Archiv


"Die Einsatzschwelle wird damit gesenkt"

Bewaffnete Drohnen können prinzipiell dem Schutz der deutschen Kontingente bei Auslandseinsätzen dienen, sagt Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie seien aber in technischer und politischer Hinsicht leicht einsetzbar und daher eine "verführerische Waffe".

Markus Kaim im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Bewaffnete Drohnen für die deutschen Soldaten, das will der Bundesverteidigungsminister. Darüber sprechen wir jetzt mit dem Sicherheitsexperten und Politikwissenschaftler Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag nach Berlin!

    Markus Kaim: Ich grüße Sie.

    Müller: Herr Kaim, hat Thomas de Maizière zu viele amerikanische Spielfilme gesehen?

    Kaim: Ich weiß nicht, ob man so eine Kritik oder so eine Bemerkung teilen möchte, wobei ich einige Kritikpunkte, die jetzt an ihn herangetragen worden sind, etwas überzogen finde. Man muss sich nur mal in Erinnerung rufen, für was, für welche Zwecke die Bundeswehr im Moment die Drohnen-Anschaffung erwägt. Es handelt sich nicht, zumindest gegenwärtig nicht, um Einsätze wie zum Beispiel die amerikanischen Drohnen-Angriffe in Pakistan, sondern es geht vor allen Dingen um den Eigenschutz der deutschen Kontingente in Auslandseinsätzen. Solange das sozusagen das Handlungsparadigma ist, finde ich die Kritik am Bundesverteidigungsminister soweit noch unberechtigt.

    Müller: Aber das sind Aufklärungsdrohnen? Wir reden ja über potenziell bewaffnete Drohnen.

    Kaim: Ja, aber das soll dann tatsächlich auch passieren, dass man sozusagen die Aufklärung mit Waffen kombiniert, aber der Eigenschutz der deutschen Kontingente steht im Mittelpunkt. Aber – und das ist ein Kritikpunkt, der ist nicht leicht vom Tisch zu wischen – es hat eine politische Dimension insofern, weil es natürlich eine verführerische Waffe ist. Die Einsatzschwelle wird damit gesenkt und es ist eine vergleichbar leicht einzusetzende Waffe in technischer Hinsicht, aber vor allen Dingen auch in politischer Hinsicht.

    Müller: Wie groß sind die wirtschaftlichen Interessen der Konzerne, der Rüstungsindustrie, diese Drohnen auch für Deutschland durchzusetzen?

    Kaim: Ich weiß oder kann nicht beurteilen, ob das wirklich das handlungsleitende Motiv ist. Ich glaube, es ist eingängig einzuschätzen oder plausibel einzuschätzen, dass die deutsche Rüstungsindustrie wie die europäische Rüstungsindustrie im Allgemeinen auf der Suche nach neuen Märkten ist. Die eingeführten Waffensysteme der Vergangenheit werden angesichts der Finanz- und Schuldenkrise so in Europa nicht weitergeführt werden können und neben dem Export in andere außereuropäische Märkte ist die Entwicklung von Drohnen sicher ein Element dieser Diversifizierungsstrategie der deutschen und europäischen Rüstungsindustrie. Aber ich glaube, die Treiber sind weniger die Rüstungskonzerne, sondern eine veränderte sicherheitspolitische Praxis. Und die Beispiele sind in dem Beitrag ja angeführt worden. Insbesondere die Erfahrung der USA in den vergangenen zehn Jahren hat sozusagen den Appetit auch in europäischen Hauptstädten auf dieses Waffensystem geweckt.

    Müller: Appetit, sagen Sie. Sie sagen, die Einsatzschwelle wird dadurch geringer. Das war auch die Kritik des SPD-Verteidigungsexperten Arnold. Hat das schon etwas damit zu tun, dass man einfacher töten und einfacher Krieg führen kann?

