre als Parteichefin, weit entfernt.
"Das wird sie nie aufholen. Sie integriert nicht auf der Ebene von Sympathien, das kann auch ein Vorteil sein, das andere kann auch leicht zu Seilschaften führen. So unverbrüchliche Treue hat auch was Bewundernswertes, hat auch was Verlässliches, Berechenbares. Die Sache hat zwei Seiten."
Rita Süssmuth hätte es liebend gern etwas weniger kuschelig im Stall gehabt, wenn es dafür in der Kohl-CDU offener, moderner zugegangen wäre, weniger Maulkörbe und Denkverbote verhängt worden wären. Für sie wirkte Merkels Führungsstil erlösend.
"Sie hat uns befreit auch von dem patriarchalischen, Angst machenden Stil. Ich könnte meine Ängste benennen, ich musste jedes Mal gegen meine Ängste angehen und mir sagen. Und ich sage es jetzt trotzdem."
Als Generalsekretärin mochte es angehen, dass Angela Merkel evangelisch, geschieden, kinderlos und berufstätig war, aber als Parteivorsitzende? Von Wolfgang Schäuble bekam sie in jenen Wochen vor zehn Jahren Unterstützung.
"Sie verkörpert eine andere Art der Kommunikation. Sie ist frischer, neuer und das ist eine großartige Chance für die Union."
Nach dem Bruch mit Helmut Kohl stellte Angela Merkel ihre Beziehung zu ihrem heutigen Finanzminister, ihrem wichtigsten Mann im Kabinett, 2004 auf eine schwere Probe: Sie entschied sich, zusammen mit FDP-Chef Guido Westerwelle, gegen Schäuble als Kandidat für das Bundespräsidentenamt. Sie nominierten Horst Köhler.
Es ist diese Merkelsche Art, Parteifreunde fallen zu lassen wie heiße Kartoffeln, die Parteifreund Blüm immer wieder Schauer über den Rücken jagt.
"Ich fand schon erstaunlich, mit welcher Kälte sie über Personen hinweggehen kann."
Als die CDU Angela Merkel am 10. April 2000 mit 95,9 Prozent der Stimmen zu ihrer Vorsitzenden wählte, war das vor allem ein Signal der Geschlossenheit an die politischen Gegner. Denn der Spruch "Die kann es nicht" waberte noch immer durch die Essener Gruga-Halle. Er entsprang den eigenen Reihen. Und hielt sich, als Edmund Stoiber - nicht sie - 2002 Kanzlerkandidat der Union wurde. Nein, ist Rita Süssmuth überzeugt, ohne Krise hätte es keine Frau an die CDU-Spitze geschafft.
"Wäre meine Partei nicht in dieser Lage gewesen, wäre sie nicht auf die Idee gekommen."
Seitdem hat sich die CDU gewandelt. Lothar de Maizière hält Merkels Unbestechlichkeit für ein nicht zu unterschätzendes Gut.
"Zum System Kohl gehörte eben auch Bimbes-Politik dazu, Mauschelei. Dass es im Wahlkampf eben auch mal Ausgaben gibt, die schwer buchungsfähig sind. Das ging bis in die Außenpolitik, in die Scheckbuchdiplomatie hinein. Aus dem ersten Irakkrieg haben wir uns ja noch rausgekauft."
Dass der Partei unter Angela Merkel die Modernisierung gelang, stellt Rita Süssmuth in Abrede. Wenngleich sie zugibt, dass sich die CDU mit der neuen Vorsitzenden durchaus bewegt hat.
"Sie hat erkannt, wie weit wir uns in Teilen von der Realität der Menschen entfernt haben, und dieser Realitätsbruch ist viel kleiner geworden. Die Menschen haben den Eindruck, sie weiß, in welcher Zeit sie lebt und die neue Diskussion darum, ob sie nun diesen Linksrutsch vollzogen habe, den teile ich nicht. Das waren längst überfällige Aufgaben."
Nicht nur Lothar de Maizière befürchtet, dass Angela Merkel vielen in der Partei zu viel verändert, die vormals scharfen Konturen gerundet hat. Ohne das basisdemokratisch auszudiskutieren, was in der CDU ohnehin keine Tradition hat.
