Schriftsteller der Bundesrepublik gingen, in der Mehrzahl durchaus gelassen, davon aus, daß sich für sie mit dem Mauerfall keine wesentlichen Änderungen ergeben würden. Schriftsteller der DDR dagegen sahen ihre Zukunft eher im Ungewissen. Deshalb so viele besorgte, ängstliche, alles andere als euphorische Sätze, die sie in die tausend Mikrofone westlicher Journalisten damals sprachen.
Die zögerlichen Reaktionen der literarischen Zunft auf den Abbruch der Mauer mögen mit der Natur eines vergrübelten Berufsstands zusammenhängen, der wie kein anderer im Ruf steht, die Weltläufte erst von allen Seiten abzuklopfen, sprachlich zumal, ehe man sich zu einer entschiedenen, eindeutigen Haltung entschließt und damit an die Öffentlichkeit tritt. Deutsche Schriftsteller und die Politik - in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gab es wahrlich genug Zeiträume, die uns diese Verbindung als eine eher unheilvolle Allianz in Erinnerung rufen. Deshalb lehnen es in Deutschland nicht eben wenige Autoren ab, überhaupt zu politischen Fragen Antworten zu geben. Schriftsteller sind unter den Intellektuellen diejenigen, die sich am ehesten zu Fragen berufen fühlen und nicht zu Antworten.
Außerdem: Deutsche Schriftsteller tun sich seit jeher schwerer als die Kollegen im übrigen Europa damit, Worte des Glücks als Worte des Unglücks zu finden. Aber die reservierten Reaktionen auf den Fall der Mauer vor zehn Jahren haben auch Gründe, die in den achtundzwanzig Jahren nach dem Bau der Mauer 1961 zu suchen sind. Literarisch spielte die Mauer in den Werken westdeutscher Schriftsteller, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (Peter Schneider zum Beispiel mit seinem Roman "Der Mauerspringer"), so gut wie keine Rolle. Sie war für sie einfach kein literarisches Thema. Politisch wurde dieses Tabu-Thema insofern bestätigt, als sich eine haushohe Mehrheit der bundesrepublikanischen Schriftsteller - auch Günter Grass - mit der deutschen Teilung längst abgefunden hatte. Es gehörte sozusagen zum guten, politisch korrekten Ton der Achtundsechziger-Generation und auch anderer, älterer wie jüngerer Generationen, die deutsche Teilung zu akzeptieren. Martin Walser war einer der wenigen westlich der Mauer, die sich mit ihr nicht abfinden wollten und auch davon schrieben - daran sei auch heute noch mal erinnert.
Daß die Mauer für die Autoren in der DDR ein Tabu-Thema war (Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel" ist in diesem Falle die Ausnahme), daß dieses Thema ein Tabu sein mußte, hatte andere, politisch naheliegende Gründe. Die Mauer war für die Schriftsteller östlich der Mauer ein Bauwerk, das öffentlich abzulehnen einem Berufsverbot gleichkam. Wer die Mauer ablehnte, mußte mit fortgesetzten Formen der Kriminalisierung und Bestrafung rechnen. Es ist nur zu verständlich, daß sich unter Autorinnen und Autoren der DDR nach den Erfahrungen eines Wolf Biermann und anderer, die sich mit ihm soldarisierten und gegen seine Ausbürgerung stimmten, es ist nur zu verständlich, daß sich nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit Maulkörben, Zensur und Vertreibung nicht unmittelbar mit dem Mauerfall eine Sprache der Befreiung einstellen wollte. Selbst rückwärtsgewandte, ideologisch verhärtete, bisweilen sogar larmoyante Töne unter Autoren im östlichen Deutschland unmittelbar nach dem Mauerfall, selbst solche Töne erscheinen von heute aus verständlicher, verzeihlicher als damals, als sich, allen voran Christa Wolf, viele ostdeutsche Schriftsteller, die an der Jubelfeier nicht teilnahmen und die Existenz der DDR mit dem Fall der Mauer nicht in Bausch und Bogen zu verwerfen bereit waren, einer harschen Kritik in den westdeutschen Medien ausgesetzt sahen.
