Gibt es einen freien Willen, lernt der Mensch aus der Geschichte, gibt es die Evolution des Geistes oder wenigstens vorausschauende Vernunft? Harald Welzer meint: Nein! Und das Traurige ist, er kann sehr gut belegen warum. Warum Menschen in der Vergangenheit Konflikte blutig und brutal ausgetragen haben, und warum wir damit rechen müssen dass es auch in Zukunft so bleibt:
"Sollte man vor dem Panorama der zahllosen historischen Beispiele der Herstellung von Tötungsbereitschaft nicht eher davon ausgehen, dass der Holocaust die Wahrscheinlichkeit erhöht hat, dass solche Dinge erneut vorkommen? 1994 hat es in Ruanda die Bevölkerungsmehrheit für sinnvoll gehalten, innerhalb von drei Wochen 800.000 Tutsi zu töten."
Der Essener Sozialpsychologe nimmt den Leser mit auf einen ungemütlichen Exkurs durch die europäische Geschichte der Kolonialzeit, leuchtet die tiefsten Abgründe der deutschen Geschichte taghell aus und belegt mit mannigfaltigen Beispielen, dass Völkermord oder ethnische Säuberung kein Gräuel der Vergangenheit sind, sondern so aktuell wie zuvor. Nur dass sie ein wenig aus dem westeuropäischen Fokus geraten sind. Wie überhaupt laut Welzer einiges aus dem europäischen Gedächtnis geraten ist:
"Die gnadenlose Brutalität, mit der die frühchristlichen Länder damals ihren Hunger nach Rohstoffen, nach Land und Macht zu befriedigen suchten, ist den heutigen Verhältnissen in den westlichen Ländern nicht mehr abzulesen. Die Erinnerung an Ausbeutung, Sklaverei und Vernichtung ist einer demokratischen Amnesie zum Opfer gefallen, als seien die Staaten des Westens immer schon so gewesen wie jetzt, obwohl ihr Reichtum wie ihr Machtvorsprung auf eine mörderische Geschichte gebaut ist."
Dabei erklärt Welzer nicht nur die Mechanismen der nationalen Verdrängung, sondern auch die der individuellen, den menschlichen Mechanismus die eigene Schuld auf das Kollektiv abzuwälzen:
"In der Tat ist das hervorstechende und deprimierende gemeinsame Merkmal von Täteraussagen im Zusammenhang von Massenmorden, dass eine persönliche Zurechnung von Schuld nirgendwo vorkommt, dagegen aber regelmäßig eine ostentative Darstellung dessen, dass man gegen seinen eigenen Willen und gegen sein eigenes Empfinden in die Lage gekommen war, grauenhafte Dinge zu tun."
Harald Welzer analysiert schonungslos, wie Selbstbetrug funktioniert, wie Menschen auch mörderische Handlungen in einen Referenzrahmen stecken, in dem ihr Vergehen sinnvoll erscheint. Und nachdem wir die ersten Kapitel der Klimakriege mit einem sehr unguten Gefühl im Magen und zugeschnürter Kehle gelesen haben, kommt der Querdenker aus Essen zu dem Schluss:
"dass die sozialen Katastrophen des 20. Jahrhunderts in aller Deutlichkeit gezeigt haben, dass ethnische Säuberung und Völkermord keine Abweichung vom Pfad der Moderne darstellen. "
Und einige Seiten weiter heißt es:
"Der Klimawandel wird zu einer Häufung sozialer Katastrophen führen."
Wobei wir dann endgültig beim Thema wären. Was passiert, wenn lebenswichtige Ressourcen zu einem immer knapperen Gut werden? Wenn das Wasser in immer mehr Regionen versiegt? Wohin werden die gehen, die aus ihrem ausgemergelten Boden nichts mehr holen, die vergeblich auf Regen warten, so wie dieser Bauer im äthiopischen Hochland:
"Wir hatten immer moderate Temperaturen, aber jetzt ist es hier heiß. Früher gab es hier alle zwölf Monate eine Regenzeit, heute fällt sie ständig aus. Die Leute hungern."
Den afrikanischen Kontinent treffen die Auswirkungen des Klimawandels besonders hart: Die Ausbreitung der Wüsten in den einen Regionen und die heftigen Wettereignisse wie Stürme und kurze Starkregen an anderer Stelle treffen die Ärmsten der Armen. Wer kann, flieht. Nur wohin? Die Wege beziehungsweise die Grenzen werden von Welzer nachgezeichnet. Besonders die Grenzen können uns Europäern die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Denn der Autor konfrontiert den Leser nicht nur mit der wenig rühmlichen Vergangenheit der Deutschen und anderer europäischer Nationen, sondern bewegt sich ebenso kenntnisreich in den aktuellen Krisenherden und den Fallstricken der europäischen Sicherheitspolitik:
Stichwort Frontex. Welzer sieht keinen Grund, warum der Strom der Flüchtlinge, der vor Krieg, Dürre und Hunger in die wohlhabenden Staaten Europas will, warum dieser Strom abnehmen soll. Dass den reichen Ländern des Nordens zu diesem Konflikt nicht viel mehr einfällt, als die Grenzen noch höher zu ziehen, beklagt der Sozialpsychologe zu recht: Allerdings ist ihm das Problem nicht allein bewusst. Bundesentwicklungsministerin Heidenmarie Wieczorek-Zeul:
"Der Klimawandel ist heute das Sicherheitsrisiko Nummer eins der Menschheit. Wer heute nicht in die Folgen des Klimawandel investiert, der wird morgen schon von Folgen des Klimawandels eingeholt. Von den Wirtschaftskrisen in vielen Teilen der Welt und auch von den Folgen der wachsenden Migration."
