Als wäre es gestern erst gewesen. Ich habe noch das Jahres-Best-Of des heimlich gehörten Westsenders - NDR 2 - im Ohr: Bei "Boney M." tat ein schwarzer Tänzer so, als würde er singen. Maffay hauchte "So bis duhuhu". Die "Gebrüder Blattschuss" soffen sich durch "Kreuzberger Nächte" - Kreuzberg? Ja, wo sollte das denn sein? Und dann kommt eines Abends ein Kumpel mit einer neuen Schallplatte. "Lift" - "Meeresfahrt".
Aber wovon sangen die da? Von der harmlosen Frage eines Kindes, wohin denn im kalten Winter die Vögel wohl fliegen mochten. Von der harmlosen Antwort des Vaters: nach Süden. Sie wollen immer die Sonne sehen. Süden? Sonne? Jenseits der DDR etwa?
Nach Süden, nach Süden wollte ich fliegen,
das war mein allerschönster Traum.
Hinter den Hügeln wuchsen mir Flügel,
um vor dem Winter abzuhauhn -
abzuhauhn.
Um abzuhauhn. Welch Unwort im Osten. Nach Süden fliegen. Was für ein lyrisches Bild in meinem eingemauerten Ländle. Was für eine Sensation, dass die sowas singen durften. War etwa die Zensur abgeschafft? Nein. Gerade erst hatte sich der DDR-Schriftstellerverband von neun unliebsamen Mitgliedern getrennt, darunter Rolf Schneider und Stefan Heym. Dennoch: Nach Süden wollte ich fliegen. Und so zernuschelt, wie Henry Pacholski das sang, verstanden alle, was sie verstehen wollten: Nach Süden, nach Süden - wollte ich "fliehen", statt "fliegen". Heimlich.
Und heimlich in der Nacht
hab ich mich aufgemacht,
wollte nach Süden gehn,
um immer die Sonne zu sehn.
Und überhaupt. Was war das für Musik? Jenseits des gängigen Quintenzirkels. Quer durch die Tonarten. Zehn Minuten lang. Und die "Meeresfahrt" sogar eine gute Viertelstunde.
Und auch hier die gleiche Frage: Wir fahrn übers Meer. Welches Meer? Meinten die etwa die Ostsee? Auf die niemand fahren durfte, der aus der DDR kam?
Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n wir fahren,
wir fahr'n, fahr'n übers Meer.
Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n der Sehnsucht hinterher.
Die Platte lief ohne Unterlass. Schon wegen der Sehnsucht nach offenem Meer. Der Traum, abzuhaun, drehte auf dem Plattenspieler Endlosrunden.
Ein paar Tage später: Dagmar Berghoff verkündet in der "Tagesschau": Zwei ostdeutschen Familien ist die spektakuläre Flucht in den Westen mit einem selbstgebauten Heißluftballon geglückt. Von Thüringen nach Bayern. Nach Süden, nach Süden, wollte ich fliegen.
Und wir wollten mehr. Mehr Lieder von "Lift", mehr Titel mit außerordentlichen Längen. Mehr Musik mit diesen eindeutig zweideutigen Texten. Aber "Lift" gehen nicht ins Studio, sondern auf Tournee. Durch Polen. Auf der Heimfahrt sind sie total übermüdet. Keyboarder Michael Heubach fährt. In einer Kleinstadt will er überholen und stößt frontal mit einem LKW zusammen. Bassist Gerhard Zacher und Sänger Henry Pacholski sterben. Pacholski, von dem auch die meisten Texte der Band stammten. Der Schock sitzt tief.
Ein halbes Jahr nach dem Unfall hat die neu formatierte Band eine Idee: Rudimente von Musik, Textfetzen. Am Abend mancher Tage. Da stimmt die Welt nicht mehr. Sie fragen einen alten Freund der Band, Joachim Krause, der auch früher schon ein paar gute Texte für "Lift" geschrieben hatte. Aber Krause ist noch immer geschockt, fast depressiv. Schließlich schreibt er.
Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr.
Irgendetwas ist zerbrochen, wiegt so schwer.
Und man kann das nicht begreifen,
will nichts mehr sehn und doch muss man weitergehn.