Ein besonderes Kapitel in diesem Zusammenhang schrieben die Noch-Mitglieder der Schriftstellervereinigungen PEN und VS ( dem Verband deutscher Schriftsteller), die sich erst Jahre nach dem Mauerfall zu einer Vereinigung bewegen ließen. Das Hick-Hack um die Vereinigung der ehemals zweigeteilten Schriftsteller-Organisationen spricht Bände über die Mühen, die deutsche Schriftsteller mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 hatten. Während die älteren unter den ostdeutschen Autoren in diesem Ereignis nicht notgedrungen einen Aufbruch in die schwarzrotgoldenen neunziger Jahre sahen und viele darüber hinaus über das Sich-Zerreiben an deutschen Fragen drauf und dran waren, das Dichten unter den neuen deutschen Verhältnissen zu verlernen, während es in den neunziger Jahren also literarisch immer stiller um die Alten wurde, trat eine junge, politisch, geschichtlich und von unheilvollen literarischen Traditionen unbelastete Generation auf den Plan.
Reden wir heute, um noch einmal die Sprache der Himmelsrichtungen zu strapazieren, reden wir heute von ostdeutschen Autoren, so sind es eher solche, die erst nach dem Fall der Mauer zu schreiben und zu publizieren begonnen haben als diejenigen, die zu Zeiten der DDR Rang und Namen hatten. Autoren wie Ingo Schulze oder Thomas Brussig sind es, von denen man heute spricht. Wer weiß, ob sie sich mit einer Mauer in Deutschland überhaupt kreativ hätten entfalten können. Je näher das Jahrhundertende gekommen ist, umso weniger ist noch von einer zweigeteilten deutschen Literatur die Rede. Das Reden von einer west- und einer ostdeutschen Literatur wird ein Kapitel der Literaturgeschichte sein, die Gegenwart - das heißt eben ‘nur’ noch: deutsche Literatur. Wer in Leipzig schreibt, arbeitet unter den gleichen Bedingungen wie der Schriftsteller in Köln. Der Fall der Mauer vor zehn Jahren war, von heute aus betrachtet, ein Glücksfall für die deutsche Literatur. Ein zu Ausnahmeerscheinungen neigendes Fach macht da ausnahmsweise keine gesellschaftliche Ausnahme mehr.
Die zögerlichen Reaktionen der literarischen Zunft auf den Abbruch der Mauer mögen mit der Natur eines vergrübelten Berufsstands zusammenhängen, der wie kein anderer im Ruf steht, die Weltläufte erst von allen Seiten abzuklopfen, sprachlich zumal, ehe man sich zu einer entschiedenen, eindeutigen Haltung entschließt und damit an die Öffentlichkeit tritt. Deutsche Schriftsteller und die Politik - in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gab es wahrlich genug Zeiträume, die uns diese Verbindung als eine eher unheilvolle Allianz in Erinnerung rufen. Deshalb lehnen es in Deutschland nicht eben wenige Autoren ab, überhaupt zu politischen Fragen Antworten zu geben. Schriftsteller sind unter den Intellektuellen diejenigen, die sich am ehesten zu Fragen berufen fühlen und nicht zu Antworten.
Außerdem: Deutsche Schriftsteller tun sich seit jeher schwerer als die Kollegen im übrigen Europa damit, Worte des Glücks als Worte des Unglücks zu finden. Aber die reservierten Reaktionen auf den Fall der Mauer vor zehn Jahren haben auch Gründe, die in den achtundzwanzig Jahren nach dem Bau der Mauer 1961 zu suchen sind. Literarisch spielte die Mauer in den Werken westdeutscher Schriftsteller, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen (Peter Schneider zum Beispiel mit seinem Roman "Der Mauerspringer"), so gut wie keine Rolle. Sie war für sie einfach kein literarisches Thema. Politisch wurde dieses Tabu-Thema insofern bestätigt, als sich eine haushohe Mehrheit der bundesrepublikanischen Schriftsteller - auch Günter Grass - mit der deutschen Teilung längst abgefunden hatte. Es gehörte sozusagen zum guten, politisch korrekten Ton der Achtundsechziger-Generation und auch anderer, älterer wie jüngerer Generationen, die deutsche Teilung zu akzeptieren. Martin Walser war einer der wenigen westlich der Mauer, die sich mit ihr nicht abfinden wollten und auch davon schrieben - daran sei auch heute noch mal erinnert.
