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"Die deutsche Sprache ist mir ein persönliches Anliegen"

Sein Hintergrund bedinge auch, dass er Sprache als Instrument und Lyrik als sein Handwerkszeug verstehe, sagt der deutsch-nigerianische Sänger Chima. Mit fast 40 hat er die Unterstützung einer großen Plattenfirma gewonnen und ist mit seiner SIngle "Morgen" in die Top 30 der Charts geklettert.

Chima im Gespräch mit Fabian Elsäßer |
    Fabian Elsäßer: Popmusik mit deutschen Texten – da rollen viele die Augen, weil dann solche Namen wie Silbermond, Klee oder vielleicht auch Sportfreunde Stiller fallen. Vermeintliche große Gefühle, dargereicht in musikalischer Klarsichtfolie. Auf der anderen Seite stehen die vielen jungen deutschen Liedermacher und irgendwo daneben die Hip-Hopper, und ganz oben flattern alte Adler wie Herbert Grönemeyer mit ihren pathosschweren Schwingen. Da freut man sich über jedes neue Gesicht, über jeden neuen Namen: Einen solchen schickt gerade Universal ins Rennen, eine der letzten großen vier Plattenfirmen.

    Und dieser Name lautet Chimao-binna Enyia-kann-wanne On-yele – kurz Chima. Herzlich willkommen bei Corso!

    Ihr Album "Stille" ist gerade erschienen, die wunderbar leichtfüßige Single "Morgen" immerhin schon in die Top 30 geklettert. Aber neu ist in ihrem Fall relativ: Sie haben schon vor zehn Jahren erste Erfolge mit dem Künstlerkollektiv Brothers Keepers, auch schon zwei Soloalben veröffentlicht, das letzte "Im Rahmen Der Möglichkeiten" ist aber schon fast sieben Jahre her. Fühlt sich "Stille" für Sie eher an wie ein Debüt?

    Chima: Ja. Es fühlt sich für mich tatsächlich wie ein Debüt an, weil die Rahmenbedingungen komplett andere sind. Ich war nicht so verzettelt, wie das bei den Platten zuvor der Fall gewesen ist.

    Elsäßer: Da mussten Sie alles selber machen?

    Chima: Da wollte ich alles selber machen. Und durfte das dann selbstverständlich auch und musste dann über den Prozess, über learning by doing feststellen, dass alles, also komplette Verantwortung vielleicht nicht immer dem Produkt zuträglich ist.

    Elsäßer: Wobei es ja genau das ist, was sich viele Künstler immer erträumen: das sie von vorne bis hinten alles machen können ...

    Chima: Ja genau. Unter Umständen bin ich irgendwann auch wieder an dem Punkt. Ich glaube aber, dass es für die nächsten Jahre für mich nicht mehr besonders attraktiv ist. Ich konnte diesmal eine Platte machen, bei der ich im Produktionsprozess eigentlich immer die Übersicht behielt, soweit das halt geht, wenn man selbst betroffen ist und eigentlich nie die Distanz zu sich selber hat. Aber dadurch, dass man eben die Gewalten aufgeteilt hat, hatte ich Übersicht wie noch nie in meinem Leben, während des Prozesses.

    Elsäßer: Der Deutsch-Rapper Michael Sebastian Kurth hat zum Album einen sehr persönlichen Begleittext geschrieben: Er beschreibt Sie da als einen "Mann in seinen Dreißigern, nicht gefestigt, unbeständig und ohne geregeltes Einkommen, ohne Zehnjahresplan und ohne Bausparvertrag. Einer, bei dem jeder Versuch den Beigeschmack der letzten Chance hat." Soweit das Zitat. Das klingt fast so, alles wäre Ihr bisheriges Musikerleben ein ziemlicher Überlebenskampf gewesen?

