Wenn Karlheinz Deschner gegen Kirchen und Christentum zu Felde zieht, dann tut er das nicht mit der Stimme der Sanftheit und Ausgewogenheit. Ganz im Gegenteil. Deschner sticht, schießt, grollt und wütet sich durch 2000 Jahre Christentum – mit einer emotionalen, lodernden Sprache, die dem Leser in die Glieder und schließlich in den Verstand fahren soll. Im Schlusswort des gerade erschienenen zehnten Bandes der "Kriminalgeschichte des Christentums" klingt das so:
"Wo sonst gibt es diese atemverschlagende Mischung von Wolfsgeheul und Friedensschalmei, Weihnachtsbotschaft und Scheiterhaufen, von Heiligenlegende und Henkersgeschichte! Wo sonst dies allumfassende Liebespalaver und den praktisch alles verschlingenden Hass! Wo sonst eine Religion, die aus Liebe tötet, aus Liebe foltert, aus Liebe raubt, erpresst, entehrt, verteufelt und verdammt!"
Dieser Ausschnitt, von Deschner selbst gelesen, steht exemplarisch für seine Art der Geschichtsschreibung. Sie steht eher in der Tradition von Aufklärern und Vernunftbegabten wie Voltaire oder Nietzsche als in der Tradition der abstrakten Historiografie. Für Deschner ist die Sprache der treibende Motor seiner Empörung gegen moralische Fehlleistungen einer Religion, die sich eigentlich als Predigerin der Barmherzigkeit versteht. Man spürt förmlich, wie Deschner mit jedem Wort, mit jedem Satz seine Auflehnung und Aufregung befeuert, sich hineingräbt in die Verbrechen und so zu diesem aufschreiartigen Ton kommt, der sich aus Enttäuschung, Wut und Trauer speist.
Diese Art der lauten, verdammenden Kritik an Missständen und christlichem Versagen hat man Deschner häufig vorgeworfen. Leser und Gläubige beschimpften ihn als "Antichristen" oder "Oberteufel". Er sei einseitig und parteiisch, hieß es von denen, die sich ernsthafter mit Deschners Arbeit auseinandersetzten. Aber Einseitigkeit und Stellungnahme hat er in der Einleitung der "Kriminalgeschichte" bereits selbst als die Maximen seines Arbeitens festgelegt. Dort heißt es:
"Ich schreibe ‚aus Feindschaft‘. Denn die Geschichte derer, die ich beschreibe, hat mich zu ihrem Feind gemacht. Und nicht, weil ich nicht, was auch wahr ist, geschrieben habe, bin ich widerlegt. Widerlegt bin ich nur, wenn falsch ist, was ich schrieb."
Unterstützer geben an, dass man Deschner noch nie einen Fehler nachweisen konnte. Sicher kann man Deschner einen zu laxen Umgang mit der Quellenkritik vorwerfen und auch seine Urteile wirken manchmal etwas zu zugespitzt. Andererseits stammen die angeführten Fakten aus den Arbeiten namhafter Theologen und Historiker, die sich mit Quellenkritik auskennen sollten. Deschners Verdienst ist es, diese Fakten aus den Gruben der Unkenntnis befreit zu haben. Es sind Fakten, die die düstere Seite des Christentums aufzeigen. Wer sich über die christliche Heilsgeschichte informieren will, muss andere Bücher ergänzend heranziehen.
Und so sollte man auch Deschners abschließenden Band lesen, der mit etwas mehr als 300 Seiten vergleichsweise schmal ausgefallen ist. Möglicherweise liegt das auch an der Ermüdung eines fast Neunzigjährigen. Die Verquickung von Religion, Kirche und Staat in der europäischen Staatenwelt des 18. Jahrhunderts macht der Pazifist Deschner zu einem der Leitfäden im finalen Band der "Kriminalgeschichte":
"Es war, woraus Geschichte, politische Geschichte, in hohem Grade besteht, worauf sie letzten Endes immer hinausläuft, ein unentwegtes Konkurrieren, ein stetes Hintergehen, Tricksen, Täuschen, Verträgeschließen und Verträgebrechen, ein Halsabschneiden im übertragenen, im buchstäblichen Sinn, ein fortgesetzter Mord und Totschlag im Dienste also jener hohen, höchsten, von Gottes Gnaden des Menschen vorgesetzten Obrigkeiten."
