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Die Einheit bröckelt

Ist Anders Behring Breivik, der Attentäter von Utöya, schuldfähig oder nicht? Mit der Klärung dieser Frage verbindet sich in Norwegen auch die Hoffnung, das tragischste Kapitel in der jüngsten Geschichte des Landes endlich abschließen zu können. Doch wie auch immer das Urteil ausfällt - das politische Nachspiel ist in vollem Gange.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Norwegen kommt nicht zur Ruhe. Während in den vergangenen Wochen nicht viel zu hören war von Anders Behring Breivik, der im Gefängnis auf den Urteilsspruch wartet, ist das politische Nachspiel um die Terroranschläge des 22. Juli 2011 in vollem Gange. Während einer Livesendung im norwegischen Fernsehen verkündet Justizministerin Greta Faremo den Rücktritt von Polizeichef Øystein Mæland.

    Der Polizeichef - ein Bauernopfer? Gerade einmal zwei Wochen war Mæland im Amt gewesen, als Breivik 77 Menschen im Osloer Regierungsviertel und auf der Insel Utöya tötete. Zwar hatte eine Untersuchungskommission wenige Tage vor Mælands Rücktritt den Einsatz der Polizei am 22. Juli massiv kritisiert. Doch auch die Regierung habe im Vorfeld der Terroranschläge eindeutig versagt, so die Kommissionsvorsitzende Alexandra Bech Gjørv:

    "Der Bombenanschlag auf das Regierungsviertel hätte verhindert werden können, wenn die bereits beschlossenen Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt worden wären. Auch auf Utöya haben die Behörden versagt - die Polizei hätte sehr viel früher vor Ort sein und Anders Behring Breivik stoppen können. Und schließlich: Mit einem breiteren Fokus und höherer Aufmerksamkeit hätte der Verfassungsschutz den Täter schon vor dem 22. Juli aufspüren können."

    Noch im Oktober 2011 hatte Ministerpräsident Jens Stoltenberg im Parlament betont, er sei für die Sicherheit des Landes verantwortlich. Nun, nach der eindeutigen Kritik der Untersuchungskommission, werden Stimmen lauter, die seinen Rücktritt fordern - vor allem die große Boulevardzeitung Verdens Gang attackiert den Regierungschef heftig. Stoltenberg aber wagt die Flucht nach vorne, gibt sich als großer Reformer, der längst aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt habe:

    "Polizei und Verfassungsschutz haben zusätzliche Ressourcen bekommen. Die Einsatzbereitschaft der Hubschrauber wurde erhöht, die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Militär gestärkt ebenso wie der zentrale Krisenstab."

    Für die bürgerliche Opposition aber sind die Lehren aus dem 22. Juli 2011 längst noch nicht vom Tisch. Sie fordert eine Sondersitzung des Parlaments. Ein Ausschuss soll sich nun mit dem Untersuchungsbericht sowie möglichen personellen Konsequenzen befassen. Per Sandberg von der Fortschrittspartei:

    "Wir Norweger waren sehr naiv - und das betrifft nicht nur die amtierende, sondern auch frühere Regierungen. Unsere Systeme waren zu schwach, die Strukturen verkrustet, wir haben zu wenig Geld in die innere Sicherheit investiert, um uns gegen Gefahren aus unterschiedlichen Richtungen zu wappnen."

    Das Leben auf den Straßen von Oslo geht unterdessen seinen gewohnten Gang. Etwa zwei Drittel der Norweger erhoffen sich ein Urteil, das Breivik für zurechnungsfähig erklärt und eine langjährige Haftstrafe zur Folge hat. Viele Norweger aber wollen vor allem eines - mit der Tragödie des 22. Juli endlich abschließen:

    "Mich interessiert nicht, ob sie ihn als Verrückten oder als Ideologen verurteilen. Das Wichtigste ist, dass wir Norweger vor ihm sicher sind - wie auch der Rest der Welt."

    Zur Stunde versammeln sich die Prozessbeteiligten im Osloer Gericht - um kurz nach Zehn wird Richterin Wenche Elizabeth Arntzen das Urteil verkünden. Doch gleichgültig, wie es ausfällt, die Worte von Staatsanwältin Inger Bejer Engh am letzten Prozesstag dürften sich bewahrheiten, so schmerzlich sie auch sind:

    "Wie in jedem Strafverfahren müssen wir erkennen, dass wir nicht alle Fragen beantworten können. Wie konnte das passieren? Wie konnte ein einzelner Mensch in so kurzer Zeit so großen Schaden anrichten? Und wie wurde Breivik, dieser Bürger unter uns, zu der Tötungsmaschine, die hier vor uns sitzt?"