    Chima: War er, war er. Natürlich ein sehr privilegierter, denn ich hatte die Möglichkeit, von innen nach außen zu wirken, ich konnte mein Curriculum selbst formulieren, ich hab’ ein sehr selbstbestimmtes Leben geführt. Allerdings eben kein erfolgreiches. Erfolgreich im Sinne von zahlenmäßig dokumentiert erfolgreiches Leben führen. Und deswegen war das ein Kampf. Ein ganz wichtiger Kampf, der die Basis ist für das, was jetzt gerade eben passiert. Aber es war ein Kampf

    Elsäßer: Hatten Sie denn irgendwann mal das Gefühl, "So, jetzt krieg’ ich keine letzte Chance mehr"? Universal ist ja wirklich ein "Major Deal". Wenn man da ordentlich Unterstützung bekommt und dann auch gute Songs schreibt, dann kann es ja auch wirklich klappen. Aber trotzdem, gab es so einen Moment, in dem Sie dachten "Das wird nix mehr"?

    Chima: Es gab ganz viele dieser Momente, aber ich glaube, was mich letztendlich auszeichnet, ohne mir selber auf die Schulter klopfen zu wollen, ist, dass Aufgeben für mich keine Option war und ist. Ich bin in der Zwischenzeit ja Vater geworden und habe mein Kind heranwachsen sehen und wusste, dass der Tag kommt, wo er auf meinem Schoß oder mir gegenüber sitzt und mich fragen wird, wie das damals so war mit der Musik. Und was daraus geworden ist. Und es gab diverse Szenarien. Das eine, was ich mir ausgemalt war, alles läuft super. Oder das Szenario: "Jaaaaa, damals. Ich hätte, wenn es dann Connections ... Aber war nicht. Und Pech. Und das Wetter … Und was auch immer, also alles mögliche an Ausreden angeführt hätte, um ihm ..."

    Elsäßer: Das Leben als Konjunktiv ...

    Chima: Genau, genau! Das Leben als Konjunktiv, sehr schön! Um ihm also zu erklären, dass das nicht hingehauen hat. Und ich glaube, es war mir völlig egal, ob das erfolgreich ist oder nicht. Ich wollte im Stande sein, ihm zu sagen, dass ich alles gegeben habe.

    Elsäßer: Und darum geht’s ja auch in "Morgen", in der Single. Dieses positive Nach-vorne-Gucken. Das ist für mich ein Ohrwurm. Sie wirkt unglaublich logisch auf mich, diese Melodie, so als wäre sie schon immer da gewesen. Und da frage ich mich dann als Nicht-Künstler: Wo weht einen so eine Melodie auf einmal an? Wo kommt die auf einmal her?

    Chima: Das ist ne lustige Begebenheit. Ich war bei meinen Pateneltern in Mömbris [bei Aschaffenburg – die Red.], Tante Erna und Onkel Fritz. Und wir saßen da unten im Keller, mein Manager und ich. Und er hat sich gewünscht, dass ich einen Song schreibe, den ich so eigentlich nicht veröffentlichen würde. Ich sollte also eine ganz hässliche Seite von mir zur Schau stellen. Wir haben dann nach dem Brainstorm-Prinzip alles runtergeschrieben, was mir zu dem Thema einfiel.

    Und ich glaube, genau die Tatsache, dass das eben uneitel war – wir haben uns ja nicht hingesetzt und gesagt, wir schreiben jetzt ne Single die dann irgendwie extrem erfolgreich war, sondern für den Prozess war es gesund, seiner Meinung nach, dass jetzt uneitle Songs entstehen, die dann unter Umständen gar nicht auf dem Album vertreten sind. Aber um diese Haltung zu etablieren, wäre das ein wichtiger Schritt gewesen. Und dann kam dieser Song. Und in der Annahme, das wird eh nie veröffentlicht, habe ich Dinge runtergeschrieben, auch sehr extrem zum Ausdruck gebracht, die mich zu dem Zeitpunkt beschäftigt haben. Und ich glaube, das ist es dann.

    Und die Melodie: Ich glaube, das liegt mir schon, irgendwie gute Melodien zu finden. Da fügte sich das eine zum anderen. Das schöne war, dass die Musik so fröhlich war. Dass ich eine fröhliche Melodie angestimmt hatte. Und da bei mir die Reihenfolge die ist, dass ich nämlich erst die Melodie entwickele und dann die Worte einsetze, hatte ich erst was drauf gesummt, und dann versucht, die Worte aus dem Brainstorm zu setzen. Aber die Melodie war da schon happy.