Aber anders als die SPD darf sich die CDU noch unbestritten Volkspartei nennen, stehen doch keiner Partei in Deutschland so viele potenzielle Koalitionspartner zur Verfügung wie der CDU. Ab und an stellen Parteifreunde die Frage, ob die Christlich Demokratische Union noch konservativ genug sei, wie erst kürzlich zu Jahresbeginn im Vorfeld der Vorstandsklausur.
"Wenn man das mal ganz kreuzschlitzartig sagen sollte, hat sie aus einem katholisch-rheinischen Kanzlerwahlverein eine Volkspartei der Mitte gemacht. Sie ist sehr viel säkularer, sehr viel östlicher, protestantischer geworden. Sie hat der Sozialdemokratie das Frauenthema weggenommen, das Familienthema mit Frau von der Leyen. Sie hat ihnen das Umweltthema weggenommen, das Klimathema. Sie hat sich auf jede erkennbare Entwicklung draufgesetzt, sie sich zunutze gemacht."
Der Aufstieg zur Kanzlerin verlief nicht ganz so kometenhaft wie der zur Parteivorsitzenden. Erst machte ihr CSU-Chef Stoiber 2002 die Kanzlerkandidatur streitig, dann, 2005, als sie endlich an der Reihe war, drohte der Spitzenkandidatin ihr sicher geglaubter Wahlsieg im letzten Moment abhanden zu kommen. Eine ihrer schwersten Stunden, sagt Lothar de Maizière.
"Sie hat bei der Bundestagswahl das erste Mal in ihrem Leben in den Abgrund geblickt und sie hat ja noch am gleichen Abend im Adenauer-Haus gesagt, dass sie jetzt auch den Fraktionsvorsitz besetzen muss, ehe eine Personaldiskussion aufkommt."
Partei- und Fraktionsvorsitz in einer, in Merkels Hand - diese Maxime galt nun wieder, zumindest solange die Große Koalition noch nicht stand. Schon zuvor, 2002, als Stoiber die Bundestagswahl knapp verlor, hatte die Parteichefin nach dem zweiten Amt gegriffen, dem der Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Was ihr der damals verdrängte Friedrich Merz nie verzieh. Merz, Schäuble, Paul Kirchhoff - kurzzeitig Mitglied in Merkels Wahlkampfteam - für Blüm Beweise ihrer Kälte. Ganz zu schweigen, so Blüm, von der Kritik am deutschen Papst wegen seines Umgangs mit Holocaustleugnen in der Katholischen Kirche.
"Sie hat schon einen gewissen Hang zum Populismus. Das ist ganz versteckt, das war einer."
Die Schuld an dem Beinahe-Wahldesaster 2005 sieht Blüm in der angeblichen Hinwendung der Oppositionsführerin und damit Chefkritikerin der rot-grünen Bundesregierung zum Neoliberalismus. Sie habe der neuen sozialen Marktwirtschaft gehuldigt, was schon auf dem Leipziger Parteitag 2003 für jedermann sichtbar war.
"Das war die Verwechslung dieser orgiastischen Zustimmung auf dem Parteitag mit Wählerstimmen."
Zehn Jahre Parteivorsitzende, am Beginn der zweiten Kanzlerschaft - die Macht hat Angela Merkel wenig verändert. Die 55-Jährige führt präsidial, will heißen: wenig polarisierend. Ist unprätentiös wie eh und je, verzichtet auf jegliche Statussymbole. Ihr wirkliches Vertrauen genießen nur wenige, in aller Regel nicht besonders auffällige Menschen: Beate Baumann, ihre Büroleiterin, Eva Christiansen, die Medienberaterin, Ronald Pofalla, der heutige sowie der ehemalige Kanzleramtschef, Thomas de Maiziere, heute Innenminister. Beliebigkeit in der politischen Zielsetzung werfen ihr Kritiker bis heute vor. Ein Grund, weshalb so mancher noch immer keine Antwort darauf findet, wer die CDU-Vorsitzende, die Kanzlerin nun ist. Sie selbst scheint da sicherer.
"Ich bin durchaus ein Mensch, der nicht dazu neigt, alles, was bisher gewesen ist, über Bord zu schmeißen. Was heißt denn konservativ? Das kommt von conservare, das heißt: bewahre das Gute, was sich bewährt hat und erschrecke trotzdem nicht, wenn es notwendig ist, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, sondern ziehe daraus die Schlussfolgerungen. Und gerade ich, die ja als vorsichtig gilt, nicht gerade sprunghaft jede neue Mode mitmachend beschrieben wird, muss sagen: Wahrscheinlich bin ich überhaupt ziemlich konservativ in der Richtung."