Was die Bundesentwicklungsministerin schildert, belegt Welzer mit Fakten, zählt auf, wo die Flüsse versiegen, die Bodenfruchtbarkeit abnimmt und grenzüberschreitende Ressourcenkonflikte stattfinden. Er schildert, wie die Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, zum Beispiel durch den Bau von Dämmen, zu Auseinandersetzungen - schlimmstenfalls kriegerischen Auseinandersetzungen – führen: zwischen dem Land, das das Wasser staut und dem Nachbarn, der auf dem Trockenen sitzt. Welzer erklärt auch, warum in Darfur der erste Klimakrieg tobt:
"Bislang sind zwischen 200.000 und 500.000 Einwohner von Darfur militarisierten Gruppen zum Opfer gefallen. Auch diesem Völkermord gingen Massaker voraus. Aber spätestens seit der Hungerkatastrophe, die das Land 1984 heimsuchte, ist seine Gewaltgeschichte eng mit ökologischen Problemen verknüpft. "
"Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird" ist aber viel mehr als eine kenntnisreiche Auflistung der gegenwärtigen und zukünftigen Krisenherde. Es ist eine vielschichtige gesellschaftspolitische Analyse. Ein Buch, in dem der Klimawandel nicht nur eindimensional naturwissenschaftlich behandelt wird, sondern als kulturelles Problem verstanden wird. Ein interdisziplinärer Exkurs, rasant, intelligent und erschütternd.
Allein der Anhang zeigt schon den weiten Horizont des Sozialpsychologen. Wie raffiniert er all diese Sachkenntnis verweben kann, beweisen die 300 Seiten davor. Welzer hat eine große Begabung, die richtigen Fragen zu stellen. Man kann ihm vorwerfen, dass auch er wenig Antworten liefert auf die sozialen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Man kann es ihm vorwerfen. Man kann aber auch einfach auf das nächste Buch von Harald Welzer warten.
Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2008, 19,90 Euro
"Sollte man vor dem Panorama der zahllosen historischen Beispiele der Herstellung von Tötungsbereitschaft nicht eher davon ausgehen, dass der Holocaust die Wahrscheinlichkeit erhöht hat, dass solche Dinge erneut vorkommen? 1994 hat es in Ruanda die Bevölkerungsmehrheit für sinnvoll gehalten, innerhalb von drei Wochen 800.000 Tutsi zu töten."
Der Essener Sozialpsychologe nimmt den Leser mit auf einen ungemütlichen Exkurs durch die europäische Geschichte der Kolonialzeit, leuchtet die tiefsten Abgründe der deutschen Geschichte taghell aus und belegt mit mannigfaltigen Beispielen, dass Völkermord oder ethnische Säuberung kein Gräuel der Vergangenheit sind, sondern so aktuell wie zuvor. Nur dass sie ein wenig aus dem westeuropäischen Fokus geraten sind. Wie überhaupt laut Welzer einiges aus dem europäischen Gedächtnis geraten ist:
"Die gnadenlose Brutalität, mit der die frühchristlichen Länder damals ihren Hunger nach Rohstoffen, nach Land und Macht zu befriedigen suchten, ist den heutigen Verhältnissen in den westlichen Ländern nicht mehr abzulesen. Die Erinnerung an Ausbeutung, Sklaverei und Vernichtung ist einer demokratischen Amnesie zum Opfer gefallen, als seien die Staaten des Westens immer schon so gewesen wie jetzt, obwohl ihr Reichtum wie ihr Machtvorsprung auf eine mörderische Geschichte gebaut ist."
Dabei erklärt Welzer nicht nur die Mechanismen der nationalen Verdrängung, sondern auch die der individuellen, den menschlichen Mechanismus die eigene Schuld auf das Kollektiv abzuwälzen:
"In der Tat ist das hervorstechende und deprimierende gemeinsame Merkmal von Täteraussagen im Zusammenhang von Massenmorden, dass eine persönliche Zurechnung von Schuld nirgendwo vorkommt, dagegen aber regelmäßig eine ostentative Darstellung dessen, dass man gegen seinen eigenen Willen und gegen sein eigenes Empfinden in die Lage gekommen war, grauenhafte Dinge zu tun."
