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"Die Chinesen machen es uns vor"

Neue Stadtteile in den schnell wachsenden Metropolen Chinas werden gleich für 700.000 Einwohner oder mehr geplant, eine Herausforderung für jeden Verkehrsplaner, weiß der DLR-Verkehrsexperte Professor Reinhart Kühne. Um den "teuren Platz nicht mit Autos vollzustopfen", arbeite China mit Hochdruck an öffentlichem Schienennahverkehr, berichtet Kühne, und setze auf Elektrofahrräder.

Reinhart Kühne im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Ralf Krauter: Mobilität in Megacitys, das klingt erstmal nach einem Widerspruch. Denn jeder, der schon mal zur Rushhour mit dem Auto in einer Millionenstadt unterwegs war, weiß, dass man da eher im Stau steht, als wirklich mobil zu sein. Weil weltweit immer mehr Menschen in Großstädten wohnen, stellen sich Verkehrsplaner natürlich die Frage, ob es vielleicht auch anders geht. Bei einer Konferenz über Megacitys diese Woche in Essen werden neue Konzepte zur Abwendung des Verkehrskollaps diskutiert, unter anderem auch von Professor Reinhart Kühne vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin, der die Entwicklung in China seit Langem verfolgt, im Rahmen von Forschungsprojekten begleitet und uns jetzt zugeschaltet ist. Herr Kühne, mit welchem Maßnahmen versucht China, des drohenden Verkehrschaos in seinen Megastädten Herr zu werden?

    Reinhart Kühne: Also die ganz großen Megacitys wie Peking und Schanghai, die setzen jetzt natürlich zunehmend auf S-Bahnen und Metrosysteme, aber die aufkommenden Megacitys, die müssen ja schnell fertig werden mit der großen Verkehrsnachfrage. Und die arbeiten an Konzepten, dass Busse mit eigenen Spuren die Passagiere in die Zentren und aus den Zentren bringen. Die arbeiten an neuen Straßenbahnkonzepten, an der Elektrobussystemen, also allen Formen des öffentlichen Nahverkehrs, um den Kollaps abzuwenden.

    Krauter: Wie erfolgreich sind diese einzelnen Strategien denn, also die kurzfristigen, aber auch die mittel- und langfristigen?

    Kühne: Na ja, das Auto hat natürlich eine derartige Verlockung insbesondere für die jetzt einkommensstärkeren Schichten in China, dass das in einer schwierigen Konkurrenz zum öffentlichen Nahverkehr steht, aber es gibt durchaus Ansätze mit modernen Straßenbahnen und Elektrobussystemen, mit eigenen sogenannten Bus Rapid Transit, also Busschnelllinien, die Vororte mit den Zentren zu verbinden und auch mit den entsprechenden Signalanlagen, also mit Ampeln im Volksmund, die Busse schneller zu machen.

    Krauter: Solche Schnellbussysteme werden ja in verschiedenen aufstrebenden Großstädten, in Entwicklungs- und Schwellenländern gebaut, weil sie besonders schnell zu realisieren sind und kostengünstig sind, aber langfristig bringen sie nicht den richtig hohen Durchsatz an Menschen, oder?

    Kühne: Also diese Bussysteme, die sind in der Tat schnell zu realisieren, aber sie haben begrenzte Kapazität. Es wird zwar angegeben, die könnten bis zu 40.000 Passagiere in der Stunde befördern, aber das sind sicher geschönte Zahlen. Tatsächlich sind die Zahlen im Bereich 10- bis 15.000 realistisch, und wenn man einen neuen Stadtteil baut, so in China, so ein Stadtteil hat einfach mal 700.000 Einwohner, dann kann man mit einem Schnellbussystem nur sozusagen die Spitze abdecken. Man braucht langfristig eine Schienenverbindung, und da arbeiten die Chinesen mit Hochdruck dran. Grundsätzlich geht es darum, den wirklich teuren Platz nicht mit Autos vollzustopfen, sondern mit öffentlichen Nahverkehrssystemen, die eine ganz deutliche, geringere Platzanforderung haben.

    Krauter: Also zur Rückdrängung des Autos Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs. Wie aufgeschlossen, Ihrer Erfahrung nach, sind Chinas Planer und Macher denn für diese Art von Vorschlägen?

    Kühne: Ja, also da gibt es natürlich immer zwei Fraktionen: Die sogenannte Betonfraktion, die schöne, schnelle Straßen bauen will, und dann gibt es aber die aufstrebenden Stadtplaner, die aus den neuen Universitäten in China kommen, die Kontakt haben zu ihren Kollegen hier im Westen, und die sind sehr aufgeschlossen. Und ich beobachte mit hohem Interesse, wie schnell sich diese modernen Stadtplaner durchsetzen, die auf öffentlichen Nahverkehr, auf Park und Ride, auf Stadtteilauto setzen - also die sind wirklich auf der Höhe der Zeit. Ich bin immer ganz erstaunt - wir können da nicht kommen und sagen, wir haben die Weisheit mit Löffeln gefressen, sondern im Gegenteil, wir sind auch manchmal überrascht, mit welchen lebendigen Ideen die Chinesen kommen.

    Krauter: Können Sie zum Schluss noch ein konkretes Projekt nennen, wo Sie sagen würden, da können wir vielleicht sogar was von den Chinesen lernen?

    Kühne: Na ja, wir können davon lernen, wie die ihre Innenstadt mit elektrisch betriebenen Zweirädern erschließen. Das geht hier ganz einfach. Einfach die Regierung sagt, der Verbrennungsmotor im Zweirad wird verboten, und zack, stellen die Leute um auf elektrisch betriebene Zweiräder. Die laden die auf, ganz einfach privat, irgendwo auf einem Bürgersteig sieht man ein Fahrrad, wo ein Kabel aus einer Erdgeschosswohnung raushängt. Und das funktioniert, ohne großes Tamtam und Gedöns, davon können wir wirklich lernen. Die Chinesen machen es uns vor: 70 Millionen elektrische Roller und Zweiräder sind schon in China unterwegs, und die reden nicht über Elektromobilität und so was, sondern die machen es.