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Die Deutschen und ihre Sprache

Es gibt Meldungen, die erregen schon durch ihre Rätselhaftigkeit Interesse. Wie zum Beispiel kommt es, dass heute fast dreimal mehr Deutsche großes Interesse an der Pflege ihrer Sprache haben als vor zehn Jahren? In Zahlen ausgedrückt: 35 statt 13 Prozent. Steckt dahinter ein stärkeres Nationalbewußtsein oder ein stärkeres Sprachbewusstsein?

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Was heißt überhaupt: "Interesse"? Und was "Interesse an der Pflege"? Ludwig Eichinger, der Direktor des Mannheimer Instituts für Deutsche Sprache, das hinter dieser Umfrage steckt, kommentiert das Ergebnis so: "Offenbar sind die Deutschen in ganz erheblichem Maße emotional eins mit ihrer Sprache, was ja gerne mal bestritten wird."

    Tatsächlich würde man gerne mal erfahren, von wem dergleichen bestritten wird, denn die Deutschen haben eine lange Tradition des Zerfallenseins mit vielem, vor allem mit sich selber, aber ihre Sprache war doch stets ein emotional einigendes Band. Das galt schon in der Ära der Kleinstaaterei und es galt genauso während der Zeit der Ost-West-Teilung. Nicht von ungefähr hatte das DDR-Regime gezielt versucht, einen linguistischen Sonderweg zu beschreiten, und wurde bloß von der Sowjetunion zurückgepfiffen mit dem einleuchtenden Argument, man könne ja wohl schlecht von den Russen verlangen, dass sie zwei Sorten Deutsch lernten.

    So erstaunlich ist es also nicht, dass die Deutschen ihre Sprache mögen. Bloß, dass diese von Besorgnis unterlegte Liebe, im vergangenen Jahrzehnt so enorm gewachsen sein soll, bedarf der näheren Betrachtung. In der Tat scheint das Sprachinteresse auf breiter Medienfront zuzunehmen: Es gibt Wettbewerbe um das schönste Wort oder Suchaktionen nach verschwundenen Wörtern, Poetry Slams sind der neue Rock ’n' Roll, und in den Buchhandlungen sorgen nicht nur die eher einfältigen Sprachbetrachtungen eines Bastian Sick, sondern auch jede Menge humoriger Vokabelverzeichnisse für Umsatz.

    Zum Beispiel gibt es eine Buchreihe, die den Übergang von der Wissens- zur Aufmerksamkeitsgesellschaft geradezu exemplarisch markiert. Die Bücher sind gelb und tragen als Verlagsvignette ein großes blaues L. Das stand früher für Langenscheidt, und Langenscheidt bedeutete: Hier gibt es nichts zu lachen. Vokabelnpauken in der Schule, Konversationsgekrampfe im Urlaub und im Alltag ein Regalmeter Referenzmaterial für Fremdsprachen. Langenscheidt war, wie der Duden, ein Inbegriff von schnörkellosem Wissen.

    Doch offenbar leidet man auch bei Langenscheidt unter dem Aufmerksamkeits-Steigerungs-Syndrom. Man hat sich deshalb etwas Schräges einfallen lassen, etwas, womit ein seriöses Unternehmen sofort auffällt, nämlich Blödelei. Und so gibt es jetzt Witz-Wörterbücher mit Titeln wie "Frau – Deutsch / Deutsch – Frau", "Mann – Deutsch / Deutsch – Mann" oder, als neuestes, "Hund – Deutsch / Deutsch – Hund". Das blaue L steht also für lustig. Von Augenzwinkern ist im Verlagsprospekt die Rede. Das Wort Augenzwinkern ist allerdings eines der abschreckendsten in der ganzen Humorindustrie. Augenzwinkern heißt: Komikbremse angezogen. Und wahrhaftig handelt es sich bei diesen Schmunzel-Schriften um gänzlich espritfreies Geschwafel der allerbilligsten Art. "Hund kratzt an der Tür. – Hund meint: ‚Herr Pförtner, bitte öffnen Sie.‘" 130 Seiten auf dem Niveau kosten 9,95 Euro.

    Obwohl das alles mit Sprache nichts zu tun hat, hat es schon deswegen Erfolg, weil es so tut, als ob es mit Sprache zu tun hätte. Denn Sprache steht in Deutschland hoch im Kurs, wie die eingangs erwähnte Umfrage zeigt. Es ist freilich nicht unfrivol, dass diese Meldung ausgerechnet aus dem Institut stammt, welches die sprachzerstörerische Rechtschreibreform maßgeblich mitorganisiert hat. Denn es war doch just dieser Berserkerakt, der die Deutschen im Hinblick auf ihre Sprache so sehr sensibilisiert und sogar alarmiert hat. Wenn die Orthographie zum Jux wird, dann darf man den Wortschatz auch als Gagvorrat betrachten. Anders, und zwar verlegerisch gesagt: was Duden und Wahrig recht ist, das kann Langenscheidt spottbillig sein.