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Die deutsch-polnische Beziehungen

Christoph Heinemann: Das ‚Weimarer Dreieck‘ ist keine mathematische Konstruktion, das ‚Weimarer Dreieck ‚ ist politischer Natur, besteht aus drei gleichen Seiten – aus Polen, Franzosen und Deutschen. Die Wiege steht in der Goethe-Stadt. In der Weimarer Erklärung von 1991 wurde die gemeinsame Verantwortung für das Gelingen zukunftsfähiger Strukturen europäischer Nachbarschaft festgeschrieben. Heute treffen sich die Verteidigungsminister der drei Länder in Krakau. Janusz Onyszkiewicz, Alan Richard und Rudolf Scharping wollen einen möglichen gemeinsamen Balkan-Einsatz, das kommende Nato-Gipfeltreffen und das Verhältnis zu Rußland erörtern. Polen wird am 12. März offiziell der Nato beitreten. Vor dieser Sendung habe ich mit Andrzej Byrt gesprochen, dem Botschafter der Polnischen Republik in Deutschland. Ich habe ihn zunächst nach seiner Bilanz der bisherigen Weimarer Zusammenarbeit gefragt.

    Byrt: Durch diesen Dialog zwischen Polen, Frankreich und Deutschland haben wir zuerst eine sehr – möchte ich sagen – vernünftige Basis etabliert für das Analysieren des politischen Geschehens in Europa. Wir haben eine ganze Menge von verschiedenen Ebenen dieser Kooperation schon entwickelt. Jetzt gibt es ein Treffen, einen Gipfel der drei Verteidigungsminister. In Krakau gibt es auch solche Treffen zwischen Außenministern, auch ein Gipfeltreffen zwischen dem deutschen Kanzler und den Präsidenten von Polen und Frankreich. Jetzt aber, und das ist von Bedeutung, gibt es eine ganze Reihe von unterschiedlichen, zum Beispiel kulturellen Initiativen. Und das ist vielleicht der Hauptgrund dafür, daß wir das Weimarer Dreieck als sehr interessanten Bestandteil dieser gemeinsamen Kooperation betrachten.

    DLF: Ihr Vorgänger Janusz Reiter hat einmal gesagt: ‚Nur als gute Dienstmädchen, tüchtige Handwerker und fleißige Landarbeiter wollen wir nicht in Europa auftreten‘. Wird Ihr Land, wird Polen von den Deutschen und von anderen Europäern unterschätzt?

    Byrt: Ich würde sagen: Nein. Ich könnte hinzufügen zu dem Wort meines Vorgängers, daß Polen auch das Land von Gòreki, das Land von Wajda – und es gibt eine ganze Menge von polnischen Schriftstellern – ist, die Sie so gut kennen wie ich. Deshalb habe ich keine Angst, daß wir unterschätzt werden. Aber natürlich: Mit unserer gemeinsamen Kooperation in Europa, unserer Annäherung zu unseren europäischen Partnern – durch den Dialog, der seit Ende der 80-er Jahre dauert, nach der Wende haben wir sofort unsere Verhandlungen mit der Europäischen Union aufgenommen –, das heißt, durch unsere 10-jährige sehr enge Zusammenarbeit mit allen europäischen Partnern – aber insbesondere mit den Deutschen – haben wir, ich bin überzeugt, sozusagen eine gute Präsentation unseres Landes schon vorgestellt. Ich hoffe, durch die nächsten Schritte im Rahmen unserer Vorbereitungen zur Europäischen Union bzw. zu den Bedingungen der Europäischen Union werden wir auch uns viel mehr und besser präsentieren als eine Nation der tüchtigen Arbeiter – doch, das auch –, aber auch als eine kreative Gemeinschaft, die ihren Beitrag zur europäischen Entwicklung leisten kann.

    DLF: Herr Byrt, das Verhältnis zu Rußland steht bei dem Treffen in Krakau auch auf der Tagesordnung. Das Weimarer Dreieck wurde kurz nach dem Putsch in Moskau gegründet. Gibt es in Polen weiterhin Ängste vor dem riesigen Nachbarn?