Daß die Mauer für die Autoren in der DDR ein Tabu-Thema war (Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel" ist in diesem Falle die Ausnahme), daß dieses Thema ein Tabu sein mußte, hatte andere, politisch naheliegende Gründe. Die Mauer war für die Schriftsteller östlich der Mauer ein Bauwerk, das öffentlich abzulehnen einem Berufsverbot gleichkam. Wer die Mauer ablehnte, mußte mit fortgesetzten Formen der Kriminalisierung und Bestrafung rechnen. Es ist nur zu verständlich, daß sich unter Autorinnen und Autoren der DDR nach den Erfahrungen eines Wolf Biermann und anderer, die sich mit ihm soldarisierten und gegen seine Ausbürgerung stimmten, es ist nur zu verständlich, daß sich nach jahrzehntelangen Erfahrungen mit Maulkörben, Zensur und Vertreibung nicht unmittelbar mit dem Mauerfall eine Sprache der Befreiung einstellen wollte. Selbst rückwärtsgewandte, ideologisch verhärtete, bisweilen sogar larmoyante Töne unter Autoren im östlichen Deutschland unmittelbar nach dem Mauerfall, selbst solche Töne erscheinen von heute aus verständlicher, verzeihlicher als damals, als sich, allen voran Christa Wolf, viele ostdeutsche Schriftsteller, die an der Jubelfeier nicht teilnahmen und die Existenz der DDR mit dem Fall der Mauer nicht in Bausch und Bogen zu verwerfen bereit waren, einer harschen Kritik in den westdeutschen Medien ausgesetzt sahen.
Ein besonderes Kapitel in diesem Zusammenhang schrieben die Noch-Mitglieder der Schriftstellervereinigungen PEN und VS ( dem Verband deutscher Schriftsteller), die sich erst Jahre nach dem Mauerfall zu einer Vereinigung bewegen ließen. Das Hick-Hack um die Vereinigung der ehemals zweigeteilten Schriftsteller-Organisationen spricht Bände über die Mühen, die deutsche Schriftsteller mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 hatten. Während die älteren unter den ostdeutschen Autoren in diesem Ereignis nicht notgedrungen einen Aufbruch in die schwarzrotgoldenen neunziger Jahre sahen und viele darüber hinaus über das Sich-Zerreiben an deutschen Fragen drauf und dran waren, das Dichten unter den neuen deutschen Verhältnissen zu verlernen, während es in den neunziger Jahren also literarisch immer stiller um die Alten wurde, trat eine junge, politisch, geschichtlich und von unheilvollen literarischen Traditionen unbelastete Generation auf den Plan.
Reden wir heute, um noch einmal die Sprache der Himmelsrichtungen zu strapazieren, reden wir heute von ostdeutschen Autoren, so sind es eher solche, die erst nach dem Fall der Mauer zu schreiben und zu publizieren begonnen haben als diejenigen, die zu Zeiten der DDR Rang und Namen hatten. Autoren wie Ingo Schulze oder Thomas Brussig sind es, von denen man heute spricht. Wer weiß, ob sie sich mit einer Mauer in Deutschland überhaupt kreativ hätten entfalten können. Je näher das Jahrhundertende gekommen ist, umso weniger ist noch von einer zweigeteilten deutschen Literatur die Rede. Das Reden von einer west- und einer ostdeutschen Literatur wird ein Kapitel der Literaturgeschichte sein, die Gegenwart - das heißt eben ‘nur’ noch: deutsche Literatur. Wer in Leipzig schreibt, arbeitet unter den gleichen Bedingungen wie der Schriftsteller in Köln. Der Fall der Mauer vor zehn Jahren war, von heute aus betrachtet, ein Glücksfall für die deutsche Literatur. Ein zu Ausnahmeerscheinungen neigendes Fach macht da ausnahmsweise keine gesellschaftliche Ausnahme mehr.