Die mächtigste Frau der Welt, wie "Forbes" schrieb, hält sich souverän im Olymp der Macht. Nun gilt es, die Zeit zu nutzen, um zu gestalten. Irgendwann droht unweigerlich der Abstieg. Ist ein Nachfolger schon in Sicht?
"Den gibt es immer. Da stehen sicher viele schon und scharren mit den Hufen, rütteln nicht am Kanzleramtszaun. In der Politik ist es in aller Regel so, auch wenn sie gut sind. Es kann immer der letzte Tag gewesen sein, das haben wir jetzt bei der hoch beliebten Frau Käßmann erlebt."
Doch weder die Pleite, noch der Verrat, warfen die Pressesprecherin, die Angela Merkel inzwischen für den Demokratischen Aufbruch war, um. Kühl forderte sie aufzudecken, welche Bundestagsabgeordneten die Stasi in ihren Dienst gestellt hatte. Der Tageszeitung "Die Welt" sagte sie damals:
Ich habe erleben müssen, dass mein Chef vom Demokratischen Aufbruch bei der Stasi war, dass der Chef der Ost-SPD Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. Ich bin da sehr ernüchtert. Wenn es so etwas auch im Westen gab, muss es auf den Tisch. So bitter die Wahrheit sein mag. Die Bundesrepublik ist stark genug. Das werden wir alles überleben.
Während andere einen solch enttäuschenden ersten Schritt in die Politik womöglich sofort bereut hätten, zeigte Angela Merkel, dass ihr der Schneid nicht so schnell abzukaufen war. Einmal in der Politik, schien ihr keine Aufgabe zu schwierig, kein Karriereschritt zu groß. DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière ernannte die Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs zu seiner stellvertretenden Regierungssprecherin. So kurz das Amt währte, kein Jahr, so sehr gelang es ihr zu reüssieren, schrieb die "Welt".
Als Regierungssprecherin war sie die beste und hilfreichste offizielle Quelle in Ostberlin, stets ein gegebenes Wort haltend, eher leise, mit Präzision und Blick fürs Wesentliche die Kabinettsitzungen referierend.
"Ich habe, als ich Angela kennenlernte und wir zusammengearbeitet haben, das war ja immerhin nur eine relativ begrenzte Zeit, ihre rationalen auch ihre organisatorischen Fähigkeiten gesehen und erkannt. Ich habe ihr allerdings nicht das Durchsetzungsvermögen zugetraut. Das ist für mich eine Überraschung gewesen in den folgenden Jahren. Ich habe ihr auch nicht zugetraut, dass sie taktisch so stark ist. Dass sie strategisch denken kann, das war mir klar. Aber dass sie auch sehr stark taktisch denken kann..."
Seit dem 2. Dezember 1990, als der Demokratische Aufbruch der CDU-West beitrat, ist Angela Merkel Mitglied der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. 20 Jahre also. Doch die Ochsentour durch die Partei hat sie sich erspart, sie stieg gleich auf die oberen Sprossen und kürzte so den Weg ganz an die Spitze erheblich ab. Mithilfe Helmut Kohls, der "sein Mädchen" zur Frauen- und später zur Umweltministerin machte.
Acht Jahre, die Hälfte von Kohls Amtszeit, verbrachte die Newcomerin in seinem Kabinett. Und sie stand sieben Jahre lang der CDU in Mecklenburg-Vorpommern vor; erlebte die Jahre der Stagnation, des Scheiterns und Kohls Rücktritt nach der Wahlniederlage 1998.
Wolfgang Schäuble wurde CDU-Vorsitzender und Fraktionschef, Angela Merkel seine Generalsekretärin. Die, wiederum erst kurz im Amt, Zeugin erschütternder Ereignisse wurde: Das lebende Denkmal Kohl geriet im November 1999 nicht nur ins Wanken, sondern stürzte wenig später. Über die CDU-Spendenaffäre mit schwarzen Konten und illegalen Geldtransfers. In einem ZDF-Interview gestand der damalige CDU-Ehrenvorsitzende:
"Ich habe Spenden angenommen in einem Umfang zwischen 1993 und 1998 zwischen anderthalb bis zwei Millionen Mark. Die Spender haben mir ausdrücklich erklärt, dass sich diese Spende, die ich dringend brauchte angesichts der Finanzlage der CDU in den neuen Ländern: Sie geben dieses Geld nur, wenn es nicht in die Spendenliste kommt."