Texter Joachim Krause und "Lift" gelingt damit ihr größter Hit, die Nummer 1 in der DDR des Jahres 1980. Aber genau genommen ist das Kapitel "Lift" damit beendet, auch wenn die Band immer noch aktiv ist. Und Texter Joachim Krause? Nach der Aufarbeitung des Todes seiner Freunde mit "Am Abend mancher Tage" hat er nie wieder einen Rocktext geschrieben.
Aber wovon sangen die da? Von der harmlosen Frage eines Kindes, wohin denn im kalten Winter die Vögel wohl fliegen mochten. Von der harmlosen Antwort des Vaters: nach Süden. Sie wollen immer die Sonne sehen. Süden? Sonne? Jenseits der DDR etwa?
Nach Süden, nach Süden wollte ich fliegen,
das war mein allerschönster Traum.
Hinter den Hügeln wuchsen mir Flügel,
um vor dem Winter abzuhauhn -
abzuhauhn.
Um abzuhauhn. Welch Unwort im Osten. Nach Süden fliegen. Was für ein lyrisches Bild in meinem eingemauerten Ländle. Was für eine Sensation, dass die sowas singen durften. War etwa die Zensur abgeschafft? Nein. Gerade erst hatte sich der DDR-Schriftstellerverband von neun unliebsamen Mitgliedern getrennt, darunter Rolf Schneider und Stefan Heym. Dennoch: Nach Süden wollte ich fliegen. Und so zernuschelt, wie Henry Pacholski das sang, verstanden alle, was sie verstehen wollten: Nach Süden, nach Süden - wollte ich "fliehen", statt "fliegen". Heimlich.
Und heimlich in der Nacht
hab ich mich aufgemacht,
wollte nach Süden gehn,
um immer die Sonne zu sehn.
Und überhaupt. Was war das für Musik? Jenseits des gängigen Quintenzirkels. Quer durch die Tonarten. Zehn Minuten lang. Und die "Meeresfahrt" sogar eine gute Viertelstunde.
Und auch hier die gleiche Frage: Wir fahrn übers Meer. Welches Meer? Meinten die etwa die Ostsee? Auf die niemand fahren durfte, der aus der DDR kam?
Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n wir fahren,
wir fahr'n, fahr'n übers Meer.
Wir fahr'n, fahr'n, fahr'n der Sehnsucht hinterher.
Die Platte lief ohne Unterlass. Schon wegen der Sehnsucht nach offenem Meer. Der Traum, abzuhaun, drehte auf dem Plattenspieler Endlosrunden.
Ein paar Tage später: Dagmar Berghoff verkündet in der "Tagesschau": Zwei ostdeutschen Familien ist die spektakuläre Flucht in den Westen mit einem selbstgebauten Heißluftballon geglückt. Von Thüringen nach Bayern. Nach Süden, nach Süden, wollte ich fliegen.
Und wir wollten mehr. Mehr Lieder von "Lift", mehr Titel mit außerordentlichen Längen. Mehr Musik mit diesen eindeutig zweideutigen Texten. Aber "Lift" gehen nicht ins Studio, sondern auf Tournee. Durch Polen. Auf der Heimfahrt sind sie total übermüdet. Keyboarder Michael Heubach fährt. In einer Kleinstadt will er überholen und stößt frontal mit einem LKW zusammen. Bassist Gerhard Zacher und Sänger Henry Pacholski sterben. Pacholski, von dem auch die meisten Texte der Band stammten. Der Schock sitzt tief.
Ein halbes Jahr nach dem Unfall hat die neu formatierte Band eine Idee: Rudimente von Musik, Textfetzen. Am Abend mancher Tage. Da stimmt die Welt nicht mehr. Sie fragen einen alten Freund der Band, Joachim Krause, der auch früher schon ein paar gute Texte für "Lift" geschrieben hatte. Aber Krause ist noch immer geschockt, fast depressiv. Schließlich schreibt er.
Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr.
Irgendetwas ist zerbrochen, wiegt so schwer.
Und man kann das nicht begreifen,
will nichts mehr sehn und doch muss man weitergehn.
Texter Joachim Krause und "Lift" gelingt damit ihr größter Hit, die Nummer 1 in der DDR des Jahres 1980. Aber genau genommen ist das Kapitel "Lift" damit beendet, auch wenn die Band immer noch aktiv ist. Und Texter Joachim Krause? Nach der Aufarbeitung des Todes seiner Freunde mit "Am Abend mancher Tage" hat er nie wieder einen Rocktext geschrieben.