    Elsäßer: Und wie Sie sich mitteilen, das tun Sie sehr metaphernreich, Sie finden sehr spannende Bilder. Sie spielen auch mit metrischen Varianten. Ist die deutsche Sprache eher wie ein Musikinstrument oder eher wie ein Handwerkszeug?

    Chima: Beides. Ich hab’n Rapper-Background. Hintergrund, wir sind ja beim Deutschlandfunk. Ich habe einen Rapper-Hintergrund und deswegen stand die Sprache für mich von vornherein im Mittelpunkt, der Umgang mit ihr und da auszubaldowern, wie man mit diesem Instrument umgehen kann und dem Emotionen rauskitzelt. Und das fließt natürlich in meine Arbeiten mit ein. Ich glaube, die deutsche Sprache ist mir ein persönliches Anliegen. Ich meine, die Leute können mich jetzt nicht sehen, aber ich habe einen afrikanischen Migrationshintergrund, das heißt, Leute erwarten natürlich von mir nicht gemeinhin, dass ich dieser Sprache mächtig bin.

    Elsäßer: Geschweige denn ein Wort wie "gemeinhin" zu kennen ...

    Chima: Ach so, ja, vielleicht! Und deswegen ist es für mich darüber hinaus auch eine spannende Herausforderung, mit der Sprache so umzugehen, wie der gemeine Deutsch-Deutsche das nicht tut. Ich finde, die deutsche Sprache ist total spannend und ich habe den Anspruch, dem so ein bisschen Seele abzugewinnen.

    Elsäßer: Kommt das, was Sie mit Sprache machen, überwiegend aus diesem Rapper-Hintergrund, oder sind Sie auch ein Viel-Leser, ein Gedichte-Leser, gibt es da Einflüsse?

    Chima: Ja, ich lese, jetzt nicht übertrieben viel, aber ich lese, und selbstverständlich interessiere ich mich für Lyrik im Allgemeinen, weil das mein Handwerkszeug ist. Aber wie schon gesagt: Mein Migrationshintergrund bedingt auch, dass ich die Sprache als ein Instrument verstehe, über das ich... Autorität produziere.

    Elsäßer: Autorität ist ein schönes Stichwort. Es gab da nämlich einen Titel, bei dem ich stutzen musste: "Mariechen". Voll von sexuellen Anspielungen. Ich zitiere mal: "Du willst es bitter, ich soll’s Dir geben, feier jeden Stoß ..." Da habe ich mich dann auch gefragt, was soll das jetzt werden – Sido für Akademiker? Oder ein bewusster Stilbruch?

    Chima: Das ist ein ganz bewusster Stilbruch im Kontext des Albums. Der aber wichtig war. Denn es ist eine Männerfantasie, ich arbeite ja auch mit dem Wortspiel "Mariechen- tanz, Mariechen", also "Tanzmariechen". Was diese Fantasie auszeichnet, ist, dass derjenige, der sie formuliert oder hat, totale Kontrolle hat. Und ich weiß von mir selber und von allen Jungs in meinem Umfeld, dass das mitnichten der Fall ist. Im seltensten Fall hast Du totale Kontrolle und hast da jemanden, ein Objekt, das sich von Dir von links nach rechts schieben lässt und das sich als Objekt versteht. Und dann habe ich lange mit mir gerungen, will ich den Song noch auf das Album draufpacken? Und hatte das Gefühl, zum einen hatte ich es schon mal geschrieben, also muss es irgendwann mal eine Relevanz für mich gehabt haben. Auf mich wirkt der Song. Und gerade einbettet in eine ganze Reihe sehr reflektierter Songs eröffnet der auch noch mal was anderes. Etwas, was ich selbst gar nicht kontrollieren kann. Und an der Reaktion der Leute, vor allen Dingen Frauen, von denen ich überzeugt war, dass sie mich steinigen werden, stelle ich fest, dass die Entscheidung keine falsche war.

    Info:
    Das Album "Stille" ist gerade erschienen, im Sommer tritt Chima bei einigen Konzerten von Tim Bendzko im Vorprogramm auf, vom 19. Oktober bis zum 28. November geht er dann auf Solotournee durch viele deutsche Städte.