Am 22. Dezember 1999 holte die damalige CDU-Generalsekretärin zum Befreiungsschlag aus. Sie verlangte in einem Beitrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und später noch mehrfach schonungslose Aufklärung sowie die Distanzierung der Partei von den Machenschaften des Pfälzers.
"Jetzt kommt es darauf, ob Helmut Kohl mehr wusste, mehr Details kannte. Und dann kann man nur sagen, dann wäre es gut, er sagt es, weil für uns eine Menge auf dem Spiel steht. Und ich kann nur sagen: Wer der CDU helfen will, wer ihr dienen will, der muss jetzt dazu übergehen, alles, was er weiß, zu sagen."
Der Parteispendenskandal hinterließ im Historiengemälde vom Kanzler der Einheit tiefe Kratzer. Lothar de Maizière war fassungslos, dass sich ausgerechnet ein Ex-Bundeskanzler derart undemokratisch über Recht und Gesetz stellte.
"Hier haben wir uns um Demokratie bemüht und gerungen und da sagt einer plötzlich so was Feudalistisches und Vordemokratisches."
Norbert Blüm, der den Altkanzler noch heute auffordert, die Spendernamen zu nennen, den Kohl auch deshalb als Gegner betrachtet, den er bei jeder sich bietenden Gelegenheit anfeindet, Blüm bewundert den frühen Mut der Generalsekretärin.
"Sie hat ja eigentlich ein Tabu als Erstes aufgehoben, in dem sie in der 'FAZ' den großen Artikel geschrieben hat, dass die CDU sich von Kohl trennen müsse. Da muss ich ehrlich sein: So weit war ich nie."
Mit der Aberkennung von Kohls CDU-Ehrenvorsitz war die Parteispendenaffäre nicht beigelegt. Wenige Wochen später riss sie Wolfgang Schäuble mit sich. Zwei Monate nach Kohls Geständnis trat der CDU-Partei- und Fraktionschef Schäuble zurück.
"In der Konsequenz dieser Entscheidung werde ich auch auf dem Parteitag im April zur Wiederwahl als Parteivorsitzender nicht zur Verfügung stehen."
Damit musste die CDU nicht nur den Verlust jeglicher Glaubwürdigkeit verwinden, sondern auch noch eine neue Führung benennen.
Blüm, heute einer ihrer großen innerparteilichen Kritiker, hat und hatte eine Menge an ihr zu beanstanden. Doch nach der Parteispendenaffäre vermochte er schon damals ihrer kühlen Art, Macht auszuüben, durchaus Positives abzugewinnen. Mit Angela Merkel zog ein neuer Ton ein.
"Jetzt kommt jemand, der eine Rede vorträgt, wie man ein wissenschaftliches Referat anfertigt. Das ist schon neu. Und sie hat nicht in dem Sinne Seilschaften gebildet, wie das bisher üblich war. Die hat ihren vertrauten Kreis, mit dem sie enger zusammenarbeitet als viele, die jemals zu vertrauten Kreisen fähig waren, aber sie hat keine Kumpanei."
Blüm, 16 Jahre lang Minister für Arbeit und Soziales im Kabinett Kohl, wusste: Nach diesem Skandal brauchte die Partei einen radikalen Neuanfang.
"Da war so Hausputzstimmung. Die alten Säcke, die müssen weg, Blüm und so. Deswegen hat keiner von den Alten eine wirkliche Chance gehabt. Die Merkel, die hatte den Vorteil, den zweifachen Vorteil - das klingt banal: Sie war Frau und sie kam aus dem Osten. Sie war eher unauffällig, vielleicht hat ihr das sogar geholfen, weil sie auf diese Weise unterschätzt wurde. Und die Neuen haben so schnell nicht reagieren können auf die Situation und waren auch noch nicht gesattelt genug, Wulff, Koch, wer wäre da sonst noch? Müller? Rüttgers? Rüttgers vielleicht damals noch nicht, heute schon."