    Kaim: Ja, absolut! Wir haben ja noch nicht so viele empirische Beispiele dafür. Und das Wichtigste, nämlich die amerikanische Praxis, die am weitesten fortgeschritten ist, weist ganz eindeutig in die Richtung, dass diese Waffensysteme in den letzten zehn Jahren einen enormen Anstieg von Einsatzzahlen zu verzeichnen haben, eben insbesondere in Pakistan, in Afghanistan, Jemen, in Somalia. Und insbesondere in bestimmten Zusammenhängen, wo Truppen, Bodentruppen, entweder nicht eingesetzt werden können, aus logistischen Gründen, aus technischen Gründen, aber vor allen Dingen auch aus politischen Gründen. Die können dann eben mit einer bestimmten Regierung in einem Land zu tun haben, das wäre zum Beispiel der Fall bei Pakistan, wo sich die pakistanische Regierung dagegen verwehrt, beziehungsweise eine Truppenkontingentierung nicht möglich ist aus innenpolitischen Gründen, weil eben die jeweilige Öffentlichkeit in den USA, in Deutschland solcher Einsätze müde ist. Und dann, um Aktivitäten unter Beweis zu stellen, ist das eine verführerische Waffe, die zwar effektiv ist, aber eben auch eine gewichtige symbolische Dimension hat.

    Müller: Das hört sich ein bisschen so an, Markus Kaim, wenn ich Sie da richtig interpretiere, dass es auch nicht so richtig zum deutschen Verständnis von Militär- und Kriegsführung passt?

    Kaim: Ich würde es so formulieren: Das bisherige Einsatzspektrum der deutschen Streitkräfte legt zumindest diesen Einsatz, wie wir ihn jetzt im Falle der USA in den letzten Jahren kennengelernt haben, wie ich ihn gerade noch mal angedeutet habe, nicht unbedingt nahe. Und ich würde bei der Kritik so weit gehen zu sagen, für den Eigenschutz, also das Argument, was jetzt in den letzten Wochen auch immer vorgebracht worden ist, finde ich die Drohnen-Beschaffung zu aufwendig und das ist nicht zwingend. Und andere Einsätze, die wir gerade angesprochen haben, sind auf absehbare Zeit nicht im Spektrum der deutschen Streitkräfte vorgesehen. Aus vielfältigen politischen Gründen wird die Zahl der Auslandseinsätze eher abnehmen, gerade nach Afghanistan und den ernüchternden Erfahrungen. Und die jüngsten Debatten um Mali und andere Einsätze in Afrika deuten ja eher in die Richtung, dass es kleine Einsätze sein werden, die von ihrer Funktion her überschaubar sind, von ihrem Zeitraum überschaubar sind und die eher subsidiär sind. Das heißt, man versucht, eher andere zu unterstützen. Ob das Einsätze sind der deutschen Bundeswehr, der deutschen Streitkräfte, die Drohnen zwingend nahelegen, daran würde ich einige Zweifel hegen.

    Müller: Reden wir noch einmal über Thomas de Maizière. Hat der ein Problem ein bisschen mit Anspruch und Wirklichkeit? Denn viele sagen ja auch, wenn wir jetzt über Mali reden – Sie haben das Beispiel gerade genannt -, dann kriegen die Deutschen, wenn man das so interpretieren möchte, nicht mehr auf die Reihe als zwei Tankflugzeuge und dann noch Tankrüssel in irgendeiner Form in diese Interventionstruppen zu investieren. Und dann hat sich die ganze Geschichte, das ist schon umstritten, das wird debattiert. Und jetzt geht es um bewaffnete Drohnen, international im Einsatz gegen Terroristen.

    Kaim: Ich würde es so formulieren: Ich finde, der Bundesverteidigungsminister hat seit seinem Amtsantritt den Weg in die richtige Richtung gewiesen, indem er insbesondere auf die gewachsene internationale Verantwortung der Bundesrepublik gerade im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik hingewiesen hat.