Hier ist Deschner in seinem Element der Herrschaftskritik. Die Gefahr in dem von Deschner fortlaufend, auch häufig holzschnittartig beschriebenen Blut- und Machtrausch im Namen des Glaubens ist, dass er ermüdend wirken kann und nicht etwa aufrüttelnd. So ist es auch im zehnten Band, der an manchen Stellen die leidenschaftliche Lust vermissen lässt, mit der es Deschner ansonsten vermag, die Scheinheiligkeit von Heiligen und Herrschern zu entlarven. Deschner schildert die Kriege der Neuzeit in Skandinavien, religiös motivierte Kriege Europas, das orthodoxe Zarenreich, um schließlich den Niedergang des Papsttums im 18. Jahrhundert zu beschreiben. Der Band endet mit einem Kapitel, das sich mit der Armut im absolutistischen Zeitalter beschäftigt. Hier, als Anwalt der von der Geschichte vergessenen Massen, läuft Deschner wieder zur Hochform auf.
"Verschärft wird das Elend durch immer wieder wütende Hungersnöte … Die Menschen essen Katzen, Mäuse, andere Tiere – und Menschen. … Andere graben verendete Hunde und Pferde aus der Erde, um den Hunger zu stillen."
Deschners lustvoller Feldzug in zehn Bänden mit über 6000 Seiten und über 100.000 Quellenbelegen mag heute niemanden mehr auf die Barrikaden bringen. Als Deschner mit seiner Kirchenkritik begann, war das anders. Die junge, durch Adenauer katholisch geprägte Bundesrepublik bot Deschner genug Angriffs- und Aufklärungsfläche. Schließlich war der Franke selbst als Katholik aufgewachsen und hatte sich, wie er sagt, dann wegen der Widersprüche zwischen Anspruch und Realität im Christentum zum Gegner und Agnostiker gewandelt. Als die Gläubigen in den Achtzigern begannen, den Kirchen wegzulaufen, lieferte Deschner ihnen die Argumente. Heute ist es stiller geworden um diesen außergewöhnlichen Publizisten. Man mag vieles fragwürdig finden an Deschners allzu teilnehmender Geschichtsschreibung. Doch dieser streitbare Autor erinnert auch daran, wie wichtig alternative Sichtweisen für eine lebendige Kultur sein können.
Karlheinz Deschner: "Kriminalgeschichte des Christentums. Band 10: 18. Jahrhundert und Ausblick auf die Folgezeit. Könige von Gottes Gnaden und Niedergang des Papsttums." Rowohlt Verlag, 320 Seiten, 22. 95 Euro. ISBN: 978-3-498-01331-8.
"Wo sonst gibt es diese atemverschlagende Mischung von Wolfsgeheul und Friedensschalmei, Weihnachtsbotschaft und Scheiterhaufen, von Heiligenlegende und Henkersgeschichte! Wo sonst dies allumfassende Liebespalaver und den praktisch alles verschlingenden Hass! Wo sonst eine Religion, die aus Liebe tötet, aus Liebe foltert, aus Liebe raubt, erpresst, entehrt, verteufelt und verdammt!"
Dieser Ausschnitt, von Deschner selbst gelesen, steht exemplarisch für seine Art der Geschichtsschreibung. Sie steht eher in der Tradition von Aufklärern und Vernunftbegabten wie Voltaire oder Nietzsche als in der Tradition der abstrakten Historiografie. Für Deschner ist die Sprache der treibende Motor seiner Empörung gegen moralische Fehlleistungen einer Religion, die sich eigentlich als Predigerin der Barmherzigkeit versteht. Man spürt förmlich, wie Deschner mit jedem Wort, mit jedem Satz seine Auflehnung und Aufregung befeuert, sich hineingräbt in die Verbrechen und so zu diesem aufschreiartigen Ton kommt, der sich aus Enttäuschung, Wut und Trauer speist.
Diese Art der lauten, verdammenden Kritik an Missständen und christlichem Versagen hat man Deschner häufig vorgeworfen. Leser und Gläubige beschimpften ihn als "Antichristen" oder "Oberteufel". Er sei einseitig und parteiisch, hieß es von denen, die sich ernsthafter mit Deschners Arbeit auseinandersetzten. Aber Einseitigkeit und Stellungnahme hat er in der Einleitung der "Kriminalgeschichte" bereits selbst als die Maximen seines Arbeitens festgelegt. Dort heißt es:
"Ich schreibe ‚aus Feindschaft‘. Denn die Geschichte derer, die ich beschreibe, hat mich zu ihrem Feind gemacht. Und nicht, weil ich nicht, was auch wahr ist, geschrieben habe, bin ich widerlegt. Widerlegt bin ich nur, wenn falsch ist, was ich schrieb."
