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Zum Tod des Aktionskünstlers Otto Muehl
Die Diktatur der Promiskuität

Seine Verteidiger forderten, Person und künstlerisches Schaffen auseinanderzuhalten. Otto Muehl nutzte diese Freiheit und schuf sich mit Aktionskunst in seiner Wiener Kommune einen Hof, in dem er seine Obsession für das Deftig-Sexuelle auslebte.

Von Beatrix Novy |
    Das Leben des Otto Muehl vom Werk des Otto Muehl zu trennen, fiel schon schwer, als vor zehn Jahren eine Ausstellung im Wiener Museum für Angewandte Kunst geplant wurde: Skandal-Alarm. Diskussionen, Beschimpfungen. Die Ausstellungsmacher beantworteten alle Anwürfe stoisch mit dem Argument, dass Person und künstlerisches Schaffen prinzipiell auseinanderzuhalten seien. Ironischerweise widersprach gerade das Otto Muehls Credo. Er wollte, jedenfalls über lange Zeiträume, Leben und Kunst ausdrücklich in eins fallen lassen.

    Schon seine ersten Materialaktionen in den 60er-Jahren waren verbunden mit psychodramatischen Auftritten: Muehl ließ sich ein- und wieder ausmauern, inszenierte Gruppenaktionen mit provokant sexuellem Charakter und ließ sie filmen.

    Muehls künstlerische Hoch-Zeit war und bleibt der Wiener Aktionismus, denn Action Painting, Körpermalerei und Happening, das alles gab es schon. Aber den Wiener Aktionismus gab es nur im allzu gemütlichen Wien, dem Günter Brus, Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler und eben Otto Muehl eine Wirklichkeit unterhalb der gemütlichen Oberfläche entgegensetzten, aus Blut, Gedärmen, Fäkalien. Muehl hatte den Zweiten Weltkrieg und seine blutigen Schrecken noch als junger Soldat erlebt. Mit Malerei war denen nicht beizukommen.

    1972 gründete Otto Muehl in einer Wiener Großwohnung die Aktionsanalytische Organisation, kurz AA-Kommune genannt, eine Synthese seines künstlerischen Aktionismus und eines wild entworfenen, aber zeitgeistigen Therapiekonzepts, angelehnt an Wilhelm Reich. Zentrales Thema dieses mechanistischen Entladungskults war der kleinfamilien- kurz KF-geschädigte Mensch, der sich vor der Gruppe mittels Selbstdarstellung (SD) alle Hemmungen, die ihn blockieren, von der Seele spielt, heult, kotzt.

    Voraussetzung für die Heilung, deren einzelne Schritte von Muehl akribisch vorgezeichnet waren, war die freie Sexualität, die faktisch eine Diktatur der Promiskuität war: Zeitweise demonstrierten kahl geschorene Köpfe die sexuelle Gleichwertigkeit der Kommunarden. Gefühle wie Eifersucht galten als KF-Schädigung und behandlungsbedürftig. In diesem knallhart hierarchischen System standen Kommunarden mit avanciertem Bewusstsein über den anderen, über allen Otto als absoluter Herrscher. In der Spätphase der Kommune speiste er wie weiland der Sonnenkönig mit seinen Frauen und Kindern, dem privilegierten inneren Kreis, während die niederen Chargen stehend zuschauen durften.
    Kein Problem, denn es war ja alles Spiel. Die Kommune war ein Kunstprojekt. Das pflegte Otto den Gedemütigten zu sagen, alles, auch die Gewalt, war Spiel, also: Kunst. Wer es schaffte, im Spiel, in der emotionalen Selbstdarstellung zu brillieren, kam nach oben.
    Was Muehl in der Fortsetzung seiner aktionistischen Phase am Friedrichshof betrieb, war die Verdrehung von Kunst und Leben im Dienst der Machterhaltung. Totalität der Kunst schlug um in Totalitarismus. Das zeigte auch die dokumentarische Wut, mit der alles und jedes auf dem Friedrichshof aufgezeichnet wurde. Auf diesen Aufzeichnungen kann man auch Otto sehen, wie er malt: Denn zur Malerei fand er zurück in den Erfolgsjahren der Kommune. Da wirft er, unter dem Beifall der Anhänger, die Farben auf die Leinwand, mit großer wilder Geste.
    Otto Muehl hat nicht aufgehört zu malen, bis zum Schluss. Ob im Gefängnis oder im Kreis seiner verbliebenen Kommune-Familie in Portugal. Seine Bilder erinnern stilistisch an viele und vieles, an Warhol, Cézanne, Haring. Was nie fehlte, war die Obsession mit dem Deftig-Sexuellen, an deren Funktion als Tabubruch er immer noch glaubte; irgendwie mochte sie auch mit seiner bäuerlich-burgenländischen Herkunft zusammenhängen. Diese immerwährende Obsession hatte ihn ins Gefängnis gebracht, als herauskam, dass er seine Stellung als Oberhaupt genutzt hatte, auch die Kinder der Kommune in die Sexualität einzuführen.
    Richtig eingesehen hat er das nie. Er habe die Kinder nicht kränken wollen, weiter war er in seiner Entschuldigung nicht gegangen. Kränken ist ein zu schwaches Wort, um glaubhaft zu klingen.