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Die Deutschen und die Energiewende
"Industrie zum Weltmeister beim Klimaschutz machen"

Dass 80 Prozent der Bevölkerung den Klimawandel für glaubhaft hielten, sei eine Hausmarke, sagte Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner im Dlf. Die Politik müsse die Menschen jetzt auch mitnehmen, wenn Klimaschutz zu Belastungen führe. Hilfreich könnte dabei die Wertschätzung für die deutsche Industrie sein.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Windräder mit einer Höhe von bis zu 200 Metern drehen sich östlich von Parchim (Mecklenburg-Vorpommern).
Um die Akzeptanz der Deutschen zu Klimaschutzmaßnahmen auch über eine gute Wirtschaftslage hinaus zu erhalten, müsse die Politik schrittweise vorgehen, sagte Meinungsforscher Schöppner im Dlf (dpa-Zentralbild/ JensBüttner)
Jürgen Zurheide: Was denken die Deutschen überhaupt über den Klimaschutz? Und vor allen Dingen: Was verstehen sie darunter und was wollen sie möglicherweise ändern, wenn sie denn was ändern wollen? – Darüber möchte ich reden mit Klaus-Peter Schöppner, dem Meinungsforscher, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Abend, Herr Schöppner!
Klaus-Peter Schöppner: Hallo! – Guten Abend!
Zurheide: Fangen wir mal an. Das Thema hat Konjunktur, kann man wohl sagen. Oder ist das alles ein mediales Phänomen, wenn man das überhaupt so auseinanderhalten kann?
Schöppner: Na ja, beides trifft im Prinzip zu. Das hat natürlich Konjunktur, wenn 75 Prozent der Wähler sagen, das spielt für mich eine große Rolle bei zukünftigen Wahlen. Schon bei der Europawahl haben wir das gespürt. Wenn 80 Prozent die Berichte, die über den Klimawandel dort entstehen, für glaubhaft halten, dann ist das schon eine Hausmarke. Das sind demoskopisch seltene Ergebnisse, da ist was passiert.
Auf der anderen Seite darf man natürlich nicht vergessen, dass es ein Zeitgeist ist, wie alle politischen Themen ja eine Zeitgeist-Konjunktur haben. Es lebt natürlich von den Bildern, die da veröffentlicht werden. Es lebt vom Schülerprotest. So etwas hatten wir in diesem Ausmaß noch nie. Und es lebt natürlich auch davon, dass wir jetzt zwei Sommer mit entsprechender Hitzewelle gehabt haben. Insofern hat das die Glaubwürdigkeit und das Interesse und auch das Engagement der Deutschen beim Klimaschutz schon gestärkt.
Die Grünen - eine Partei der Inhalte
Zurheide: Es gilt ja der schlichte Satz der Europawahl - Sie haben es auch kurz angesprochen - die Europawahlen sind im Wesentlichen so ausgegangen, zumindest in Deutschland, weil dieses Thema die Grünen beflügelt hat. Ist das so eindimensional richtig?
Schöppner: Das ist nicht ganz eindimensional so. Bei den Grünen kam hinzu, dass sie vor den letzten Wahlen als Partei galten, die sich um Inhalte kümmert. Eine Wahl ist immer ein politischer Wettstreit und wenn wir bei der SPD in extremem Ausmaß, aber auch bei der CDU gesehen haben, dass diese Parteien sich vornehmlich um ihre eigenen Parteivorsitzenden, um ihre eigenen Personalien kümmern, dann waren die Grünen schon das Kontrastprogramm.
Tatsache ist aber sicherlich, dass es das Ganze beflügelt hat. Das war glaubwürdig. Und in dem Augenblick, wo die Grünen ein Thema in den Vordergrund stellen und sich in ihren Personen herausnehmen, war das schon ein gelungener Kontrast.
Zurheide: Sie haben es auch schon angesprochen, aber ich will es noch mal vertiefen: so etwas wie Fridays for Future, die Bilder, die geliefert werden, junge Menschen, die auf die Straße gehen. Da passiert etwas und da passiert nicht nur etwas in der jungen Generation, wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe?
Schöppner: Da passiert ausgehend etwas von der jungen Generation. Das hatten wir ja in dem Sinne noch nie, dass sich die jüngere Generation politisch so extrem engagiert hat, und das hat natürlich Spuren hinterlassen bei den Eltern, auch bei den älteren Leuten. Insofern kann man schon von einem wahrscheinlich zeitlich etwas beschränkten Herdentrieb sprechen. Da passt vieles und da kam vieles zusammen.
Zuspruch zum Klimaschutz abhängig von Wirtschaftslage
Zurheide: Auf der anderen Seite die Grundfrage, ich spitze das jetzt mal bewusst zu: Ist das Klimathema ein Luxusthema, was man sich im Moment leisten kann, weil die Wirtschaft noch gut läuft? Oder ist das jetzt eine böse Zuspitzung meinerseits?