Merkel nutzte ihre Chance, zog durch die Republik von Ortsverein zu Kreisverband, um das Parteivolk mitzunehmen bei diesem Neuanfang.
"Ich habe mich gefreut, mit Ihnen hier heute auf dem Marktplatz zu diskutieren, das war ein guter Start. Und nun geht es morgen weiter zu IBM nach Stuttgart. Dann, das werden manche von Ihnen kennen, wenn Sie Gartenschläuche haben, zu Gardena nach Ulm. Morgen Abend mache ich einen Abstecher nach Bayern, nach Fürstenfeldbruck ins Bierzelt. Ja, und dann fahre ich noch abends nach Lindau am Bodensee."
Dass es Angela Merkel an die Spitze schaffte, morgen vor zehn Jahren, exakt am 10. April 2000 vom CDU-Parteitag zur Parteivorsitzenden gewählt wurde, war für Rita Süssmuth keine Selbstverständlichkeit. Hatte die ehemalige Bundestagspräsidentin und Kohl-Kritikerin doch erhebliche Zweifel an Merkels Entschlossenheit.
"Weil ich sie erlebt habe als durchaus sehr vorsichtige Person, den Konflikten ausweichend. Im Rückblick sage ich allerdings hinzu, wenn man sie jetzt eine Reihe von Jahren verfolgt hat, ist sie auch eine Person, die zielstrebig einen Weg verfolgt."
Die gleichen Leute, die Angela Merkel heute eher abschätzig denn liebevoll Mutti nennen, sprachen damals von Kohls Mädchen. Um kleinzureden, dass sie den Erwartungen, die ihre Förderer in sie setzten, gerecht geworden ist. Um deutlich zu machen, dass die CDU-Chefin bestenfalls eine Frau des Übergangs sein würde. Bis heute hat sich so mancher mit einer Frau, der Frau an der Spitze nicht abgefunden. Denn es war damals sehr wohl diskutiert worden, ob in einer solchen Krise nicht besser ein Mann die Sache in die Hand nehmen sollte.
"Gegenargument war, wir sind in einer so schwierigen, hässlichen, abschüssigen Situation, da sagten sie, das lassen wir lieber erst einmal eine Frau machen."
Angela Merkel, alles andere als eine Feministin, nutzte die Gunst der Stunde. Auch weil die Männer das Risiko scheuten, sich die Finger zu verbrennen. Norbert Blüm nennt einen anderen Grund:
"Da sich niemand aufgedrängt hat, hat sie sich selber vorgeschlagen, was ein gewisses Machtbewusstsein war, auch eine kühle Berechnung auch mit einem hohen Risikoeinsatz. Denn so gut hat sie die Truppe ja gar nicht gekannt."
Blüm, der Mann aus dem System Kohl, ist noch immer hin- und hergerissen, fühlte sich, als die Bonner Republik noch klar zwischen Freund und Feind, Schwarzen und Roten eingeteilt war, aufgehoben und geborgen. Die Stallwärme von früher vermisst er heute. Kohl hat die Partei mit Zuteilung oder Entzug von Gunst zusammengehalten. Bestens vernetzt, mit sämtlichen CDU-Kreisvorsitzenden bekannt. Davon sei Angela Merkel, trotz ihrer inzwischen zehn Amtsjahre als Parteichefin, weit entfernt.
"Das wird sie nie aufholen. Sie integriert nicht auf der Ebene von Sympathien, das kann auch ein Vorteil sein, das andere kann auch leicht zu Seilschaften führen. So unverbrüchliche Treue hat auch was Bewundernswertes, hat auch was Verlässliches, Berechenbares. Die Sache hat zwei Seiten."
Rita Süssmuth hätte es liebend gern etwas weniger kuschelig im Stall gehabt, wenn es dafür in der Kohl-CDU offener, moderner zugegangen wäre, weniger Maulkörbe und Denkverbote verhängt worden wären. Für sie wirkte Merkels Führungsstil erlösend.
"Sie hat uns befreit auch von dem patriarchalischen, Angst machenden Stil. Ich könnte meine Ängste benennen, ich musste jedes Mal gegen meine Ängste angehen und mir sagen. Und ich sage es jetzt trotzdem."