    Byrt: Unser Verhältnis zu Rußland hat sich dramatisch – ich muß aber sagen: positiv – geändert. Nach dem Zerfall der gemeinsamen Sowjetunion, aber auch nach fast 10-jähriger nicht schlechter wirtschaftlicher Kooperation sind die Kontakte - ich muß sagen - relativ gut. Wir haben natürlich eine ganze Menge von Spannungen erlebt, insbesondere während unserer Verhandlungen mit unseren Nato-Partnern um den künftigen polnischen Start in die Nato. Jetzt aber bin ich überzeugt: Die Russen haben auch viel mehr Verständnis dafür, daß Polens Anwesenheit in der Nato auch für Rußland eine gute Garantie ist, daß es sich lohnt, anständig zu sein, wenn ich unseren Außenminister Bartoszewski zitieren könnte. Wenn man gut mit seinen Partnern arbeitet und auch dieses ‚fair play‘ realisiert, daß wir dann auch mit Rußland diese guten Kontakte weiterentwickeln können. Und das ist auch – muß ich sagen – die heutige gegenwärtige Betrachtung unserer russischen Partner.

    DLF: Herr Botschafter, vor der Osterweiterung möchte die Bundesregierung die Finanzierung der Europäischen Union klären. Fachleute bezweifeln, daß dies in absehbarer Zeit zu erreichen sein wird. Was bedeutet dieses Jungteam für Polens EU-Beitritt?

    Byrt: Wir verstehen natürlich, daß die Osterweiterung der Europäischen Union, die fünfte Erweiterung, etwas schwieriger sein wird als die vier, die schon stattgefunden haben. Und deshalb verstehen wir auch, daß die vor uns stehenden notwendigen Reformen von riesiger Bedeutung für die EU sind, aber auch für uns. Deshalb haben wir keinen Zweifel, daß die Agenda 2000 eine positive Lösung finden soll. Und deshalb drücken wir unsere Daumen für einen Erfolg der deutschen Präsidentschaft und wir verstehen, daß der notwendige Druck darauf gesetzt wird, daß die Vorbereitungen zur künftigen Öffnung in Richtung Osten der Europäischen Union weiter Vorrang hat.

    DLF: Sollte die Bundesregierung einen klaren Termin für die Aufnahme Polens in die Union nennen?

    Byrt: Bisher nein. Aber es geht nicht nur um die deutsche Regierung, es geht sozusagen um die Europäische Union. Die Europäische Gemeinschaft soll uns so etwas präsentieren. Die Antwort bis heute lautet: ‚Ja, wir können so etwas machen, wenn wir mehr Einzelheiten haben, das heißt, wenn unsere Verhandlungen schon etwas mehr vorgeschritten sind‘. Das wird – hoffe ich – geschehen Ende 99/Anfang 2000. Dann – ich hoffe – können wir mit einem Datum rechnen.

    DLF: Der Streik der polnischen Bauern ist beendet. Finanzminister Balcerowicz hat die Subventionierung des europäischen Schweinefleisches kritisiert. Langfristig bestehen Zweifel daran, daß viele Höfe in Polen nach europäischem Maßstab möglicherweise nicht wettbewerbsfähig sein werden. War der Streik in Polen ein Vorgeschmack auf die Situation in Ihrem Land, wenn Polen dem europäischen Agrarmarkt beigetreten sein wird?

    Byrt: Sie wissen viel besser als wir, daß es gute Produkte gibt, die die europäische Union exportiert, aber es gibt auch schlechte Beispiele. Diese Fälle der landwirtschaftlichen Streiks sind vielleicht eine kleine Krankheit, die sie hatten. Aber ehrlich gesagt – und seriös –: Diese Welle der Streiks hat etwas zum Ausdruck gebracht und die Notwendigkeit der Reformen in diesem Sektor vor Augen geführt. Und wir verstehen, daß nach Kenntnis der Verhandlungen, die zwischen unserer Regierung und der anderen Staaten stattgefunden haben, die haben einen Kompromiß erreicht. Und das ist vielleicht ein gutes Beispiel des Dialogs, den wir schon seit Jahren geführt haben. Ich möchte daran erinnern, daß wir vor 10 Jahren einen ‚runden Tisch‘ durchgeführt haben als ein Anfang der Reformen, die dann in allen anderen mittel- und osteuropäischen Ländern stattgefunden haben. Und ich hoffe, daß diese Bereitschaft zum Dialog – sie ist ein Bestandteil des gegenwärtigen polnischen Selbstbewußtseins – als ein Mittel zur Verständigung begriffen wird. Und ich hoffe, daß – wenn wir in der EU sind – wir nicht mehr landwirtschaftliche Unruhe haben werden, als Sie in Deutschland oder die Franzosen in Frankreich.