Schöppner: Ja, das Thema können wir uns leisten, weil wir immer noch oder bislang zumindest sieben Jahre lang gute Konjunktur gehabt haben. Die Gefahr besteht darin, dass das Ganze umschlägt, und zwar dann, wenn aus diesem sozial erwünschten Thema ein Kosten- und Aufwandsthema entsteht. Möglicherweise haben wir die Rezession vor der Tür und dann wird den Leuten bewusst, dass wir in der Vergangenheit ganz viele Dinge uns geleistet haben, die einfach was kosten. Das ist das Thema Energiewende. Das ist das Thema Sparen. Das ist das Thema Verkehr, Verkehrswende, die möglicherweise auch in Zukunft auf uns zukommt. Das ist das Thema Wohnen. In der Situation, wo wir merken, dass die Debatte in die einseitige Richtung geht und dass die Kostenstrukturen, die Belastungen der Wähler, der Bürger außen vor gelassen wird, dann kann es zu einem Umschwung kommen und dann kann es möglicherweise in eine neue soziale Spaltung enden.
Zurheide: Die Grundfrage ist ja: Sind die Menschen bereit, ihr Verhalten zu ändern? Das ist die eine Frage, ob da eine abstrakte Bereitschaft besteht. Da sagen wahrscheinlich viele ja. Aber wenn es dann konkret wird, sieht es manchmal anders aus. Dann spielen die Kosten eine Rolle. Können wir das auseinanderhalten?
Schöppner: Nein, das kann man nicht auseinanderhalten, weil beides, was Sie sagen, im Prinzip zutrifft. Im Prinzip haben wir eine etwas unehrliche Diskussion. 50 bis 60 Prozent der Bürger geben an, ich habe ein schlechtes Gewissen, und über 60 Prozent geben an, ich möchte was tun, ich möchte mein Verhalten ändern.
Zurheide: Es gibt den wunderbaren Satz, wenn ich Sie unterbrechen darf: Wir sind alle die aufgeklärten Täter.
Schöppner: Das ist gut gesagt! Ich sage gerade noch: 50 Prozent der Bürger sagen auch als Beispiel: Ich möchte meinen Flugverkehr einschränken. Aber wenn wir uns die letzten Fluggast-Zahlen anschauen, dann ist genau das Gegenteil passiert, und insofern gibt es eine ganz große Differenz zwischen dem gewünschten Verhalten, was ich eigentlich machen will, was ich eigentlich machen soll, und der tatsächlichen Realität hinterher, wenn es wirklich zum Schwur kommt.
"Industrie zum Weltmeister in Sachen Klimaschutz machen"
Zurheide: Wenn es denn jetzt dieses Gesamtkonzept demnächst geben wird, dann wird manche Gruppe belastet, andere werden entlastet. Sind wir dann an dem Punkt, wo wir Butter bei die Fische tun, und dann sehen wir, dass es Proteste geben wird? Oder glauben Sie, dass man so eine Stimmung kreieren kann, wir alle müssen uns ändern, so wie Sie es gerade gesagt haben?
Schöppner: Ja, das liegt daran, ob die Politik schlau genug ist, ein paar Grundsatzregeln am 24. September zu realisieren. Eine Grundsatzregel ist die der Ambivalenz, etwas tun, ohne das andere zu lassen. Nichts ist schlimmer als plötzlich eine sehr einseitige politische Fokussierung, nur Klima, Klima, Klima, und die wirtschaftliche Situation außen vor zu lassen. Konkret heißt das folgendes: Wir kriegen eine Akzeptanz in der Bevölkerung auf der einen Seite, wenn wir Anreize geben, anstatt zu verbieten. Was wir auch machen müssen ist nicht nach dem alles oder nichts Prinzip, sondern step by step unsere Klimabedingungen fortschreiten zu lassen. Denn die Deutschen sagen mit recht, wir machen 0,8 Prozent der Weltbevölkerung einerseits aus, ich weiß nicht, vielleicht zweieinhalb Prozent der Wirtschaftskraft. Das ist zwar richtig, wenn wir etwas machen, aber bitte, dann müssen die anderen doch mitziehen. Das kann doch nicht nur zu einer einseitigen Belastung führen. Und das dritte Ziel: Auch das ist etwas, wo man die Deutschen mit packen kann, dass wir der Industrie eine Unterstützung geben. Wir wissen, dass wir mit der Industrie bislang international gut aufgestellt waren. Wir wissen, dass nicht nur die Deutschen, sondern auch andere Länder sich um den Klimaschutz kümmern. Warum sollen wir nicht auch unsere Industrie in Richtung Klimaschutz als Weltmeister weltführend machen?
Wenn das passieren wollte, dann sind die Deutschen bereit, das zu unterstützen. 75 Prozent sind durchaus damit einverstanden, dass Deutschland eine Vorreiterrolle übernimmt. Aber wenn man dann konkret nachfragt, dann verändert sich die Vorreiterrolle in eine eher moderate Vorreiterrolle.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.