Als Generalsekretärin mochte es angehen, dass Angela Merkel evangelisch, geschieden, kinderlos und berufstätig war, aber als Parteivorsitzende? Von Wolfgang Schäuble bekam sie in jenen Wochen vor zehn Jahren Unterstützung.
"Sie verkörpert eine andere Art der Kommunikation. Sie ist frischer, neuer und das ist eine großartige Chance für die Union."
Nach dem Bruch mit Helmut Kohl stellte Angela Merkel ihre Beziehung zu ihrem heutigen Finanzminister, ihrem wichtigsten Mann im Kabinett, 2004 auf eine schwere Probe: Sie entschied sich, zusammen mit FDP-Chef Guido Westerwelle, gegen Schäuble als Kandidat für das Bundespräsidentenamt. Sie nominierten Horst Köhler.
Es ist diese Merkelsche Art, Parteifreunde fallen zu lassen wie heiße Kartoffeln, die Parteifreund Blüm immer wieder Schauer über den Rücken jagt.
"Ich fand schon erstaunlich, mit welcher Kälte sie über Personen hinweggehen kann."
Als die CDU Angela Merkel am 10. April 2000 mit 95,9 Prozent der Stimmen zu ihrer Vorsitzenden wählte, war das vor allem ein Signal der Geschlossenheit an die politischen Gegner. Denn der Spruch "Die kann es nicht" waberte noch immer durch die Essener Gruga-Halle. Er entsprang den eigenen Reihen. Und hielt sich, als Edmund Stoiber - nicht sie - 2002 Kanzlerkandidat der Union wurde. Nein, ist Rita Süssmuth überzeugt, ohne Krise hätte es keine Frau an die CDU-Spitze geschafft.
"Wäre meine Partei nicht in dieser Lage gewesen, wäre sie nicht auf die Idee gekommen."
Seitdem hat sich die CDU gewandelt. Lothar de Maizière hält Merkels Unbestechlichkeit für ein nicht zu unterschätzendes Gut.
"Zum System Kohl gehörte eben auch Bimbes-Politik dazu, Mauschelei. Dass es im Wahlkampf eben auch mal Ausgaben gibt, die schwer buchungsfähig sind. Das ging bis in die Außenpolitik, in die Scheckbuchdiplomatie hinein. Aus dem ersten Irakkrieg haben wir uns ja noch rausgekauft."
Dass der Partei unter Angela Merkel die Modernisierung gelang, stellt Rita Süssmuth in Abrede. Wenngleich sie zugibt, dass sich die CDU mit der neuen Vorsitzenden durchaus bewegt hat.
"Sie hat erkannt, wie weit wir uns in Teilen von der Realität der Menschen entfernt haben, und dieser Realitätsbruch ist viel kleiner geworden. Die Menschen haben den Eindruck, sie weiß, in welcher Zeit sie lebt und die neue Diskussion darum, ob sie nun diesen Linksrutsch vollzogen habe, den teile ich nicht. Das waren längst überfällige Aufgaben."
Nicht nur Lothar de Maizière befürchtet, dass Angela Merkel vielen in der Partei zu viel verändert, die vormals scharfen Konturen gerundet hat. Ohne das basisdemokratisch auszudiskutieren, was in der CDU ohnehin keine Tradition hat.
Aber anders als die SPD darf sich die CDU noch unbestritten Volkspartei nennen, stehen doch keiner Partei in Deutschland so viele potenzielle Koalitionspartner zur Verfügung wie der CDU. Ab und an stellen Parteifreunde die Frage, ob die Christlich Demokratische Union noch konservativ genug sei, wie erst kürzlich zu Jahresbeginn im Vorfeld der Vorstandsklausur.
"Wenn man das mal ganz kreuzschlitzartig sagen sollte, hat sie aus einem katholisch-rheinischen Kanzlerwahlverein eine Volkspartei der Mitte gemacht. Sie ist sehr viel säkularer, sehr viel östlicher, protestantischer geworden. Sie hat der Sozialdemokratie das Frauenthema weggenommen, das Familienthema mit Frau von der Leyen. Sie hat ihnen das Umweltthema weggenommen, das Klimathema. Sie hat sich auf jede erkennbare Entwicklung draufgesetzt, sie sich zunutze gemacht."