    Müller: Aber Sie sagen ja auch gerade, dass die Einsätze zurückgehen in ihrem Umfang, auch in ihrer Risikobereitschaft.

    Kaim: Genau. Aber mein Eindruck ist, dass er innerhalb der Bundesregierung sich auch mit dieser Politik nicht sonderlich durchsetzen kann und dass wir immer wieder – und da ist Deutschland vielleicht dann doch etwas anders als viele andere westliche Hauptstädte oder viele andere westliche Länder – die innenpolitischen Determinanten oder die innenpolitischen Rahmenbedingungen solcher Einsätze bestimmen. Und mit Mali kann man das ja sehr schön illustrieren. Auf der einen Seite betonen deutsche Politiker, wie wichtig Mali für die europäische Sicherheit ist; gleichzeitig ist der Beitrag, den die Bundesrepublik zu leisten bereit ist, nennen wir ihn überschaubar. Und ich glaube, man geht nicht fehl zu sagen, das hat auch etwas mit der Bundestagswahl am 22. September zu tun.

    Müller: Reden wir über Afghanistan. Heute Mandatsverlängerung im Bundestag mit einer klaren Abzugsperspektive. Dennoch: Die Grünen haben zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit widersprochen, haben gesagt, es bleiben zu viele Soldaten da, wir haben kein klares Abzugskonzept. Ist da was dran?

    Kaim: Losgelöst, was man von der Position der Grünen jetzt im Einzelnen halten mag, finde ich, ist ihr Verweis aber insofern richtig, weil die deutsche Öffentlichkeit sich zu lange einer Fehlwahrnehmung hingegeben hat, dass wirklich zum 31.12.2014 der letzte deutsche Soldat Afghanistan verlassen würde. Und das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. Ein größeres deutsches Kontingent, dessen Größe noch festzulegen ist, wird auf absehbare Zeit für Ausbildungsmissionen in Afghanistan verweilen und unsere Erfahrungen mit denjenigen NATO-Partnern, die diese Transformation von einer Kampfmission zu einer Ausbildungsmission bereits vollzogen haben – konkretes Beispiel Kanada -, diese Erfahrung zeigt, dass auch weiterhin innerhalb dieser Mandate geschossen wird und dass innerhalb dieser Mandate gegebenenfalls auch deutsche Soldaten gefährdet oder sogar getötet werden können.

    Müller: Kann, Herr Kaim, eine dann ja zwölf, 13 Jahre andauernde Militärmission, die Deutschen in Afghanistan, weniger gebracht haben?

    Kaim: Also ich glaube, die Einsicht, dass diese Mission weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, ist ja nicht sonderlich neu. Und ich glaube, wir werden in zehn, 15 Jahren auf die Mission in Afghanistan zurückschauen und zu einem sehr ausgenüchterten Ergebnis kommen, was politisch wie auch was die Entwicklungssituation in Afghanistan betrifft erreicht worden ist.

    Müller: Aber es redet keiner offen darüber, dass das Ganze in irgendeiner Form gescheitert ist?

    Kaim: Das Wort Scheitern ist relativ. Da müsste man Punkte benennen, woran etwas gescheitert ist oder wann etwas gescheitert ist. Aber ich glaube, die deutsche Öffentlichkeit hat ein viel zu rosiges Bild. Wenn wir zum Beispiel die jüngsten Berichte des amerikanischen Pentagon uns anschauen, wenn wir uns die anschauen, die jetzt Ende des Jahres erschienen sind, zur Sicherheitssituation in Afghanistan, zur Frage der guten Regierungsführung, zu Korruption in Afghanistan, zu Folter in Afghanistan, dann ist das Bild ein sehr, sehr düsteres.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Sicherheitsexperte und Politikwissenschaftler Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag.

    Kaim: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Weitere Beiträge bei dradio.de:
    Bundestag beschließt Afghanistan-Abzug - Zahl der Soldaten sinkt bis Februar 2014 auf 3.300