    DLF: Herr Botschafter, es gibt in unseren beiden Ländern immer noch Vorbehalte und Vorurteile dem jeweils anderen gegenüber. Bei uns sprechen einige immer noch naserümpfend von der polnischen Wirtschaft, obwohl wir von einem Wirtschaftswachstum von 5,6 Prozent nur träumen können. Für viele Polen sind wir immer noch die Herrenmenschen wie vor 60 Jahren. Ist die politische Freundschaft schon bei den Bürgern angekommen, oder anders gefragt: Was haben die Bürger vom Weimarer Dreieck?

    Byrt: Ja, wie immer gibt es Unterschiede zwischen dem, was die Politiker machen und was normale Menschen - ein Kowalski und ein Müller - zu tun haben. Ich kann nur sagen, daß diese Kontakte auf der menschlichen Ebene sich sehr stark entwickelt haben. Das ist etwas sehr positives. Ich nenne als Beispiel dieses wunderschöne Vorhaben des Jugendwerkes. Jährlich haben wir fast 40.000 junge Leute, die aus Deutschland nach Polen kommen – und umgekehrt. Das sind gute Voraussetzungen auch für eine bessere Verständigung in der Zukunft. Sie haben aber recht. Es gibt auch Vorurteile. Man kann so etwas nur überwinden durch enge und menschliche Kontakte. In welcher Art und Weise? Ich habe schon das Beispiel des Jugendwerkes genannt. Es gibt noch andere Pläne, zum Beispiel die kulturellen Kontakte auf verschiedenen Ebenen. Das sind – man kann nur antworten – Eliten. Aber wie Sie wissen: 1998 hatten wir fast 50 Millionen Deutsche, die nach Polen gekommen sind und auch fast 30 Millionen Polen, die nach Deutschland angekommen sind. Das sind riesige Zahlen. Das ist auch mehr Deutschland – Polen als Deutschland – Spanien. Natürlich gibt es auch Größenunterschiede: Die Leute, die nach Spanien kommen, bleiben dort ungefähr zwei Wochen, um sich zu entspannen. Nach Polen kommen die Leute, um ein Geschäft zu machen oder auch, um ihre Freunde zu besuchen. Deshalb: Je häufiger diese Kontakte entstehen werden, desto besser – ich bin überzeugt – kann sich das Verständnis zwischen unseren zwei Nationen entwickeln.

    DLF: Herr Byrt, auch die polnische Botschaft wird demnächst in die Hauptstadt umziehen. Was erwarten Sie von der Berliner Republik?

    Byrt: Ich bin davon überzeugt, daß es die ‚Berliner Republik‘ nicht gibt. Es wird die ‚Deutsche Republik‘ sein, und eine demokratische – eine demokratische Republik, wie es auch mit der Hauptstadt in Bonn war. Ich persönlich hoffe, daß dieser Umzug nach Berlin jene Verbindungen zu Europa und das Image der demokratischen Nation tief verankert in das gegenwärtige europäische Geschehen überzeugend stärken wird. Das ist für mich einhundertprozentig. Ich habe deshalb keine Angst oder keine Befürchtungen. Im Gegenteil. Ich habe es schon gesagt: Ihre neue Hauptstadt wird sich vielleicht viel enger mit den östlichen Nachbarn verbinden durch vielseitige Kontakte, die seit vielen Jahren schon entstanden sind. Erstens. Und zweitens: Sie haben vielleicht auch viel mehr Mittel europäischer Perspektive, als Sie von Bonn aus haben. Wie werden viel besser diese gesamte europäische Interaktion einschätzen können. Und deshalb: Meine sehr kurze Antwort auf Ihre Frage ist: Wir freuen uns, daß die Hauptstadt Deutschlands nach Berlin kommt und wir rechnen mit einer Stärkung der Zusammenarbeit, nicht nur wegen der viel kürzeren Distanz zwischen Berlin uns unserer deutsch – polnischen Grenze.

    DLF: Herr Byrt, noch amtieren Sie in Köln. Hier herrscht zur Zeit der Ausnahmezustand. Ihre Krawatte ist noch intakt. Feiert der polnische Botschafter Karneval?

    Byrt: Ja doch, natürlich. Das ist meine zweite Krawatte. Meine erste habe ich heute morgen in Bonn verloren. Ich begleitete unseren EU-Unterhändler, und bei einem Besuch hat eine junge Dame unsere zwei Krawatten abgeschnitten. Deshalb: Ich habe schon diese Karneval-Feierlichkeiten angefangen.

    DLF: Das Gespräch mit Andrzej Byrt, dem Botschafter der Polnischen Republik in Deutschland, haben wir gestern abend aufgezeichnet.