Unterstützer geben an, dass man Deschner noch nie einen Fehler nachweisen konnte. Sicher kann man Deschner einen zu laxen Umgang mit der Quellenkritik vorwerfen und auch seine Urteile wirken manchmal etwas zu zugespitzt. Andererseits stammen die angeführten Fakten aus den Arbeiten namhafter Theologen und Historiker, die sich mit Quellenkritik auskennen sollten. Deschners Verdienst ist es, diese Fakten aus den Gruben der Unkenntnis befreit zu haben. Es sind Fakten, die die düstere Seite des Christentums aufzeigen. Wer sich über die christliche Heilsgeschichte informieren will, muss andere Bücher ergänzend heranziehen.
Und so sollte man auch Deschners abschließenden Band lesen, der mit etwas mehr als 300 Seiten vergleichsweise schmal ausgefallen ist. Möglicherweise liegt das auch an der Ermüdung eines fast Neunzigjährigen. Die Verquickung von Religion, Kirche und Staat in der europäischen Staatenwelt des 18. Jahrhunderts macht der Pazifist Deschner zu einem der Leitfäden im finalen Band der "Kriminalgeschichte":
"Es war, woraus Geschichte, politische Geschichte, in hohem Grade besteht, worauf sie letzten Endes immer hinausläuft, ein unentwegtes Konkurrieren, ein stetes Hintergehen, Tricksen, Täuschen, Verträgeschließen und Verträgebrechen, ein Halsabschneiden im übertragenen, im buchstäblichen Sinn, ein fortgesetzter Mord und Totschlag im Dienste also jener hohen, höchsten, von Gottes Gnaden des Menschen vorgesetzten Obrigkeiten."
Hier ist Deschner in seinem Element der Herrschaftskritik. Die Gefahr in dem von Deschner fortlaufend, auch häufig holzschnittartig beschriebenen Blut- und Machtrausch im Namen des Glaubens ist, dass er ermüdend wirken kann und nicht etwa aufrüttelnd. So ist es auch im zehnten Band, der an manchen Stellen die leidenschaftliche Lust vermissen lässt, mit der es Deschner ansonsten vermag, die Scheinheiligkeit von Heiligen und Herrschern zu entlarven. Deschner schildert die Kriege der Neuzeit in Skandinavien, religiös motivierte Kriege Europas, das orthodoxe Zarenreich, um schließlich den Niedergang des Papsttums im 18. Jahrhundert zu beschreiben. Der Band endet mit einem Kapitel, das sich mit der Armut im absolutistischen Zeitalter beschäftigt. Hier, als Anwalt der von der Geschichte vergessenen Massen, läuft Deschner wieder zur Hochform auf.
"Verschärft wird das Elend durch immer wieder wütende Hungersnöte … Die Menschen essen Katzen, Mäuse, andere Tiere – und Menschen. … Andere graben verendete Hunde und Pferde aus der Erde, um den Hunger zu stillen."
Deschners lustvoller Feldzug in zehn Bänden mit über 6000 Seiten und über 100.000 Quellenbelegen mag heute niemanden mehr auf die Barrikaden bringen. Als Deschner mit seiner Kirchenkritik begann, war das anders. Die junge, durch Adenauer katholisch geprägte Bundesrepublik bot Deschner genug Angriffs- und Aufklärungsfläche. Schließlich war der Franke selbst als Katholik aufgewachsen und hatte sich, wie er sagt, dann wegen der Widersprüche zwischen Anspruch und Realität im Christentum zum Gegner und Agnostiker gewandelt. Als die Gläubigen in den Achtzigern begannen, den Kirchen wegzulaufen, lieferte Deschner ihnen die Argumente. Heute ist es stiller geworden um diesen außergewöhnlichen Publizisten. Man mag vieles fragwürdig finden an Deschners allzu teilnehmender Geschichtsschreibung. Doch dieser streitbare Autor erinnert auch daran, wie wichtig alternative Sichtweisen für eine lebendige Kultur sein können.
Karlheinz Deschner: "Kriminalgeschichte des Christentums. Band 10: 18. Jahrhundert und Ausblick auf die Folgezeit. Könige von Gottes Gnaden und Niedergang des Papsttums." Rowohlt Verlag, 320 Seiten, 22. 95 Euro. ISBN: 978-3-498-01331-8.