Der Aufstieg zur Kanzlerin verlief nicht ganz so kometenhaft wie der zur Parteivorsitzenden. Erst machte ihr CSU-Chef Stoiber 2002 die Kanzlerkandidatur streitig, dann, 2005, als sie endlich an der Reihe war, drohte der Spitzenkandidatin ihr sicher geglaubter Wahlsieg im letzten Moment abhanden zu kommen. Eine ihrer schwersten Stunden, sagt Lothar de Maizière.
"Sie hat bei der Bundestagswahl das erste Mal in ihrem Leben in den Abgrund geblickt und sie hat ja noch am gleichen Abend im Adenauer-Haus gesagt, dass sie jetzt auch den Fraktionsvorsitz besetzen muss, ehe eine Personaldiskussion aufkommt."
Partei- und Fraktionsvorsitz in einer, in Merkels Hand - diese Maxime galt nun wieder, zumindest solange die Große Koalition noch nicht stand. Schon zuvor, 2002, als Stoiber die Bundestagswahl knapp verlor, hatte die Parteichefin nach dem zweiten Amt gegriffen, dem der Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Was ihr der damals verdrängte Friedrich Merz nie verzieh. Merz, Schäuble, Paul Kirchhoff - kurzzeitig Mitglied in Merkels Wahlkampfteam - für Blüm Beweise ihrer Kälte. Ganz zu schweigen, so Blüm, von der Kritik am deutschen Papst wegen seines Umgangs mit Holocaustleugnen in der Katholischen Kirche.
"Sie hat schon einen gewissen Hang zum Populismus. Das ist ganz versteckt, das war einer."
Die Schuld an dem Beinahe-Wahldesaster 2005 sieht Blüm in der angeblichen Hinwendung der Oppositionsführerin und damit Chefkritikerin der rot-grünen Bundesregierung zum Neoliberalismus. Sie habe der neuen sozialen Marktwirtschaft gehuldigt, was schon auf dem Leipziger Parteitag 2003 für jedermann sichtbar war.
"Das war die Verwechslung dieser orgiastischen Zustimmung auf dem Parteitag mit Wählerstimmen."
Zehn Jahre Parteivorsitzende, am Beginn der zweiten Kanzlerschaft - die Macht hat Angela Merkel wenig verändert. Die 55-Jährige führt präsidial, will heißen: wenig polarisierend. Ist unprätentiös wie eh und je, verzichtet auf jegliche Statussymbole. Ihr wirkliches Vertrauen genießen nur wenige, in aller Regel nicht besonders auffällige Menschen: Beate Baumann, ihre Büroleiterin, Eva Christiansen, die Medienberaterin, Ronald Pofalla, der heutige sowie der ehemalige Kanzleramtschef, Thomas de Maiziere, heute Innenminister. Beliebigkeit in der politischen Zielsetzung werfen ihr Kritiker bis heute vor. Ein Grund, weshalb so mancher noch immer keine Antwort darauf findet, wer die CDU-Vorsitzende, die Kanzlerin nun ist. Sie selbst scheint da sicherer.
"Ich bin durchaus ein Mensch, der nicht dazu neigt, alles, was bisher gewesen ist, über Bord zu schmeißen. Was heißt denn konservativ? Das kommt von conservare, das heißt: bewahre das Gute, was sich bewährt hat und erschrecke trotzdem nicht, wenn es notwendig ist, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, sondern ziehe daraus die Schlussfolgerungen. Und gerade ich, die ja als vorsichtig gilt, nicht gerade sprunghaft jede neue Mode mitmachend beschrieben wird, muss sagen: Wahrscheinlich bin ich überhaupt ziemlich konservativ in der Richtung."
Die mächtigste Frau der Welt, wie "Forbes" schrieb, hält sich souverän im Olymp der Macht. Nun gilt es, die Zeit zu nutzen, um zu gestalten. Irgendwann droht unweigerlich der Abstieg. Ist ein Nachfolger schon in Sicht?
"Den gibt es immer. Da stehen sicher viele schon und scharren mit den Hufen, rütteln nicht am Kanzleramtszaun. In der Politik ist es in aller Regel so, auch wenn sie gut sind. Es kann immer der letzte Tag gewesen sein, das haben wir jetzt bei der hoch beliebten Frau Käßmann erlebt."