Harald Welzer analysiert schonungslos, wie Selbstbetrug funktioniert, wie Menschen auch mörderische Handlungen in einen Referenzrahmen stecken, in dem ihr Vergehen sinnvoll erscheint. Und nachdem wir die ersten Kapitel der Klimakriege mit einem sehr unguten Gefühl im Magen und zugeschnürter Kehle gelesen haben, kommt der Querdenker aus Essen zu dem Schluss:
"dass die sozialen Katastrophen des 20. Jahrhunderts in aller Deutlichkeit gezeigt haben, dass ethnische Säuberung und Völkermord keine Abweichung vom Pfad der Moderne darstellen. "
Und einige Seiten weiter heißt es:
"Der Klimawandel wird zu einer Häufung sozialer Katastrophen führen."
Wobei wir dann endgültig beim Thema wären. Was passiert, wenn lebenswichtige Ressourcen zu einem immer knapperen Gut werden? Wenn das Wasser in immer mehr Regionen versiegt? Wohin werden die gehen, die aus ihrem ausgemergelten Boden nichts mehr holen, die vergeblich auf Regen warten, so wie dieser Bauer im äthiopischen Hochland:
"Wir hatten immer moderate Temperaturen, aber jetzt ist es hier heiß. Früher gab es hier alle zwölf Monate eine Regenzeit, heute fällt sie ständig aus. Die Leute hungern."
Den afrikanischen Kontinent treffen die Auswirkungen des Klimawandels besonders hart: Die Ausbreitung der Wüsten in den einen Regionen und die heftigen Wettereignisse wie Stürme und kurze Starkregen an anderer Stelle treffen die Ärmsten der Armen. Wer kann, flieht. Nur wohin? Die Wege beziehungsweise die Grenzen werden von Welzer nachgezeichnet. Besonders die Grenzen können uns Europäern die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Denn der Autor konfrontiert den Leser nicht nur mit der wenig rühmlichen Vergangenheit der Deutschen und anderer europäischer Nationen, sondern bewegt sich ebenso kenntnisreich in den aktuellen Krisenherden und den Fallstricken der europäischen Sicherheitspolitik:
Stichwort Frontex. Welzer sieht keinen Grund, warum der Strom der Flüchtlinge, der vor Krieg, Dürre und Hunger in die wohlhabenden Staaten Europas will, warum dieser Strom abnehmen soll. Dass den reichen Ländern des Nordens zu diesem Konflikt nicht viel mehr einfällt, als die Grenzen noch höher zu ziehen, beklagt der Sozialpsychologe zu recht: Allerdings ist ihm das Problem nicht allein bewusst. Bundesentwicklungsministerin Heidenmarie Wieczorek-Zeul:
"Der Klimawandel ist heute das Sicherheitsrisiko Nummer eins der Menschheit. Wer heute nicht in die Folgen des Klimawandel investiert, der wird morgen schon von Folgen des Klimawandels eingeholt. Von den Wirtschaftskrisen in vielen Teilen der Welt und auch von den Folgen der wachsenden Migration."
Was die Bundesentwicklungsministerin schildert, belegt Welzer mit Fakten, zählt auf, wo die Flüsse versiegen, die Bodenfruchtbarkeit abnimmt und grenzüberschreitende Ressourcenkonflikte stattfinden. Er schildert, wie die Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, zum Beispiel durch den Bau von Dämmen, zu Auseinandersetzungen - schlimmstenfalls kriegerischen Auseinandersetzungen – führen: zwischen dem Land, das das Wasser staut und dem Nachbarn, der auf dem Trockenen sitzt. Welzer erklärt auch, warum in Darfur der erste Klimakrieg tobt:
"Bislang sind zwischen 200.000 und 500.000 Einwohner von Darfur militarisierten Gruppen zum Opfer gefallen. Auch diesem Völkermord gingen Massaker voraus. Aber spätestens seit der Hungerkatastrophe, die das Land 1984 heimsuchte, ist seine Gewaltgeschichte eng mit ökologischen Problemen verknüpft. "
"Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird" ist aber viel mehr als eine kenntnisreiche Auflistung der gegenwärtigen und zukünftigen Krisenherde. Es ist eine vielschichtige gesellschaftspolitische Analyse. Ein Buch, in dem der Klimawandel nicht nur eindimensional naturwissenschaftlich behandelt wird, sondern als kulturelles Problem verstanden wird. Ein interdisziplinärer Exkurs, rasant, intelligent und erschütternd.
Allein der Anhang zeigt schon den weiten Horizont des Sozialpsychologen. Wie raffiniert er all diese Sachkenntnis verweben kann, beweisen die 300 Seiten davor. Welzer hat eine große Begabung, die richtigen Fragen zu stellen. Man kann ihm vorwerfen, dass auch er wenig Antworten liefert auf die sozialen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Man kann es ihm vorwerfen. Man kann aber auch einfach auf das nächste Buch von Harald Welzer warten.
Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2008, 19,90 Euro