"Das sind natürlich die Erfahrungen, die die Jungens jetzt hier im scharfen Schuss sammeln können und auch nur dort. Das kann einem kein Simulator zeigen."
Ein Truppenübungsplatz in der Nähe von Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion im Nordirak. Kurdische Peschmerga sammeln sich vor ihren deutschen Ausbildern. Viele dieser Kämpfer wurden in den letzten Monaten bereits mit dem deutschen Sturmgewehr G36, mit deutschen Pistolen und Maschinengewehren ausgerüstet. Doch nicht nur Handfeuerwaffen wurden zu Hunderten an die Kurden geliefert. Kriegsentscheidend könnten vor allem panzerbrechende Waffen sein, sagt Oberstleutnant Torsten Stephan, Sprecher der Bundeswehr in Erbil:
"Gerade die Milan-Rakete ist sehr schnell an die Front gegangen. Weil gerade dort die Gefährdung durch Selbstmordattentäter enorm groß war. Die Bundesrepublik Deutschland hat darüber hinaus entschieden, dass man nicht nur Waffen liefert, sondern gleichzeitig, dass man die Peschmerga dort einweisen muss, damit sie sie auch adäquat anwenden können."
"Wir sind aller Welt Freunde und wollen kein anderes Land erobern"
Olivfarbene Tarnuniformen, Baretts in grün, braun oder rot. Die Kurden sehen zwar wie eine reguläre Armee aus. Sie lassen sich aber jeweils einer von zwei großen Parteien zuordnen, die in der nordirakischen Autonomieregion das Sagen haben: entweder der Kurdisch Demokratischen Partei, KDP, von Kurdenpräsident Mustafa Barzani. Oder der Patriotischen Union Kurdistans, PUK von Jalal Talabani.
Diejenigen Peschmerga, die die deutschen Soldaten gerade auf dem Truppenübungsplatz ausbilden, gehören zur Gruppe Jalal Talabanis. Ihr Kommandeur, General Mahmud Sangawi ist ein hochrangiges Mitglied im Politbüro der PUK. Er residiert im benachbarten Suleymaniah in einer schwer bewachten Villa, umgeben von kostbaren Antiquitäten.
"Ob Iraner, Deutsche, Briten oder Amerikaner: Wir danken allen, die uns Waffen schicken. Wir sind aller Welt Freunde und wollen kein anderes Land erobern. Unser Ziel ist der Erhalt von Freiheit und Demokratie, ein friedliches Zusammenleben. Dafür kämpfen wir. Für Religionsfreiheit und freie politische Meinungsäußerung."
General Sangawi macht kurzen Prozess
Hört sich zunächst nachvollziehbar an bei einem Gegner wie dem sogenannten Islamischen Staat IS. Ein Gegner, der Menschen köpft, nur weil sie einen anderen Glauben oder andere Überzeugungen haben; der Frauen versklavt und das Kulturerbe der Menschheit vernichtet. Doch Peschmerga-Kommandeur General Sangawi kann auch ganz anders klingen.
"Wenn die Zeitschrift morgen veröffentlicht wird, stecke ich deinen Kopf ins Grab deines Vaters, du Hurensohn!"
So drohte er dem kurdischen Journalisten Kawa Garmyani, der einen kritischen Artikel über ihn geschrieben hatte. Der junge Reporter schnitt den Anruf mit. Ein paar Monate später war er tot, regelrecht hingerichtet durch mehrere gezielte Schüsse, die ihn im Eingang seines Hauses trafen. Seine Witwe, Sheirin Amin, macht General Sangawi und die PUK-Führung für den Mord verantwortlich.
"Mein Mann Kawa Garmyani hat fast zehn Jahre als Journalist gearbeitet. In seinen Artikeln kritisierte er immer wieder die Verantwortlichen in dieser Autonomieregion. Leute, die uns regieren, die aber ihre Macht nur für die eigenen Interessen nutzen."
Aufgrund der eindeutigen Morddrohung kam General Sangawi zwar in Untersuchungshaft. Aus Mangel an Beweisen wurde er aber freigesprochen. Und so befehligt er weiter die deutsch ausgebildeten Soldaten an der Front. Im Hinterland geht inzwischen der Terror von Sympathisanten der PUK, der Patriotischen Union Kurdistans, gegen die Familie Garmyani weiter: Anrufe, SMS-Botschaften oder Zettel, die man unter der Haustür durchschiebt.
"Darin steht, dass wir aufhören sollen, über diesen Mord zu sprechen. Ansonsten würden wir alle wie mein Mann ins Jenseits befördert."
Auch der Barzani-Clan reagiert hart auf Kritik
Rund um Erbil herrscht der andere der beiden einflussreichen kurdischen Feudalclans, die Barzani-Familie. Auch Mustafa Barzani gehört ihr an, der Präsident der kurdischen Autonomieregion. Die Kritik an den Barzanis wurde Karzan Karim Mohammed zum Verhängnis. Der Angestellte am Flughafen von Erbil hatte öffentlich von schwarzen Kassen beim Bau des neuen Terminals gesprochen. Über Gelder, die im Klientel-Netzwerk des Kurdenpräsidenten versickert sein sollen. Barzanis Geheimdienst verhaftete ihn kurz darauf und ließ ihn monatelang in einem Geheimgefängnis verschwinden.
"Ich wurde mit einem Stromkabel geschlagen, die Hände und Füße wurden mir zusammengebunden, dann ging es los. Auf die Füße, auf den Kopf. Dann haben sie mich in die Sonne gestellt. Später haben sie gleißendes Licht auf mich gerichtet, und ich musste immer die Augen offen halten. Es waren die selben Methoden, die früher auch das Saddam-Hussein-Regime gegen die Kurden angewandt hatte."
Methoden, die auch denen des feindlichen IS nur wenig nachstehen. Allerdings: Die kurdische Regionalregierung streitet die Existenz von Folter und von Geheimgefängnissen ab. Doch kurdische Oppositionelle fragen sich: Wie und wo werden die aus Deutschland gelieferten Waffen eigentlich eingesetzt? Auch bei den Parasten, dem kurdischen Geheimdienst, der nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen Regimekritiker vorgeht?. Was wird in einigen Jahren mit den deutschen Panzerfäusten, Gewehren und Pistolen passieren? Werden sie gegen die Kritiker aus der eigenen Bevölkerung eingesetzt oder vielleicht sogar in Flügelkämpfen zwischen den zwei großen Familien, so wie sie vor einigen Jahren schon stattgefunden haben?